Getrieben - Adoptiv-Knilch packt aus. Peter Weidlich

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lassen. Läuten im Nachbarhaus, freundlich-mitfühlende Mitarbeiterin des Tierheims, freudestrahlend schlossen wir unser verängstigtes Häufchen Elend in die Arme.

      Wochentags steht sie mit mir um Punkt halb sechs auf, verschwindet kurz in den Garten, während ich das Frühstück für Frauchen und mich zubereite. Da sie die Treppe hinauflaufen kann, eilt sie ins Badezimmer, um ihr Frauchen zum Frühstück abzuholen. Gemeinsam kommen sie freudestrahlend die Treppe hinunter, Flo im Stechschritt, immer an Frauchens Schnürsenkeln hängend.

      Wenn Frauchen dann hinaus zum Auto geht, stehen wir beide in geöffneter Tür, winkend, sie mit ihrem Hundeschwänzchen, und hoffen auf eine gesunde Heimkehr. Kaum ist das Auto außer Sichtweite, dreht sie sich um und hüpft über die Treppe ins Bett mit einem kurzen Bell: „Herrchen, wo bleibst du?“

      Am Wochenende geht sie mit Frauchen Brötchen holen, inspiziert auf dem Weg zum Bäcker alle Vorgärten, markiert fünfzig Mal ihren Besuch auf kleinen Beet-Pflanzen und neckt alle Hundefreunde, die kläffend hinter der Haustürscheibe toben. So, wie sie, bekannt als springendes, tierisch-bellendes Wollknäul, wenn die anderen Vierbeiner an unserer Haustür vorbeischleichen. Wenn die Türen zum Garten geöffnet sind, rast sie hinaus zum Zaun, um ihren besten Witz loszuwerden. Manchmal haben wir Angst, dass sie vor lauter Erregung einen Herzinfarkt erleiden könnte. Andererseits, so hoffen wir, schreckt ihr Bellen Einbrecher prophylaktisch ab, denn sie hat ein ausgesprochen feines Gehör und eine weithin hörbare Klangfülle.

      Was mich völlig überrascht, ist die Tatsache, dass Flo ihre Zuneigung zu uns in einem ausgewogenen Verhältnis zeigt. Wenn einer von uns außer Haus ist und sie nicht mitgenommen hat, steht sie an der Eingangstür und wartet, mit einem Abstecher durch den Garten, um die Wildkaninchen aufzumischen. Man muss ihr dann klar machen, warum der andere gerade weggefahren ist, wann er wiederkommt und wie wir die Zeit miteinander verbringen könnten. Dann ist sie ziemlich ruhig.

      Punkt Viertel nach Fünf rennt sie zur Haustür. Frauchen muss ja gleich zurückkommen! In höchsten Tönen bellend kommt sie zu mir gerannt: „Frauchen kommt!“, wenn das Auto ins Carport einbiegt, um sofort wieder zur Eingangstür aus Glas zurück zu hüpfen. Kratzend, schnüffelnd, vor Freude quietschend wartet sie, um dann, wenn sich die Tür öffnet, an ihrem heißgeliebten Frauchen emporzuspringen, immer wieder, trotz nasser oder sandiger Pfoten, trotz Frauchen Aufschrei: „Nein. Nicht springen. Dreckpfoten!“ Dann streckt sie sich der Länge nach, legt ihre Vorderpfoten in die ausgestreckten Hände meiner Frau und versucht, mit ihrem Näschen das sich ihr zubeugendes Gesicht zu stupsen, manchmal mit blitzartig schnellem ‚Zungenkuss‘. Auf diese Begrüßung freuen wir uns jedes Mal, wenn wir heimkehren. Ach, wäre es doch unter uns Menschen auch so!

      Angeleint, stöberten wir durch unsere kleine Stadt. Beim Bäcker ließen wir uns nieder zu einem Pott Kaffee und zwei Milchbrötchen, genau aufgeteilt. Auf dem Rückweg schlenderten wir an leerstehenden Geschäftsräumen vorbei, sie schnüffelnd, alle zehn Meter markierend, während ich darüber nachdachte, wie man diesem Leerstand begegnen könnte. Ich stellte mir vor, dass Flüchtlinge, die in die zu Wohnungen umgebauten Geschäftsräume einziehen könnten und, ähnlich einem Bazar, vor ihren Wohnungen an kleinen Sitzgruppen Tee für Einheimische anböten, um Gastfreundschaft und Kommunikation zu fördern.

      In diesem Augenblick querte eine ältere Dame mit ihrem Rollator unseren Weg.

      „Ach, ist der süß! So ein kleines Hundchen hatte ich auch! Leider …“

      Wir blieben stehen. Flo begrüßte die Dame ausführlich schnuppernd, sprang vorsichtig an ihr hoch, um gestreichelt werden zu können.

