Seniorenknast - wir kommen!. Christa Mühl

Seniorenknast - wir kommen! - Christa Mühl


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in Wermsdorf, Teilnahme an einem Strick-Kurs für Männer, ein Tag als Gondoliere durch die Leipziger Kanäle und so weiter.

      Immer hatte das Spaß gemacht und es kamen witzige Sendungen zustande.

      Letzten Samstag nun hat sich ein Zuschauer gewünscht, den Reporter hinter die Kulissen einer Fernsehserie zu schicken. Gisbert freute sich darauf, denn es handelte sich zum Glück nicht um eine Krankenhausserie oder um eine Telekitschvela, wie er die rührseligen täglichen Nachmittagsschmonzetten nannte. Nein – es handelte sich um eine Krimiserie für den Vorabend.

      Und dann das … Sein Bruder hörte gebannt zu und nickte. „So musste das in deinem Sender verklickern! Genau so. Die Leute lachen sich kaputt.“

      Gisbert hatte auf einen flotten Spruch am Ende gewartet. Dafür war sein Bruder bekannt. Er begann immer mit der selben Floskel: „Mein Engel würde sagen …“

      Nun kam aber nur ein lautes Gähnen. „Ein Ruhetag ist eben zu wenig. Man wird nicht jünger …“

      Er stand auf. Gisbert nickte. Dabei war sein Bruder erst 45 – aber Wirt und Koch in einer Person – das ist wahrlich kein Zuckerschlecken. Er wünschte eine gute Nacht und ging Richtung Bad. An der Tür drehte er sich noch einmal um.

      „Übrigens: mein Engel würde sagen, die Leute sollen lieber ein anständiges Buch lesen – Fernsehen ist Scheiße! Außer Fußball und Boxen!“ Gisbert schaute ihm etwas verwundert nach. Aber er hatte ja Recht. Außer zu den Nachrichtensendungen schaltete er seine Mattscheibe auch selten ein. Er konnte die ewigen Kochshows nicht ertragen, nicht die vielen Talkshows, in denen sich in der Hauptsache blonde Damen mit Piepsstimmen an Lebensweisheiten überboten, er verachtete das Vorführen von Menschen in den „Suchsendungen“. „Koch sucht Köchin“, „Tochter sucht Pferd“, „Wer will mich heiraten?“ und wie die alle heißen. Er verscheuchte die Bilder schnell aus seinem Kopf.

      Im zu kurzen Bett des Gästezimmers schlief er sofort ein und träumte einen tüchtigen Mist zusammen. Man jagte ihn durch eine Art Wüste, in der aber Hochhäuser standen. Sandsturm ließ ihn nicht vorankommen. Da hörte er hinter sich ein Geräusch. Ein Schuss! Noch einer. Gisbert schreckte auf, stieg aus dem Bett und riss die Vorhänge auseinander. Es war heller Tag. Die Schüsse erwiesen sich als das Knallen von Abfalltonnen, die unten auf der Straße von Müllmännern und einem Spezialfahrzeug geleert wurden.

      Gisbert sah zur Uhr – sein Bruder werkelte längst in der Küche des Restaurants herum und bereitete das Mittagsgeschäft vor. Seit seiner Scheidung schmiss er das Familienunternehmen allein, hatte zwei Angestellte, und es ging ihm gut.

      Gisbert wurde schon mit einem deftigen Frühstück in der Gaststube erwartet.

      Müsli, Eier ohne Speck, Obstsalat und ein Rollmops.

      Sein Bruder brachte heißen Kaffee aus der Küche und setzte sich kurz zu ihm. „Mein Engel würde sagen: Wir sollten uns öfter mal sehen!“ Gisbert nickte mit vollem Mund. Draußen ein lautes Hupen. „Der Fischfritze aus Sassnitz!“

      Die ungleichen Brüder umarmten sich kurz.

      Gisbert frühstückte in Ruhe zu Ende. Er sah zum Tresen, wo ein Foto seiner Eltern hing, deren Lebenswerk das Lokal war. Sofort überkam ihn eine große Traurigkeit. Er griff zur Zeitung, die auf dem Tisch lag, um sich abzulenken.

      Im Polizeibericht las er, dass im vergangenen Monat die Zahl krimineller Delikte in Leipzig und Umgebung erheblich angestiegen ist.

