2022 – Unser Land. Rainer Hampel
wurde bis achtzehn Uhr nur vom Mittagessen unterbrochen, was praktischerweise gleich im Hof stattfand und wodurch die Anstalt ihre Kosten deutlich senken konnte. Der Bewachungsaufwand tagsüber wurde auf ein Minimum reduziert. Alle dreißig Meter waren Wachtürme errichtet, von denen beim geringsten Anlass wahlweise mit Gummigeschossen, Tränengas oder Wasserwerfern disziplinierend auf revoltierende Cliquen eingewirkt werden konnte. Sollten diese Maßnahmen nicht ausreichten, wurde ohne Weiteres auch scharf in die Problemzonen geschossen. Als Folge dieser drastischen Härte gab es anfänglich im Schnitt jeden Monat einen Toten. Für die Gefängnisleitung stellte dies jedoch lediglich hinsichtlich der Statistik und der damit zusammenhängenden Bürokratie ein Problem dar.
Paul gehörte zu der Gefangenengruppe, die tagsüber einer Beschäftigung nachgehen durfte. Dies stellte ein Privileg dar und wurde nur den Jugendlichen zugestanden, die einen eher leichteren Strafenkatalog aufzuweisen hatten. Das verwunderte, wenn man Pauls brutalen Übergriff auf die junge Frau in der Südvorstadt in Betracht zog. Aber angesichts der Tatsache, dass drei Viertel der Taten, wofür die Jungen hier einsaßen, Mord und Totschlag waren und das restliche Viertel sich aus schwerer Körperverletzung, Erpressung, Raub und Vergewaltigung zusammensetzte, relativierte sich das. Tatsächlich mussten die Straftatbestände dieses kleineren Anteils in der jetzigen Phase der Republik leider wirklich als die weniger aufregenden angesehen werden. Pauls Glück schien zunächst daraus zu bestehen, dass er „nur“ eine versuchte Vergewaltigung und einen versuchten Mord vorzuweisen hatte. Praktisch ein „leichter“ Fall.
Trotz Pauls erstaunlicher Gewaltbereitschaft in seinem niedrigen Teenageralter wartete im Knast auf ihn die ganz harte Schule. Die Verantwortlichen fanden das in Ordnung und es wurde ihm keinerlei Schutz oder Hilfestellung gewährt.
Er lag an diesem Morgen todmüde im Bett, als ihn der Weckton hart aus dem Schlaf riss und die Tür seiner Einzelzelle automatisch aufflog. Ihm steckte noch die Spezialbehandlung in den Gliedern, die ihm am Abend zuvor in der Dusche zuteil wurde. Er konnte sich kaum regen und rieb sich seine schmerzenden Körperteile, insbesondere das Gesäß.
Nach Ansicht seiner Mithäftlinge war Paul einfach noch nicht zäh genug, um den Alltag im Knast schadenfrei überstehen zu können. Er war ein leichtes Opfer für die zumeist sechzehn- bis zwanzigjährigen Mitinsassen. Gewissermaßen als Zeitvertreib und sogar ohne größere Aggression suchten sich diese besonders barbarisch vorgehenden Typen stets solche zarten Typen wie Paul aus.
Das wöchentliche Duschen erwartete er seit dem ersten Überfall ohnehin nur noch mit Schrecken. Da dies die einzige Möglichkeit war, ein Mindestmaß an Körperhygiene einzuhalten, ist er auch gestern trotzdem um einundzwanzig Uhr in den Duschraum gegangen. Er war in Begleitung von drei anderen Jungs, die ihm nicht feindlich gesinnt waren, auch in seinem Alter und mit den gleichen Problemen behaftet.
Dragon war einer der Ältesten, sein Vorstrafenregister war umfangreich und entsprechend lange würde sein Aufenthalt dauern. Seinen Spitznamen hatte er sich dadurch verdient, dass er in besonders rauen Fällen seine Opfer mit Brandwunden verschandelte. Er wurde von jedem gefürchtet und gehasst und so stellte er auch für Paul eine unüberwindliche Tatsache dar.
„Paulchen, ich habe heute Lust auf Zärtlichkeiten“, rief er selbst schon unter der Dusche stehend dem Eintretenden zu.
Paul verdrehte die Augen, wusste was ihn erwarten würde und drehte auf der Hacke um. ‚Scheiß aufs Duschen‘, dachte er noch, bevor ihn zwei andere Mithäftlinge hart anpackten. Dragon hatte für seine Attacken stets Verbündete und sich vorbereitet. Eine spontane Sache zog er nie durch. Pauls Kehle wurde von einem der beiden Helfer hart zugedrückt, so dass er keine Luft mehr bekam. Der andere verpasste ihm einen so brutalen Hieb in den Magen, dass er schlaff zusammensackte und sich auf dem Fußboden vor Schmerz krümmte. Die Jungen, die ihn eben noch begleitet hatten, standen abseits an der Wand und trauten sich keine Regung zu.
