Seniorenknast - wir kommen!. Christa Mühl

Seniorenknast - wir kommen! - Christa Mühl


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aber steif sitzen. Katharina erinnert sich nicht, ihn jemals so erlebt zu haben.

      „Paul – was soll das denn alles? Es geht dir beschissen – das ist nicht zu übersehen. Du brauchst jemanden zum Reden. Und früher haben wir uns doch bei der Arbeit …“

      „Das ist es ja. Ich habe nichts mehr zu tun! Andere machen aus ihrer ehemaligen Arbeit ein Hobby. Aber was macht ein Pathologe?“ Katharina mag darüber nicht nachdenken …

      „Ich weiß, dass es nicht einfach ist ohne Arbeit. Aus eigener Erfahrung. Aber wir sind nun mal alt! Na ja – ziemlich alt. Du kriegst doch sicher eine ordentlich hohe Rente und kommst ganz gut zurecht. Du hast keine Familie.“

      Paul nickt. „Eben!“

      „Wolltest du deshalb eingebuchtet werden?“

      „Der Winter naht. Ich brauche ein geregeltes Leben.“ Katharina sieht ihn entgeistert an. „Im Knast?“

      Paul geht nicht darauf ein. Nun will er aussteigen. Aber Katharina hat die Türen wieder verriegelt.

      Er holt tief Luft. „Also, entweder ich kann jetzt raus, oder du lieferst mich bei der Polizei ab. Vielleicht lässt sich Ruppe erweichen und zählt diese Flucht noch zum Überfall der Tanke dazu …“ Katharina zeigt ihm einen Vogel. Dann schwenkt sie den Beutel mit den Dönern vor seiner Nase hin und her.

      Paul schüttelt entschieden den Kopf.

      „Was ist das denn für ein Leben? Keine Frau, keine Kinder, keine Freunde …“

      Katharina schluckt. Das kennt sie alles. Und es gibt nur eine Antwort: „Dafür bist du doch ganz allein zuständig …“

      Paul nickt. Langsam aber sicher tut er sich selbst leid. „Meine Rede! Wer wollte es schon mit einem Pathologen zu tun haben? Du hast Recht: Nun bin ich alt – das hab ich jetzt davon …“

      Katharina sieht ihn betroffen an. Sie öffnet die Türen, steigt aus und stößt fast mit einer Fußgängerin zusammen, die mit ihrer Tasche nach ihr schlägt.

      „Wohl besoffen, was?“

      Erschrocken steigt Katharina wieder ein.

      Paul sitzt noch immer da wie ein Häufchen Elend.

      Bevor die Fußgängerin die Straße überquert, dreht sie sich um und spuckt auf Katharinas Auto. Normalerweise wäre die in einer solchen Situation völlig ausgerastet. Doch Pauls Zustand macht ihr Angst. „Paul – Mann, Knast ist doch keine Lösung! Ich bin auch alleine. Vielleicht können wir uns ab und zu treffen, Schach spielen. Oder mal ins Kino gehen.“

      Er schüttelt entnervt den Kopf.

      „Ich will in den Bau! Da habe ich Gesellschaft, ordentliches Essen und ich kann helfen, wenn wer stirbt.“

      Katharina ist fassungslos. „Willste den zerlegen – oder was? Wenn du so redest, hält dich doch jeder für völlig verblödet!“ Paul sieht sie an und scheint wieder zu sich zu kommen. „Na endlich hast du’s kapiert! Genau das will ich sein: Ein seniler Tattergreis. Denn dann komme ich nicht in irgendeinen Knast, sondern ins PARADIES.“

      Katharina ist nun zum Äußersten bereit. Sie packt ihn an den Armen und schüttelt ihn.

      „In eine geschlossene Anstalt kommst du bestenfalls! Wenn du das PARADIES nennst …“

      Paul wehrt sich nicht und nickt immer wieder.

      „Im schönen Vogtland – oder im Erzgebirge? Also, da gibt es einen Seniorenknast. Dort will ich hin!“

      Es kommt etwas Finsteres in seine Augen.

      Katharina grinst plötzlich. Sie glaubt ihm kein Wort. Dann zupft sie ihn am Ohr, wie damals.

      „Ach Paul, ich bin froh, dass du es immer noch drauf hast, mich zu verscheißern!“

      Paul überhört die Bemerkung und gerät geradezu ins Schwärmen.

