Phantombesuch. Gaby Peer

Phantombesuch - Gaby Peer


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Zeit in Anspruch und du siehst heute sehr müde aus.“

      „Ja, die Sache mit unserer Geheimaktion hat mich sehr geschlaucht.“

      „Ich hoffe sehr für euch, dass alles gut geht. Ich will dich nicht rausschmeißen …“

      „Schon gut, Elena, ich verstehe ja, dass du für die Kinder Ruhe einkehren lassen möchtest. Das machst du ganz richtig.“

      „Danke für dein Verständnis, Belinda.“

      „Ja, ja, es gibt wohl Wichtigeres, als dich um deine beste Freundin zu kümmern“, scherzte Belinda und zwinkerte Elena zu, die prompt errötete.

      Endlich schliefen die Kinder. Es hatte extrem lange gedauert, weil sie Elena beim Lesen immer wieder unterbrochen hatten. Nicht mit Zwischenfragen, nein – sie erklärten ihr immer wieder ganz genau, wie sie das Gelesene verstanden hatten, was zum Teil hochinteressant war. Auf was für Gedanken so kleine Knöpfe kommen. Echt erstaunlich, wie sie sich alles passend zurechtlegen. Diese einfache Denkstruktur, dieses leichte Akzeptieren. Elena fand es beneidenswert. Meistens ist nichts von dem so furchtbar kompliziert, wie es die Erwachsenen sehen. Kinder hinterfragen nicht alles mit dem Verstand, sie müssen nicht alles genauestens analysieren. Sie können sich noch ganz einfach auf ihr Bauchgefühl einlassen. „Wenn ich das doch nur auch könnte“, murmelte Elena traurig.

      Gut, dass sie sich schon alles zurechtgelegt hatte. Sie schlüpfte blitzschnell in ihr Kleid, behängte sich mit Manuels Lieblingsschmuck – auch die sehr intime Geschichte, wie Manuel ihr diese Kostbarkeit geschenkt hatte, kannte Belinda schon – und schminkte sich nicht gerade sorgfältig. Heute musste es so in Ordnung sein. Dann rannte Elena die Treppen ins Erdgeschoss hinunter. Im Wohnzimmer machte sie gefühlte hundert Kerzen an und bereitete ein großes Schild vor. „ICH LIEBE DICH“, schrieb sie in großen roten Buchstaben darauf und verzierte es mit vielen Herzchen. Ganz außer Atem setzte sie sich schließlich in Pose auf das Sofa und wartete.

      Sie musste sich nicht lange gedulden – das gewohnte Bild tauchte vor dem Fenster auf und das Herz schlug ihr wie jeden Abend bis zum Hals. Es drohte nahezu herauszuspringen. Elena zitterte vor Aufregung und Freude. Sie dachte auch nicht mehr darüber nach, ob sie bereits verrückt war oder ob sie gerade dabei war, es zu werden. Sie hatte einen Plan und heute fing sie mit der Umsetzung ihres Vorhabens an.

      Manuel lächelte ihr zu. Sie hob ihr Schild hoch und wartete gespannt. Manuel lächelte so süß, schickte ihr viele Küsschen und formte aus seinen Händen ein Herz. Elena wollte aufstehen, aber noch bevor sie sich vollends aufgerichtet hatte, machte Manuel eine erschrockene, abwehrende Bewegung, die sie zwang, sich augenblicklich wieder hinzusetzen, wenn sie nicht riskieren wollte, dass er schon wieder verschwand. Er schien sich wieder zu entspannen und Elena zeigte augenzwinkernd auf ihre Halskette. Manuel schaute erstaunt und, wie ihr schien, fragend auf den Schmuck. Dann erinnerte er sich wohl, zeigte mit dem Daumen nach oben und formte wieder ein Herzchen aus seinen Händen. Sie sahen sich noch eine ganze Weile an, während Elena Tränen über die Wangen liefen. Sie deutete eine Umarmung an und zeigte zuerst auf ihn und dann auf sich. Manuel schüttelte den Kopf verneinend, ließ ihn hängen und ging mit sehr langsamen, traurigen Schritten davon.

      Von diesem Tag an ließ sich Elena für jeden Abend etwas Besonderes einfallen und war sich sicher, dass der Tag kommen würde, an dem Manuel sie in seine starken Arme schließen würde. Egal welchen Gesetzen er in dieser anderen, fremden Welt unterlag – er würde diese Gebote für sie eines Tages missachten. Sie würde es schaffen, da war sich Elena absolut sicher.

      13

      Die Beamten tauchten immer wieder auf. Sie schienen sich im Kreis zu drehen, denn es gab keine Fortschritte in ihren Ermittlungen.