Dragon brüllte sie an: „Ihr bleibt stehen. Wir haben gerne Zuschauer und brauchen etwas Publicity. Dass ihr auch ja hübsch berichtet, was ihr gleich sehen werdet. Los Jungs, bereitet ihn vor!“
Die letzten Worte waren an seine Helfer gerichtet. Diese wussten, was sie zu tun hatten, und spulten routinemäßig ihr Sportprogramm ab. Dragon und sie waren täglich im Fitnessbereich auf dem Hof und hatten passend zu ihrer riesigen Körpergröße breite Schultern, Muskeln, wohin das Auge reichte, und konnten es mit jedem in der Anstalt locker aufnehmen. Da sie angesichts ihrer langen Strafen ohnehin nichts zu verlieren hatten, konnten sie sorglos durch die Massen prügeln. So auch an diesem Abend wieder. Einer zerrte Paul wieder vom Boden hoch und rückte ihn für seinen Kumpel zurecht. Wehrlos ließ Paul die nächsten Fausthiebe in sein Gesicht, seinen Magen und abschließend einen kräftigen Tritt in seine Weichteile über sich ergehen. Er hatte keine Chance. Die anderen gafften nur ängstlich und waren froh, nicht selbst „behandelt“ zu werden. Paul ging es mittlerweile körperlich schlecht; erneut lag er auf dem Fußboden.
Einer der Helfer ging aus dem Duschbereich zurück in den Vorraum und schleifte eine Holzbank in die Dusche. Hier kontrollierten die Wärter ganz bewusst nich, sollte doch damit der internen Disziplinierung, aber auch dem Aggressionsabbau des harten Kerns der Häftlinge freier Lauf gelassen werden.
Paul startete wimmernd einen Versuch, um Gnade zu betteln: „Dragon, bitte verschon mich heute. Es sind doch genügend andere da. Lass mich ganz.“
Der Angeflehte lachte schallend und trat praktischerweise nach ihm. Da er nackt und ohne Schuhe in der Dusche stand, konnte dieser Tritt nicht allzu viel Schaden anrichten und Paul raffte sich erneut auf: „Bitte, ich kann dir doch anders nützlich sein. Sag mir, was ich machen kann, damit du aufhörst. Bitte!“
„Am meisten gefällt mir, wie du wimmerst. Du kleiner Scheißer, die Alte habt ihr doch auch gut bedient. Das sollst du doch auch erleben dürfen. Schöne Qualen, am besten noch’n bisschen Todesangst dazu. Keine Angst, wir machen dich nicht platt, haben doch sonst kein Spielzeug mehr. Paulchen, wimmere weiter. Los! Arme Sau!“
Während des Wortwechsels hatte einer der Helfer Paul mit dem Oberkörper auf die Bank geknallt. Seine rohen Kräfte ließen ihn mit Paul umgehen wie mit einem Kleinkind. Sie hatten sichtbar Spaß mit ihm. Lachend kniete er auf dem Rücken von Paul und quetschte dessen Gesicht auf das Holz. Paul stöhnte erneut vor Schmerz. Er litt höllische Schmerzen; leider wusste er, dass es noch schlimmer werden würde. Blut aus Mund und Nase lief durch das Holz der Bank und bildete darunter eine Lache. Dragon griff nun wieder persönlich in die Aktion ein und benutzte den Holzstiel eines Schrubbers, der in der Dusche stand, um Pauls Rücken und insbesondere seine Nierengegend zu malträtieren. Paul schrie bei jedem der heftigen Schläge laut auf.
Die drei anderen Mitinsassen, die mit Paul in die Dusche gekommen waren, standen immer noch unverändert und ohne Regung an der Wand und mussten zusehen. Sie fürchteten sich davor, dass ein Seitenblick von Dragon sie traf und sie die Nächsten sein könnten.
Doch dies war nicht im Sinn der Angreifer. Sie benötigten die drei weiterhin als Zuschauer und dafür, dass die Aktion sich möglichst detailgetreu unter den Insassen verbreitete. Allerdings war das nur eine von hunderten Aktionen von Dragon und seinen Kumpanen.
Nachdem Paul mehrere dutzend harter Schläge eingesteckt hatte, sein Rücken rot und an einigen Stellen blutunterlaufen war, ließ Dragon nach und machte eine Pause. Dazu setzte er sich auf Paul und machte es sich möglichst bequem. Den Schrubberstiel gab er einem seiner Helfer und zwinkerte diesen dabei an. Dragon wusste von dessen perversen Neigungen und wollte ihm, nachdem er selbst fertig war, die Gelegenheit geben, diesen Neigungen an Paul nachzugehen.
Dragon selbst ging wieder unter die Dusche und widmete sich seiner Körperhygiene, als wäre nichts weiter vorgefallen. Die nun folgende Vergewaltigung an Paul nahm er nur aus den Augenwinkeln war; es war ihm egal, was weiter geschah. Selbst wenn sein Opfer getötet worden wäre, hätte er seinen Duschgang nicht unterbrochen. Für ihn war das alles ein normaler Tagesablauf und am späteren Abend verübte er einen weiteren Überfall auf einen anderen Häftling. Es war erbarmungslos und aus Pauls Sicht gab es keine Hoffnung auf Besserung, hatte doch dieser Abend nur eine Fortsetzung seines Martyriums im Knast dargestellt.
Nachdem er sich mühsam aus dem Bett gequält hatte, begann er seine