      Ich sah, wie sie einige Tränen wegfegte, ein wenig traurig-resigniert, mehr wütend.

      Auf meine Nachfrage sprudelte es aus ihr heraus. Sie musste in eine Wohnung des Betreuten Wohnens ziehen. Ihren liebsten Begleiter, nach dem Tode ihres Mannes, durfte sie nicht mitnehmen.

      „Wissen Sie“, empörte sie sich, „mein Stupsi sieht genauso aus wie ihr Flo, haart nicht, ist stubenrein, ruhig, versteht jedes Wort, bellt nicht unnötig, kurz ein ganz liebes Kerlchen. Ich vermisse ihn so!“ Verstohlen strich sie ihre Tränen aus den Augen. „Wo ist ihr Hundchen jetzt“, fragte ich anteilnehmend.

      „Bei Bekannten. Am Wochenende kann ich ihn besuchen. Aber, das reicht einfach nicht! Der Vermieter müsste doch wissen, dass es mir viel besser ginge, wäre mein Hund bei mir! Aber, das ist dem egal. Vorschrift ist Vorschrift!“

      Sie schob ihren Rollator weiter über das Kopfsteinpflaster, müde, weinend.

      Lange dachte ich über unsere Gesellschaft nach, über die Lieblosigkeit, über mangelnde Flexibilität, über die Gewinnsucht und das Verhältnis der Menschen zueinander. Flo sprang an mir hoch, stupste mich, als wollte sie sagen: Ich bin bei dir!

      Wieder kamen Aloys und seine Frau Simone zum Doppelkopf-Spielen zu uns. In Begleitung Emma und ihr Neuzugang, Pöffel, ein halbes Jahr jung, ebenfalls ein reinrassiges Zwergschnautzer-Mädchen.

      Im Gegensatz zu Flo, die uns als Zwergschnautzer angeboten worden war, sich allerdings als Hybridhündin herausstellte. Ein ‚Schnoodle‘, eine Kreuzung zwischen zwei Rassehunden, Zwergschnautzer und Zwerg-Pudel, in den USA weit verbreitet, bei uns als Rassehund nicht anerkannt.

      Emma schlich stiekum unsere Treppe zum Obergeschoß hinauf. Pöffel blieb unten, weil das Treppensteigen zu gewagt war. Als Emma wieder herunterkam, muss sie Flo gesagt haben, dass dort oben ein Geist sei, sie solle vorsichtig sein, bloß nicht allein hochgehen.

      Was passierte?

      Als wir uns am Spätabend nach oben begeben wollten, streikte Flo auf halber Treppe. Auf meinen Armen streckte sie alle Viere von sich und zitterte vor Angst. Als sie sich an den folgenden Tagen ebenfalls weigerte, versuchten wir, den Grund für ihre Angst zu erforschen. Wir fanden nichts und erklärten ihr, dass sie keine Angst zu haben brauche, Emma hätte sich wohl geirrt.

      Was geschah?

      Am nächsten Tag glaubte ich zu träumen, als ich sah, wie Flo sich auf der viertletzten Stufe umdrehte und rückwärts die vier Stufen nach oben stakste. Mit beiden Hinterläufen und dem Po zuerst, jede einzelne Stufe sich hochdrückend. Es sah so drollig aus!

      Welche Denkleistung muss dahinter stecken, wurde mir bewusst, wenn Flo der Gefahr nicht ins Auge sehen will, sondern dem Feind den Hintern zeigt!

      Dieses Verhalten demonstrierte sie auch unserem Tierarzt und anderen Freunden, die sich vor Lachen bogen und gleichzeitig überrascht von dieser Reaktion waren.

      Mir als Jäger wird ganz schlecht, wenn ich darüber nachdenke, wie gleichgültig, oberflächlich, unwissend mein Verhältnis trotz aller angelesenen Kenntnisse zu Tieren war und ist.

      Dieses kleine Wesen, auf meine Frau und mich gleichermaßen fixiert, ändert meine Sichtweise Tieren gegenüber grundlegend.

      Der Gedanke erschreckt mich: Wenn meine Frau und ich mich trennen würden, bei wem soll Flo dann leben? Flo, die genau weiß, dass sie uns beiden die Gleiche Nähe zeigen muss, damit der eine nicht auf den anderen eifersüchtig ist.

      Vielleicht spinne ich, mache ich mir etwas vor, aber, Flo würde verkümmern, hätte sie nur einen von uns beiden!

      Und wenn das so ist, dann mag ich nicht darüber nachdenken, was ich mit meinen Scheidungen bei meinen Kindern angerichtet habe. Wie gnadenlos bin ich als Mensch.

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