Phantombesuch. Gaby Peer

Phantombesuch - Gaby Peer


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zu planen. Und ich habe schon gar keine Kraft, um große Diskussionen zu führen. Es würde vermutlich auch länger dauern, bis ich hier alles organisiert hätte. Ich möchte diesen schlimmen Tag so schnell wie möglich hinter mich bringen. Außerdem fühle ich mich Manuel sowieso nirgendwo so nahe wie hier im Haus. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, dass er direkt neben mir steht.“

      Elena sah Belinda fest in die Augen und überlegte kurz, ob sie etwas von der Gestalt sagen sollte. Aber sie wollte nicht, dass Belinda auf die Idee kam, dass sie zu fantasieren begann. Elena hatte ja selbst ein Problem damit, zu glauben, was sie gesehen hatte. Oder hatte sie die Gestalt nicht wirklich gesehen? Verflixt! Wie sollte ihr dann jemand anderes glauben können? Belinda war eine bodenständige, realistische und weltgewandte Frau. Die glaubte sicher nicht an Geister und Co.

      Alles war ruhig. Die Kinder schliefen schon, Belinda musste ganz plötzlich wegen eines dringenden Notfalls ins Krankenhaus und Elena saß gedankenverloren auf dem Sofa. Sie versuchte nicht daran zu denken, aber sie konnte nicht anders. Sie wünschte sich so sehr, dass Manuel – die Gestalt – wieder auftauchen würde. Auch wenn sie Angst hatte, sich danach wieder vollkommen verwirrt und verrückt zu fühlen, wünschte sie es sich doch sehnlichst. Es war so ein wunderschönes Gefühl gewesen, Manuel zu sehen. Sie presste beide Hände vor die Augen und ermahnte sich, die Fassung zu bewahren. Ich habe zwei wunderbare Kinder, die mich brauchen. Sie brauchen eine Mutter, die mit beiden Beinen auf dem Boden steht, sie beschützt, tröstet und ihnen auf ihrem Weg ins Leben zur Seite steht. Ich kann es mir nicht leisten, mich in eine Fantasiewelt zu flüchten, versuchte sie vernünftig zu denken. Dann setzte sie sich aufrecht hin mit dem festen Willen, für ihre Kinder stark zu sein, und erstarrte mitten in der Bewegung. Auf der Terrasse stand die Gestalt – Manuel, ganz eindeutig Manuel – und schaute mit einem Lächeln zu ihr. Nach der ersten Schrecksekunde wollte Elena aufstehen und in Richtung Terrassentür laufen. Manuel schüttelte den Kopf. Also setzte sie sich wieder hin, ohne die Gestalt aus den Augen zu lassen. Sie wollte auf gar keinen Fall etwas tun, womit sie Manuel wieder verscheuchen würde.

      Sie sahen sich sehr lange an – beide ließen den anderen nicht aus den Augen. Sie bewegten sich nicht – Elena traute sich nicht einmal, richtig mit den Augen zu zwinkern. Sie taten ihr von dem Starren schon richtig weh. Dann setzte sich die Gestalt in Bewegung, schickte ihr einen Luftkuss, hob den rechten Arm und machte eine Geste, die so viel wie „Bleib“ heißen sollte.

      Elenas Herz raste – es drohte aus dem Brustkorb zu springen. Sie hyperventilierte und hatte mit Atemnot zu kämpfen. Irgendwann – wie lange sie so erstarrt dagesessen hatte, hätte sie im Nachhinein nicht sagen können – erhob sie sich vom Sofa, lief zur Terrassentür und schob sie auf. Sie hatte so zittrige Beine, dass sie das Gefühl hatte, jeden Moment zu kollabieren. Nichts, es war nichts zu sehen. War das wirklich nur Einbildung? Nein, sie fühlte sich glücklich, aber ihr Verstand flüsterte ihr unbarmherzig ins Ohr, dass es keine Geister gebe. „Du bildest dir das nur ein!“ Verstand und Gefühl führten einen unerbittlichen Kampf und sie wollte so sehr, dass das Gefühl sie nicht täuschte. Ich hab ihn doch gesehen – ich habe ihn mit meinen eigenen Augen gesehen, so wie ich jetzt die Palme auf der Terrasse erkenne. Genauso deutlich und klar habe ich Manuel gesehen. Verdammt, ich bilde mir das nicht nur ein.

      11

      Die Beerdigung war wirklich schön gestaltet und unglaublich viele Menschen waren gekommen, um Manuel auf seinem allerletzten Weg zu begleiten. Elena kannte die meisten nicht. Verwandte, viele Bekannte und alte Freunde, die sie noch nie gesehen hatte, schüttelten ihre Hand. Manche Hand packte sie zwischendurch an ihrem Oberarm und drückte Mut machend zu. Elenas Familie stand um sie herum und sie hielt die meiste Zeit ihre beiden Kinder an der Hand. Die Tabletten, die Belinda ihr heute gegeben hatte, hüllten sie in einen flauschigen Wattebausch. Belinda stand auf der anderen Seite des Grabes neben ihren Schwiegereltern, aber sie suchte immer wieder Elenas Blick und nickte ihr ermutigend zu.

