Seniorenknast - wir kommen!. Christa Mühl
fragt Katharina mit rauher Simme. Mira wischt sich die Tränen ab und wird langsam aber sicher wütend. „Na, det Lied jeht doch weiter: … schaff ich schon allein - sagt mein Mann!“ Katharina will etwas erwidern, winkt aber dann ab und hält sich den schmerzenden Kopf. Mira greift in die Schürzentasche, zieht eine Packung Tabletten heraus und reicht sie ihr.
Dankbar knackt sie zwei aus der Folie und schluckt sie gekonnt ohne jegliche Flüssigkeit herunter. Als würde die Wirkung sofort einsetzen, wechselt ihre Stimmlage. Milde und leise verkündet sie: „Ich kann Sie mir einfach nicht mehr leisten, Putzi. Haun Sie ab!“ Mira ist entsetzt – obwohl sie dieses Theater eigentlich kennt. So eine Szene erlebt sie nicht zum ersten Mal.
„Aber wo soll ick denn hin? Von meine Rente kann keen Mensch leben – nicht mal icke!“ Auch dieser Text ist nicht neu, deshalb flutscht er ihr wie einer gelernten Schauspielerin fließend über die Lippen. Katharina zuckt mit den Schultern. Etwas wackelig steht sie auf und geht zum Schrank.
Mira greift wieder zum Taschentuch, besinnt sich dann aber. Die Heulnummer zieht wahrscheinlich nicht mehr.
Katharina kommt mit einem zweiten Glas und einer vollen Rotweinflasche zurück. Sie schraubt den Verschluss auf, riecht daran und schüttelt angewidert den Kopf.
„Das ist auch schon der Billigste!“ Sie schenkt sich und Mira ein. „Prost!“ Mira schüttelt sich. Das Zeug schmeckt grässlich. Und nun fängt Katharina auch noch an zu weinen. Mira reicht ihr das Taschentuch. Was für eine Schmierenkomödie! Viel zu schnell fasst sich die Alte wieder …
Mira hebt ein Kleid vom Boden auf. Es ist ein abenteuerliches Modell in grellen Farben. Sie erkennt sofort die Chance auf ein Ablenkungsmanöver.
„Was ist det denn für’n scharfet Teil?“
Katharina tut genau das, was Mira erwartet hat. Sie lächelt melancholisch.
„Das ist von früher. Noch aus der DDR …“
Mira sieht sie skeptisch an.
„Aus dem Exquisit! Das war so was wie Delikat – nur für Klamotten!“ Als ob Mira nicht mehr wüsste, was das für Wucherbuden waren … „Zum Delikat haben wir immer Fress-Ex jesacht. Schließlich bin ick ooch aus dem Osten!“
Sie berlinert noch stärker, wenn sie aufgeregt ist. „Wat waren det für bekloppte Zeiten!“
Dann betrachtet sie das Kleid genauer. Es hat einen tiefen Rückenausschnitt. „Sowat ham die da verkooft?“
Katharina grinst. „Muss wohl irgendwie ein Versehen gewesen sein …“
„Und Sie haben dieset Versehen für teuret Jeld erstanden?“ Katharina nickt lächelnd und versinkt in Gedanken.
„Haben Sie det denn wenigstens ooch anjezogen?“ fragt Mira, echt interessiert.
„Klar! Einmal. Zum Polizeiball.“
Mira sieht sie skeptisch an.
„Zum Fasching!“
„Bei die Polizei?“
Katharina schüttelt schmunzelnd den Kopf. Natürlich nicht. Eine ziemlich verrückte Freundin lud anschließend zu einer Party ein. Motto: Südseezauber.
Mira betrachtet das Teil erneut intensiv und grinst nun ebenfalls. Südseezauber – in der DDR …
„Und wat wolln Se jetzt damit?“
Katharina druckst herum. „Vielleicht verreisen. In die Sonne. Auf ’ne Insel oder so.“
Einen Moment scheint es, als segle sie schon mit ihren Träumen davon. Doch dann genügt ein Blick auf das Chaos um sie herum. Mira hat darin gerade noch gefehlt. „Und nun machen Sie sich dünne!“ Der Kater kommt mit dem Schlüsselanhänger im Maul – der Fisch blinkt inzwischen etwas müde – zufrieden herein und scharwenzelt um Katharinas Füße. Sie schaut zur Uhr. „Scheiße!“
Mira rappelt sich zum letzten Versuch auf.