      Im Gang des Polizeipräsidiums atmet Katharina kräftig durch. Und sofort lächelt sie, fühlt sich wohl. Das hier war ihr eigentliches Zuhause! Es riecht etwas muffig, aber selbst diesen Geruch vermisst sie. Der Paternoster ist außer Betrieb. Und auch der neue Fahrstuhl funktioniert nicht – was ist das für eine Scheiße! Sie quält sich durchs Treppenhaus die drei Etagen zur Kripo hinauf. Seitenstechen, Atemnot und der Kater von gestern zwingen sie auf dem letzten Absatz erst einmal in die Knie. Sie muss sich setzen. Schnaufend beginnt sie, noch ziemlich kraftlos, vor sich hin zu fluchen.

      Als zwei junge Polizistinnen in Uniform von unten kommend an ihr vorbeispringen, vergräbt sie ihr schweißnasses Gesicht in den Händen. Auf halber Treppe kehren die beiden plötzlich um. „Können wir helfen?“

      Katharina schüttelt stumm den Kopf und sucht schnaufend Deckung hinter ihrer unförmigen Handtasche.

      „Katharina?“

      Keine Antwort. Sie hofft, dass die beiden gleich wieder auf dem flotten Sprung hinauf sind.

      Die eine fragt die andere leise: „Kennste die?“

      „Einen Moment dachte ich, das ist unsere alte Chefin!“

      „Katharina die Große?“

      „Katharina – DIE ALTE!“

      „Komm!“ Die Schritte entfernen sich schnell nach oben. Katharina atmet auf. Das war Henriette – die hat oft für sie gearbeitet. Meine Güte: Dieses Tempo! Dabei ist die doch auch schon wenigstens 45?

      Was haben die hier immer mit ihrem Namen veranstaltet … Sie schmunzelt außer Atem. Katharina Schick. Als sie anfing, nannte man sie – natürlich hinter ihrem Rücken – die schicke Katharina. Später, als sie Hauptkommissarin wurde und immer mehr Erfolg in ihrem Job hatte, wurde sie Katharina die Große.

      Und zum Schluss Katharina DIE ALTE

      Sie rappelt sich auf und macht sich bereit zum Ende des Aufstiegs. Als sie endlich vor Ruppes Tür steht, hat sie den Eindruck, den Bastei-Felsen geschafft zu haben, ihren Lieblingsgipfel im Elbsandsteingebirge. Auf dem Gang ist nichts los. Zu ihrer Zeit kam es ihr manchmal so vor, als handele sich um den Leipziger Hauptbahnhof. Aber es ist eben Dienstag.

      Tote Hose! Katharina wartet eine Weile, bis ihr Herz nicht mehr so wummert und ihre Atmung nur noch der eines leichten Asthmatikers gleicht. Nach kurzem Klopfen, auf das niemand reagiert, öffnet sie vorsichtig die Tür und tritt ein.

      Ruppe steht am Fenster, mit beiden Hände hält er seinen schmerzenden Rücken fest. Katharina kennt das und muss grinsen. Besonders freundlich begrüßt sie ihren Nachfolger.

      „Morgen, Ruppe! Schön, dich zu sehen. Guter Tag, was? Alles ruhig.“

      Ruppe, der eigentlich Lothar Rupprecht heißt, was aber gar keiner so recht weiß, hat Katharinas Nachfolge angetreten, als die mit 67 endlich in den „wohlverdienten Ruhestand“ ging. Oder besser: gegangen wurde. Sie hätte doch weitergemacht, bis sie irgendwann an einem Tatort der Schlag getroffen hätte. Aber es gab viele Bürokraten in den Führungsetagen der Ämter. Und so wurde sie ehrenvoll verabschiedet.

      Ruppe erbte ihren Stuhl, auf dem sie fast nie gesessen hatte.

      Nun war der also Hauptkommissar. Und auch schon 59.

      „Scheißrheuma! Und das seit Montag – Scheißwoche!“ flucht er.

      Katharina grinst. Der hat ja so manches von ihr übernommen …

      „Was für eine Sprache! Bullendeutsch oder was?!“

      Ruppe dreht sich nun endlich um und schaut sie etwas entgeistert an.

      Sie zerrt die Rotweinflasche aus ihrer Handtasche, stellt sie auf den Tisch und geht zum Schrank.

      „Deine Laune wird sich sofort bessern!“

      Sie holt zwei Gläser hinter einem Aktenstapel hervor. Ruppe zischt: „Ich trinke nicht im Dienst.“

      Katharina schaut ihn echt verwundert an. „Seit wann?“ Er setzt sich auf Katharinas alten Stuhl, holt tief Luft und versucht, so leise wie möglich zu sprechen.

      „Ich bin erwischt worden. Es gab eine Verwarnung. Man hat mir sogar mit Vorruhestand gedroht. Das musst du dir mal überlegen …“ Noch bevor sich Katharina über solchen Unsinn beklagen kann, klingelt das Telefon. Ruppe nimmt den Hörer ab.

      „Ja?


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