Ein Schloss im Meer - Gästebuch der Familie von Hütterott. Detlef Gaastra
Möglichkeit wäre auch, dass er als Protestant vom katholischen Bildungsangebot in der der Stadt ausgeschlossen war und darum wie auch seine nichtkatholischen Freunde im Ausland seine Ausbildung fortsetzte. Im Januar hat Georg noch die „Realclasse“ in Triest besucht. Im September schreibt ihm seine Tante Amalie Coester aus Frankfurt, dass er sich melden soll, wenn er in Braunschweig eingetroffen ist. Aus den Briefen erfahren wir aber einiges über Georgs Beschäftigungen. So scheint er in einem Ruderclub gewesen zu sein, hat Käfer gesammelt und Cello gespielt. Das Musizieren scheint er später aber gänzlich eingestellt zu haben, denn es liegen keine Mitteilungen über ein musikalisches Interesse vor.
1872
Im März dieses Jahres schreibt ein „getreuer Johann“ an Georg. Leider lässt sich aus dem Brieftext aber nicht ersehen, wo sich Georg aufhielt. Der Familienchronik können wir entnehmen, dass Georg 1869 von seinem Vater zur weiteren Ausbildung zu einem Geschäftsfreund namens Schmidt nach Antwerpen geschickt wird. Von dort beobachtet er den deutsch-französischen Krieg. Wer sich hinter dem Namen „Johann“ verbirgt, kann nicht festgestellt werden. Dem Inhalt des Briefes nach muss es sich um einen Verwandten handeln, vielleicht einen Küchler, der Partner seines Vaters war und dessen Söhnen er das väterliche Geschäft überträgt. Jedenfalls erhält Georg genaue Anweisungen, wie er seine Rückreise nach Triest zu gestalten hat und welche Familienmitglieder er besuchen soll. Auch bekommt er Adressen, wo er sich Geld für die Weiterfahrt leihen kann. Zu einer Zeit, als die Kreditkarte das Reisen noch nicht vereinfachte, war das eine sehr wichtige Information. Es zeigt aber auch die Strukturen innerhalb der Familie. Hilfe wurde geboten und es gab Möglichkeiten der Verrechnung. Erinnern wir uns, dass es zu dieser Zeit in Deutschland noch keine einheitliche Währung gab. Diese Rückreise wird aber auch zur Festigung bestehender Geschäftsverbindungen genutzt. So soll Georg Herrn Eichhoff in Essen besuchen, der Direktor bei Krupp ist. Vielleicht wurde bei dieser Gelegenheit die Verbindung zu Arthur Krupp geknüpft, dem Leiter der österreichischen Kruppniederlassungen. Am 1. Februar erhält er durch Vermittlung einer Frau E. Königs eine Einladung zum Ball bei den „Eheleuten Lynen“. Da Begleitschreiben ist von Frau Königs mit dem Zusatz „geb. Günther“ versehen. Es könnte sich somit um eine Tochter seines Schuldirektors handeln, womit auch belegt wäre, dass die Ausbildung in Braunschweig auch Türen im Ausland öffnete.
Von den nachfolgenden Jahren sind bisher noch keine Dokumente aufgefunden worden. Besonders Unterlagen über die Weltreise Georg Hütterotts würden sicherlich eine Menge Informationen zu seinem späteren Lebensweg und seiner beruflichen Entwicklung geben.
1879/1880
Aus diesem Jahr liegen uns die ältesten Dokumente des Ehepaares Marie und Georg Hütterott vor, nämlich zwei Rechnungen, die die Ausstattung des jungen Hausstandes betreffen. Das Ehepaar heiratete im September 1879 in Frankfurt/M. Am 20. November dieses Jahres wurde von der Hof- und Kunsttischlerei Alexander Albert in Wien eine Rechnung über die Lieferung eines Speisezimmers, das u.a. aus einem Tisch, ausziehbar für 18 Personen und 12 Speisesesseln bestand, ausgestellt. Die Firma Anton Fix aus Wien stellte im Januar 1880 eine Rechnung für die Lieferung des Schlafzimmers, Ergänzungen zum Speisezimmer, Wohnzimmer, Salon und Fremdenzimmer aus. Wie aus der Familienchronik bekannt ist, bezog das junge Paar kein eigenes Haus in Triest, sondern zog zum verwitweten Vater in die „Villa Adele“. Es ist erstaunlich, dass die neuen Möbel in Wien gekauft werden, und nicht in Triest, obwohl die Stadt zu dieser Zeit schon zu den größten und vornehmsten Städten der Donaumonarchie gehörte und sicherlich auch über entsprechende Handwerksbetriebe verfügte.
Marie von Hütterott hat diese Rechnungen wahrscheinlich aus Sentimentalität aufgehoben.
Das bedeutendste Ereignis für die Familie Hütterott war sicherlich die Ernennung Georgs zum ersten (und auch jüngsten) Konsul Japans in Europa. Auf seiner Weltreise hatte er sich auch längere Zeit in Japan aufgehalten und dort in Kontakt zu Wirtschafts- und Regierungskreisen gestanden. Georgs Vater war in Triest Konsul von Peru.