      Die Rede des Pfarrers war sehr rührend. Ein paarmal erwähnte er, wie wichtig die beiden Kinder für Manuel waren. Über seine beruflichen Erfolge wurde viel erzählt, auch über die vielversprechenden Pläne, die er noch hatte. Auf sein großes, mitfühlendes Herz kam der Priester ebenfalls ausführlich zu sprechen. Ein großer Teil seiner Rede handelte von Manuels wichtiger Rolle als Sohn – der große Stolz seiner Eltern. Nur Elena wurde mit keinem Wort erwähnt. Bestimmt war diese Tatsache allen aufgefallen, aber keiner sagte etwas – auch niemand aus ihrer Familie. Wahrscheinlich hoffte jeder, dass Elena es nicht bemerkt hatte.

      Elena war ganz in Gedanken versunken. Sie hoffte inständig auf ein nächstes Treffen. Sie hoffte so sehr, dass Manuel sie wieder besuchen würde, dass sie kaum auf die Vorgänge um sie herum achtete. Ob er seine Eltern auch besucht? Oder vielleicht sogar seine Kinder? Selina und Lois hätten mir sicher davon erzählt. Obwohl – bestimmt nicht, wenn er ihnen damit gedroht hatte, dass er dann nicht mehr kommen würde, davon war Elena überzeugt. Sie hatte inzwischen beschlossen, die Erscheinung nicht mehr zu bezweifeln. Ja, sie hatte Manuel ganz klar und deutlich gesehen. Daran glaubte sie unumstößlich. Sollte sie sich jemandem anvertrauen? Nur Julia, Irina oder Belinda kamen infrage – sonst niemand. Das war für Elena klar. Aber wenn sie überlegte, was sie selbst noch vor vierzehn Tagen über so eine Aussage gedacht oder gesagt hätte – nein, sie würden ihr nicht glauben. Sie würden die Erscheinung für Hirngespinste halten.

      „Mami, Mami!“ Selina zog heftig an Elenas Hand. Sie musste wohl schon länger versucht haben, mit ihr zu sprechen.

      Julia bückte sich zu Selina und fragte leise: „Mäuschen, was ist?“

      „Warum redest du denn nicht mit mir?“

      „Ich rede doch mit dir, mein Schatz.“

      „Du hast gesagt, dass Papi im Himmel ist.“

      „Ja, das ist er auch.“

      „Aber Oma hat gesagt, dass er in der Kiste liegt. Dann kann er ja auch wieder herauskommen.“

      „Ja, sein Körper ist tatsächlich in dem Sarg, aber –“, weiter kam Elena nicht.

      „Hol Papi raus!“, schrie Lois plötzlich so laut, dass alle erschrocken in ihre Richtung schauten. In dem Moment fingen die Friedhofsangestellten an, den Sarg in das Grab herabzulassen.

      Selina riss sich los, rannte zu einem der Männer und zog an seinem Mantel. „Aufhören, nicht in das Loch tun. Mach die Kiste auf. Mein Papa möchte wieder raus. Ich will ihn wiederhaben.“

      Lois rannte zu seiner Schwester und schrie: „Papa ist nicht im Himmel. Papi ist in der Kiste!“

      Alle waren von der Szene so erschüttert, dass es einen ganzen Moment dauerte, bis endlich jemand in der Lage war, zu reagieren. Julia schaffte es als Erste, zu den beiden zu laufen und sie schützend in den Arm zu nehmen. Sie flüsterte ihnen etwas ins Ohr, zog sie vom Grab weg und ging dann mit ihnen langsam in Richtung Friedhofsausgang. Julias Töchter, Sarah und Doreen, folgten den dreien weinend und schweigsam.

      Elena sah ihnen hinterher und wäre am liebsten ebenfalls auf der Stelle gegangen. Aber trotz des Nebels in ihrem Kopf realisierte sie, dass sie diesem Drang nicht nachgeben durfte. Der Anstand erlaubte es nicht – sie musste durchhalten und sich vor allen Anwesenden anständig von Manuel verabschieden. Innerlich sehnte sie sich aber so sehr nach dem Moment, in dem sie endlich wieder auf ihrem Sofa sitzen und auf die Terrassentür starren konnte, um auf Manuel zu warten.

      Plötzlich erreichte die eben geschehene Szene ihr Bewusstsein. Mit einem Schlag wurde ihr klar, dass ihre Kinder unfassbar litten und sie nicht in der Lage war, etwas dagegen zu tun. Sie lebte nur noch für den Augenblick, Manuel wiederzusehen. Sie war eine schlechte und egoistische Mutter. Dieser Gedanke tat so weh, dass sie laut aufschluchzen musste.

      Jens, der gerade vor dem Grab Abschied genommen hatte, ging spontan zu Elena und umarmte sie. Dankbar lehnte Elena ihren Kopf an seine Schulter und blieb für eine Weile so stehen. Als sie den Kopf hob und versuchte, etwas durch den Tränenschleier zu erkennen, sah sie direkt in Renates Gesicht, die sie hasserfüllt anstarrte. Da wurde Elena bewusst, dass sie sich in den Augen ihrer Schwiegermutter an einen Mordverdächtigen


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