      „Jens Holder ist auf jeden Fall unschuldig, Frau Schrader. Er wurde zwei Tage vor dem Unfall Ihres Mannes als Notfall am Blinddarm operiert. Er lag noch gefesselt an Schläuche im Krankenhaus, als der Unfall passierte.“

      „An seiner Unschuld habe ich auch nie gezweifelt. Jens ist ein ganz sanfter Mensch, der keiner Fliege etwas zuleide tun kann. Solche Männer nennt man in unserer Zeit auch Weichei oder Waschlappen.“

      „Wir tappen im Dunkeln – überall bekommen wir die gleichen Lobeshymnen zu hören. Ihr Mann muss ein wahres Wunderwerk gewesen sein.“ Sein Kollege sah ihn entsetzt an. „Entschuldigung, Frau Schrader, das war nicht böse gemeint. Aber so etwas ist uns noch nie passiert. Es fällt wirklich kein böses Wort, keine Andeutung, es gibt keine verräterische Miene, keine komischen Blickwechsel. Alle Aussagen wirken so überzeugend ehrlich. Es gibt nicht die leisesten Verdachtsmomente. Das ist für uns natürlich zum Verzweifeln.“

      „Hab ich doch gesagt – aber es wäre mir schon sehr wichtig, dass Sie den Mörder finden und er seine gerechte Strafe bekommt. Ich wäre Ihnen sehr gerne behilflich, bitte glauben Sie mir.“

      „Wenn Sie uns absolut alles, auch die allerkleinste Auffälligkeit, mitteilen würden, dann wäre uns schon sehr geholfen. Auch wenn Ihnen im Moment etwas nicht so wichtig oder erwähnenswert scheint, für uns könnte jeder kleinste Hinweis hilfreich sein.“

      „Ich denke doch schon die ganze Zeit darüber nach und ich werde es auch weiterhin tun. Ich lasse mir die letzten Tage vor dem Unfall immer und immer wieder durch den Kopf gehen. Ich denke über jede Minute – jede Sekunde – ganz akribisch nach. Ich durchlebe sie quasi noch einmal, was mich unendlich viel Kraft kostet.“

      „Ein wichtiges Indiz kann aber auch schon länger zurückliegen. Denken Sie bitte intensiv nach. Wir melden uns wieder.“

      Von Belinda, die fast täglich kam, bekam Elena die Bestätigung, dass Selina und Lois zu 99,9 Prozent Manuels Kinder waren. Natürlich war das keine Überraschung – jeder Blinde hätte es gesehen. „Als ob ich an der Produktion kaum beteiligt gewesen wäre“, lächelte sie vor sich hin. „Seine Gene haben voll durchgeschlagen. Schön, wie schön. Und meine lieben Schwiegereltern, sind sie denn jetzt auch endlich beruhigt und zufrieden?“

      „Ja, sie haben sofort den alten Söder angerufen. Du weißt doch, das ist ihr alter Haus- und Hofanwalt, der sich jeden Abend aus Frust über sein böses Weib furchtbar betrinkt. Der wird in den nächsten Tagen zu ihnen kommen, um ein neues Testament zu verfassen.“

      „Ja, sie müssen auf jeden Fall dafür sorgen, dass die proletarische, ungebildete Schwiegertochter nichts von ihrem Vermögen erbt. Du kannst ihnen ausrichten, dass die böse Schwiegertochter ganz sicher nichts annehmen würde. Für die Kinder ja, aber ich will nichts – GAR NICHTS!“

      „Weiß ich doch, Elena. Reg dich nicht so auf!“ Belinda lächelte kopfschüttelnd. „Ich soll die Kinder einmal zu ihnen bringen. Ist es dir recht?“

      „Mir schon, aber ich werde sie nicht zwingen. Ich würde rein gefühlsmäßig vermuten, dass ihre Sehnsucht nach den Alten nicht sonderlich groß ist.“

      Als Belindas Handy klingelte, nahm sie es in ihrer sehr grazilen Art – nicht zu schnell, nicht zu langsam und mit spitzen Fingern, wodurch ihre Vornehmheit bei jeder Bewegung betont wurde, was Elena sehr bewunderte – aus ihrer Handtasche. Genauso elegant – als ob sie gerade eine Szene für einen Hollywood-Film drehen würde – tippte sie auf das Display und warf einen – für jemanden, der sie nicht kannte – sehr arroganten Blick darauf. Selten hatte Elena so einen Farbwechsel im Gesicht eines Menschen beobachtet – bei Belinda jetzt allerdings schon das zweite Mal. Im gleichen Augenblick fing Belinda wieder so an zu zittern wie in der Pizzeria und hatte plötzlich so gar keine Ähnlichkeit mehr mit der edlen Lady von eben. Stotternd entschuldigte sie sich bei Elena, wackelte stolpernd auf die Terrasse, zog die Schiebetür komplett zu und lief trotzdem noch ein gutes Stück in den Garten hinein. Und das, obwohl sie wie gewohnt High Heels trug, mit denen sie unter normalen Umständen niemals den Rasen betreten hätte.

      Dieser Anruf muss sie enorm aus der Bahn werfen, dass sie so ihre Contenance verliert. Bestimmt hat er mit ihrem geheimen Projekt zu tun, mutmaßte Elena, während sie hoch ins Schlafzimmer ging, um sich eine Jacke zu holen, denn sie fröstelte. Nur frag ich mich, warum sie trotzdem noch so geheimnisvoll


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