„Det kann man laut sagen … Ick würde hier ooch umsonst putzen! Schließlich hab ick ja meine Rente!“
„Ich denke, davon können Sie nicht leben?“
Katharina geht zum Spiegel und schüttelt, wortlos über ihren Anblick, den Kopf.
Mira versucht eine Notlösung.
„Muss ja nicht jeden Dienstag sein.“
Katharina wird plötzlich klar, dass heute der 1. Dienstag im Monat ist. „Scheiße, Scheiße, Scheiße!“
Mira unterbricht sie: „Jenau. Und ziemlich kalt draußen. Nicht mehr lange, denn is Weihnachten. In den Jeschäften sortieren sie schon wieder Spekulatius und den janzen Weihnachtskrempel in die Rejale …“ Katharina hört gar nicht hin.
„Am 1. Dienstag im Monat besuche ich doch immer Ruppe.“
„Ist det nicht der nette junge Mann – Ihr Nachfoljer?“
„Jung? Na ja … Er schätzt meine Erfahrung. Ich kann ihm manchmal einen guten Rat geben.“
„Jeben Sie, jeben Sie! Derweil kann ick ja hier putzen.“ Sie sammelt die leeren Flaschen ein. Katharina sieht sie skeptisch an. „Als Sie noch jearbeitet haben, war ick dienstags ooch alleene hier!“
„Dienstags haben sie im Kommissariat wenig zu tun. Montag wird die vorige Woche ausgewertet, die kommende durchgesprochen, alles geordnet. Aber wenn nicht viel los war, kein Mord oder so was, ist Dienstag tote Hose. Da kann ich mit Ruppe nach frühem Feierabend vielleicht noch ’n Bier trinken.“
Oder ooch zwee, denkt Mira und macht sich daran, aufzuräumen.
„Grüßen Sie Ihren netten jungen Kollejen! Soll ick Badewasser einlassen?“
„Ich dusche!“ faucht Katharina und geht Richtung Bad. Der Kater hört auf, mit dem müde blinkenden Fisch zu spielen, schaut Mira voller Verachtung an und folgt Katharina.
Mira steckt den Anhänger seufzend in die Tasche der Kittelschürze. Ein seltenes Exemplar aus Dederon, das sie in einem vietnamesischen Textilmarkt für 3 Euro erstanden hat. Lila Rosen auf blassviolettem Grund. „Echt aus die DDR“, strahlte die hübsche Verkäuferin. „Wat ist DDR?“ hatte Mira etwa bösartig gefragt.
Die junge Vietnamesin zuckte mit den Schultern. „Ein altes Textilfabrik?“
Mira nickte nur. Ein altes Machwerk …
Sie zieht aus der anderen Tasche das Mikrofasertuch aus einer modernen Textilfabrik und macht sich über den Staub her. Aus dem Badezimmer polternde Geräusche. Dann fängt Katharina heiser an zu singen. „Sind die Lichter angezündet …“ Die Dusche wird angestellt, der Gesang lauter. „ … Freude zieht in jeden Raum – weiter kann ich leider, leider keiheinen Text – man glauhaubt es kaum …“ Mira verdreht die Augen und schaltet den Fernseher ein. Es läuft schon wieder eine Werbung. „Gönn dir was!“
Was soll sie sich gönnen – bei der mickrigen Rente? Und die Schweine von ihrer Bank haben ihr eine Anlage aufgeschwatzt, die sie völlig abschreiben kann. War nicht gerade ein Vermögen, aber für sie eben doch ein großer Verlust. Von wegen Urlaub – so was ist schon gar nicht mehr drin.
Sie lässt den Putzlappen fallen, trinkt ihr Glas leer und stöhnt. „Wo jibt es so miserablen Rotwein?“
4
Gisbert, der eigentlich keinen Alkohol trinkt, hatte sich von seinem Bruder zu einem kleinen Bier überreden lassen. Es tat ihm gut und ließ den desillusionierenden Besuch im Fernsehstudio fast vergessen. Natürlich erst, nachdem er alles haarklein berichtet hatte.
Jeden letzten Samstagabend im Monat gibt es eine Sendung „Der fixe Sachse erfüllt deine Wünsche!“ Die Hörer können anrufen und sich Musiktitel wünschen. Der krönende Abschluss ist ein Wunsch, den Gisbert mit einer Reportage erfüllen