1882
Für dieses Jahr liegt ein von Hanna kopierter Brief ihres Großvaters Albert Keyl vor. Er hat Tochter und Schwiegersohn in Triest besucht und das neue Heim (gemeint sind wohl die Wohnräume des Ehepaares in der „Villa Adele“) inspiziert und nach der Enkeltochter Hanna gesehen. Auf der Rückreise über Wien (nicht ungewöhnlich, denn es gab eine direkte und sehr bequeme Eisenbahnverbindung Triest-Wien) besucht er Baron von Sigmundt und Otto und Paul Seybel. Diese Namen tauchen später auch im Gästebuch auf. Seybels scheinen Freunde gewesen zu sein, während Georgs Schwester Amalie mit Eduard von Sigmundt verheiratet war. Da Eduard als Kaufmann in Triest genannt wird, könnte der im Brief erwähnte Baron Sigmundt dessen Vater sein. Auch Vater Keyl scheint auf die Verbindungen der Hütterotts in Triest zurückgegriffen zu haben. Da er ein international tätiger Kaufmann war, sah er in solchen Verbindungen sicherlich auch geschäftliche Vorteile.
Hochzeit Georgs Schwester Amalia mit Edmund von Sigmundt
1885
Ein größeres Konvolut an Briefen liegt für dieses Jahr vor, die Monate Januar bis September umfassend. Von den drei fehlenden Jahren verbrachte das Ehepaar zwei Jahre auf einer Fernostreise. Aus Gesundheitsgründen hatte ein Schweizer Spezialist Georg eine längere Reise in südlichere Gefilde empfohlen. Ich bezweifele den medizinischen Sinn dieser Reise, sondern vermute eher, dass Georg einen Grund suchte, noch einmal eine große Reise nach China und Japan zu unternehmen, Länder, die schon bei der Weltreise sein besonderes Interesse fanden.
Er konnte sicher sein, dass der Vater für den Fortgang der Geschäfte sorgen würde, die er später immer noch übernehmen könnte. Es verwundert allerdings, dass die Eltern ihre erst zwei Jahre alte Tochter in der Obhut des Großvaters zurücklassen. Sicherlich war der Großvater im Umgang mit Kindern nicht ungeübt, hatte er doch seine Frau verloren, als Georg erst 12 Jahre und die jüngste Tochter 7 Jahre alt waren.
Einige Korrespondenz stammt von Freunden, die auf der Reise in Japan und Hong Kong gewonnen wurden. Diese Briefe sind sowohl in Deutsch wie auch in Englisch verfasst. Die Bekanntschaften haben sich demnach nicht nur auf die Deutsche Kolonie beschränkt. Mit Ausnahme von Curt Netto wurden diese Kontakte aber nicht über einen längeren Zeitraum fortgesetzt. Diese Briefe sind aber informativ, was das Leben der Deutschen im Fernen Osten betrifft.
Den Briefen der Familienangehörigen ist zu entnehmen, dass besonders Marie wohl einen sehr intensiven Briefwechsel geführt hat. Neben viel Familienklatsch erfahren wir aber auch, dass Hanna bereits 1885 von ihrer Mutter Klavierunterricht erteilt bekam. Besonderes musisches Interesse scheint dabei aber wohl nicht geweckt worden zu sein, denn spätere Beschäftigung mit Musik lässt sich den Briefen nicht entnehmen. Die Großmutter in Frankfurt, wie auch die dort wohnenden Carlotta und Clara berichten ausführlich über Opern- und Konzertbesuche. Bei einigen Briefen handelt es sich auch um Glückwünsche zu Maries Geburtstag. Auffallend ist, dass sehr viele Briefe zu den Geburtstagen Marie Hütterotts am 5. Juni erhalten geblieben sind. In diesem Jahr ist das Hauptthema natürlich die Rückkehr nach Triest und die gemeinsame Feier mit der inzwischen fünfjährigen Hanna. Aus dem Mai dieses Jahres liegt auch der erste Brief von Elsie Metzler, der späteren Frau von Wendland vor, die die interessantesten Briefe schreibt und eine sehr genaue Beobachterin der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in Europa ist. Leider haben sich von ihr nur wenige Schreiben erhalten. 1895 heiratet auch die Schwester Emma, von der sich im Archiv eine große Zahl von Briefen erhalten hat.
1886
Die ersten Briefe dieses Jahres stammen aus Hong Kong von verschiedenen Absendern. Aber alle bedanken sich für Weihnachtsgeschenke. Demnach haben Hütterotts ihre Freunde dort mit ausgefallenen Gaben bedacht. Nur in einem Brief wird das Geschenk erwähnt, nämlich ein Kissen für das Sofa. Die anderen Beschenkten hüllen sich in Schweigen. Diese Dankesbriefe bieten dann für die Verfasser die Gelegenheit, über das Leben in der Kronkolonie zu berichten. Wir erhalten dadurch einen Einblick, womit sich die deutsche Kolonie beschäftigte und die Zeit vertrieb. Der letzte Brief aus dem Fernen Osten datiert aus dem Oktober 1886. Die Kontakte scheinen eingeschlafen