Phantombesuch. Gaby Peer
du nicht eingehen.“
„Schade, das wäre jetzt genau die richtige Aufgabe für mich gewesen, um mich abzulenken. Aber wahrscheinlich muss ich ja sowieso wieder richtig Geld verdienen. Die alten Schraders haben große Sorge, dass ich etwas von ihnen verlangen könnte. Du hast recht, meine Kinder brauchen mich.“
„Ach, komm, Manuel hat doch sicher bestens für euch vorgesorgt. Ihr werdet sicher keine Not leiden oder als Bittsteller auftreten müssen. Für die Kinder werden die Alten schon sorgen, sobald sie ihren Beweis haben, dass die beiden Manuels Kinder sind.“
Elena fing an zu weinen und schrie wütend: „Was bilden die sich ein, mich zu verdächtigen, dass ich Manuel betrogen hätte? So ein Schwachsinn – ich habe ihren Sohn über alle Maßen hinaus geliebt. Das hätten sie doch in all den Jahren spüren müssen. Aber ich glaube, dass Fühlen für die ein Fremdwort ist. Gefühle sind verpönt – vermutlich sind sie in ihren Augen etwas ganz Unanständiges und selbstverständlich etwas völlig Überflüssiges. Sie sind ein Zeichen von Schwäche. Scheiße, Belinda! Ich ärgere mich schon wieder über die Alten. Ich habe Manuel ganz fest versprochen, keine Träne mehr wegen ihnen zu vergießen. Aber sie sind so bösartig. Du, ja, du hättest natürlich alle ihre Erwartungen an eine Schwiegertochter mehr als erfüllt. Und jetzt, in dieser schrecklichen Situation, bist du ja auch wieder die große Stütze, die Beste, ein Engel mit Niveau.“
„Das ist aber nicht mein Plan. Das bezwecke ich nicht damit. Ich kann dir auch nicht sagen, wie ich da hineingerutscht bin. Es stimmt, sie sind immer korrekt zu mir gewesen – nicht herzlich, aber freundlich und die beiden taten mir so leid, als ich ihnen mein Beileid aussprechen und eigentlich nur höflich nachfragen wollte, ob ich irgendetwas für sie tun kann. Sofort haben sie sich festgesaugt und jetzt fühle ich mich irgendwie in der Pflicht, mich um sie zu kümmern. Ich könnte sagen, dass ich mich für sie verantwortlich fühle. Sie haben ja sonst niemanden. Meinst du im Ernst, eure Beziehung wäre jetzt anders, wenn ich nicht aufgetaucht wäre?“
Elena dachte kurz nach. „Nein, Belinda, ganz ehrlich gesagt – nein. Das glaub ich nicht. Mach nur, es ist schon in Ordnung.“
„Ich versuche ja auch zwischen euch zu vermitteln. Ich nehme dich immer wieder in Schutz, was ihnen natürlich überhaupt nicht passt. Ach ja, hier eine Information für dich – nur dass du verstehst, wie sehr du mir glauben kannst – quasi als Beweis dafür, dass du mir blind vertrauen kannst. „Sie möchten von den Kindern Haarproben für einen Vaterschaftstest. Manuels Haar haben sie bereits aus der Bürste, die in seinem alten Badezimmer liegt, sichergestellt. Die hat er ja immer noch benutzt, wenn er beziehungsweise ihr dort übernachtet habt. Um ganz sicher zu sein, müssten wir eigentlich wissen, ob nicht auch du diese Bürste benutzt hast – daran haben die beiden natürlich nicht gedacht, ich aber schon. Ich will es ihnen nicht unter die Nase reiben, darum frage ich dich ganz im Vertrauen: Hast du diese Bürste benutzt?“
„Das kann ich sogar mit absoluter Sicherheit sagen: Ich wollte in diesem Haus so wenig wie möglich vorgesetzt bekommen, also habe ich alles, was ich gebraucht habe, mitgebracht – Zahnbürste, Shampoo, Handtücher und auch eine Bürste. Das Gleiche gilt auch für Selina und Lois.“
„Ich verstehe. Niemand sonst sollte an sie herangekommen sein, also dürften darin nur Manuels Haare sein. Nun zu den Kindern: Ich will das nicht – wie die Alten es von mir verlangen – heimlich machen. Gibst du mir bitte ihre Haarproben?“
„Aber sicher, ich habe ja nichts zu befürchten. Danke, Belinda, vielen lieben Dank, dass du so ehrlich bist. Du bist für mich wirklich zu der wichtigsten Person in dieser furchtbaren Zeit geworden. Ich erzähle dir Sachen, die ich sonst keinem – nicht einmal meiner Schwester – erzählen würde. Manchmal, wenn du gegangen bist und ich darüber nachdenke, was ich dir alles erzählt habe, denke ich, dass ich verrückt sein muss. Die intimsten Dinge plaudere ich aus. Aber ich muss schon sagen, dass du eine unheimlich geschickte Taktik hast, mir diese Dinge zu entlocken.“
„Danke, Elena. Das mache ich aber nicht aus Neugier, sondern weil ich weiß, dass reden in deiner Situation am meisten hilft. Es tut dir gut.“
„Ja, es ist tatsächlich so, als ob ich alles noch einmal erleben dürfte. Alles kommt mir während des Erzählens so real und lebendig vor. Es fühlt sich so vertraut an und ich bestätige mir damit selbst, dass ich das alles tatsächlich so erlebt habe – dass ich mir all diese wunderbaren Szenen nicht nur einbilde. Es ist ganz komisch – auf der einen Seite macht mich das Erzählen unendlich traurig und auf der anderen Seite tut mir die Aufarbeitung, wie du es nennst, sehr gut.“
Belinda lächelte Elena zuckersüß an und diese stellte sich wieder einmal die Frage, warum Julia Belinda so misstraute.