      „Ich habe mal zwei Damen kennen gelernt – Nonnen! – die waren des Lobes voll. Sie saßen dort längere Zeit ein. Dann wurden sie aber leider wegen guter Führung vorzeitig entlassen.“

      Katharina beschleicht wieder eine gewisse Angst um Paul. „Nonnen? Im Knast …“

      Er strahlt. „Im Seniorenknast!“

      Sie öffnet nun entschlossen die Fahrertür.

      „Okay. Ich schlage vor, wir gehen zu mir hoch, verputzen die Döner und dann mache ich dir einen schönen Beruhigungstee.“ Paul sieht sie verwundert an.

      „Kannst auch einen Rotwein haben – allerdings keinen besonders guten.“

      Paul nickt nun endlich und steigt aus. Denn er sieht plötzlich eine Lösung.

      „Guter Plan! Bei dir suchen mich die Bullen sicher zuerst!“ Katharina sieht ihn fragend an. „Interessant!“

      Paul versteht nicht, dass sie nicht versteht.

      „Na, Ruppe ist doch nicht blöd! Der hat dich unter Garantie erkannt als meine Ärztin! Außerdem ist heute der 1. Dienstag im Monat …“ Katharina ist baff.

      Ruppe ist inzwischen wieder in sein Büro zurückgekehrt. Er denkt an Katharinas billigen Rotwein und schüttelt sich. Dann zieht er einen winzigen silbernen Flachmann aus der Jackentasche. Wenigstens einen Schluck will er sich gönnen. Er trinkt und schüttelt sich. Fusel …

      Aus seiner Schreibtischschublade kramt er einen kleinen Mundspray. Pfefferminzgeschmack. Meine Güte – was für ein Leben, denkt er angewidert. Wohin hat es solche guten Leute gebracht wie DIE ALTE, seine hoch geschätzte Vorgängerin?

      Oder Herrn Professor Paul Herr. Der war sozusagen der Papst unter den Pathologen. Der King. Leichenfinger – die Nummer Eins!

      Wie wird es ihm selbst einmal ergehen, wenn er Rentner ist? Darüber mag er gar nicht nachdenken. Sein Telefon klingelt. Wahrscheinlich ist das Katharina. Er nimmt den Hörer nicht ab, hält sein schmerzendes Kreuz wieder fest und geht zum Fenster. Unten fegt ein sanfter Wind Blätter die Straße entlang.

      Ihm kommt ein Gedicht über den Herbst in den Sinn, das ihm immer sehr gefallen hat. Er konnte es auswendig. Aber nun fällt ihm weder der Dichter ein, noch bringt er den Text zusammen. Es hat irgendwas mit Alleinbleiben zu tun.

      Dabei hat er es doch gut. Er ist nicht allein! Seine Frau wartet jeden Tag zu Hause auf ihn. Die bequemen Hauslatschen stehen bereit und ein ordentliches Bier, nicht zu kalt. Eine Schnitte mit ungarischer Salami und eine zweite mit Harzer Stinkerkäse. Sie sehen fern, dabei strickt sie warme Socken für den kalten sächsischen Winter. Die Dinger stapeln sich in seiner Wäschekommode. Er hat noch nie ein Paar getragen, denn die kratzen. Aber sie strickt und strickt.

      Kopfschüttelnd zieht er noch einmal sein kleines Silberfläschchen aus der Tasche und trinkt es leer.

      Ein Hüsteln hinter ihm. Er dreht sich erschrocken um. Vor ihm steht der Chef seiner Dienststelle.

      Sie betreten die Wohnung, Stimmen sind zu hören. Katharina hält den Finger auf den Mund. Paul nickt. Sie schleichen durch den Korridor und werden durch einen Jammerlaut erschreckt. Katharinas Kater Quasimodo sitzt in seinem Tragekorb – eingesperrt! Sofort befreit sie ihn. Er lässt die Ohren hängen und zieht sich beleidigt zurück. Paul grinst.

      Leise öffnet sie die Tür zum Wohnzimmer. Das blitzt! Aufgeräumt wie lange nicht. Quasimodo stürzt sich sofort auf Mira, die beim Fensterputzen ist. Fast fällt sie hinaus vor Schreck.

      „Blödes Mistvieh!“ zischt sie und rappelt sich wieder auf. Katharina ist echt empört.

      „Frau Gründler! Sie sollten doch nicht putzen!“

      Mira stellt mit der Fernbedienung den Fernsehton leiser


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