„Du hättest Psychotherapeutin werden sollen. Du hast ein echtes Talent, Menschen, ohne aufdringlich zu werden, zum Sprechen zu bringen und ihr Innerstes nach außen zu kehren. Ich bin froh, dass es dich gibt. Du bist ein richtiger Segen und ich werde nie vergessen, wie du mir in dieser schweren Zeit zur Seite gestanden hast. Ich wünsche dir um Himmels willen nichts Böses, aber wenn du irgendwann einmal Probleme haben solltest, werde ich Tag und Nacht für dich da sein.“
„Ich danke dir. Wie geht es den Kleinen?“
„Na ja, was soll ich sagen? Ich habe das Gefühl, dass das Buch wahre Wunder bewirkt hat. Morgen werde ich noch eines zu diesem Thema kaufen. Das Lesen hilft sogar mir ein Stück weit. Ein Kinderbuch, denk mal.“
„Warum denn nicht? Das ist doch gut, Elena. Es ist vollkommen egal, was hilft, die Hauptsache ist doch, dass du überhaupt etwas für dich findest, was dir über die Runden hilft.“
„Ja, schon, aber ich hab sowieso schon das Gefühl, so kurz vor dem Durchdrehen zu stehen. Stell dir vor, heute habe ich zwanzig Flaschen von Manuels Lieblingsparfüm gekauft. Die Verkäuferin hat mich angeschaut, als ob ich nicht alle Tassen sortiert hätte. Das ist ihr sicher noch nie passiert. Zudem ist dieses Parfüm echt nicht billig. Aber ich sprühe jeden Tag seine Bettwäsche und alles Mögliche damit ein, sodass Manuels Duft ständig präsent bleibt. Der Geruch darf niemals verloren gehen, verstehest du? Verrückt, oder? Das denkst du doch jetzt, stimmt’s?“
Gedankenverloren sagte Belinda vor sich hin: „Parfüm, na klar, Parfüm.“
„Belinda?“
„Ja, nein – mein ich doch. Nein, es ist nicht verrückt, Elena. Manuel hat schon zu unserer Zeit immer großen Wert auf gute Düfte gelegt. Damals war es – ja, was war noch mal sein Lieblingsduft? Lass mich kurz überlegen.“
„Fahrenheit – es war Fahrenheit Classic und den Duft habe ich schon an dem Tag unseres Kennenlernens tief in mich eingesogen. Niemals hat er ein anderes Parfüm benutzt.“
„Kenne ich nicht. Gibt es da verschiedene?“
„Ja klar, aber wie bereits gesagt, hat Manuel immer nur das Classic benutzt. Es ist so herb, so männlich und gemischt mit seinem eigenen Geruch – ich kann dir sagen, diese Mischung hat mich stets ordentlich angetörnt. Ich konnte mich kaum im Zaum halten. Ich hätte manches Mal ganz animalisch mitten am Tag über ihn herfallen können. Entschuldigung“, stammelte Elena errötend.
„Mädchen, hör auf, dich dauernd zu entschuldigen. Ihr zwei seid ganz speziell füreinander gemacht worden. Freu dich doch, dass du so eine besondere Liebe erleben durftest. Die meisten Menschen träumen ihr Leben lang von so einer Beziehung – so einer intensiven, ehrlichen, freien und auch fröhlichen Liebe. Eine Liebe, die es sonst nur in kitschigen Filmen gibt, ist für euch die Realität gewesen. Du hattest – ihr hattet ein wahnsinniges Glück.“
„Nur zu kurz und ich werde so etwas nie mehr erleben. Kein Mann würde jemals auch nur annähernd Manuels Maße erreichen. Ich werde auch ganz sicher niemals das Bedürfnis nach einer Beziehung mit einem anderen Mann haben. Ich werde bis an mein Lebensende zu Manuel gehören.“
Die Zeit verging wie im Flug und Elena schaute erschrocken auf die Uhr. „Ich muss schnell das Abendessen für die Kinder richten, denn sie müssen ja schon bald ins Bett gebracht werden. Für das Vorlesen muss ich zurzeit auch immer eine gute halbe Stunde, wenn nicht