Als Lehrer in Gotha/Thüringen 1950–1990. Heinz Scholz

Als Lehrer in Gotha/Thüringen 1950–1990 - Heinz Scholz


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sah ich mich einerseits der störenden, zehrenden Belastung durch das politisch-staatliche Herrschaftsregime ausgesetzt, andererseits fühlte ich mich moralisch verpflichtet, unter Einsatz meiner ganzen Kraft und Energie – in meiner eigentlichen Arbeitszeit – meine tägliche Unterrichts- und Erziehungsarbeit so gut wie möglich zu leisten.

       Mit meiner 6c in den Fahner Höhen 1952.

      Mein Unterricht und die Lehrtätigkeit war besonders in den ersten Lehrerjahren für mich sehr zeitaufwendig, teils auch schwierig, weil ich – wie fast jede/​r meiner Kollegen/​innen – in mehreren Fächern unterrichten musste, auch wenn es mir dazu an der erforderlichen Ausbildung und Qualifikation fehlte. Wir Neulehrer mussten das ganze Spektrum des Unterrichts bestreiten. Als Geschichtslehrer ausgebildet, notdürftig in Deutsch und Geographie, musste ich auf Grund der Lehrer- und Schulsituation auch in anderen Fächern unterrichten. Mit Selbstverständlichkeit in Deutsch oder Mathematik, darüber hinaus in Erdkunde, Physik und natürlich als Klassenlehrer damals auch in Staatsbürgerkunde, und, weil ja ein „junger“ Lehrer, auch in Turnen! Zu meiner Profilierung als Sportlehrer schickte man mich in Ferienzeiten – so nebenbei – zu einem Lehrgang für Sportlehrer.

      Wir Kollegen/​innen halfen uns gegenseitig. Mit der Kollegin M., zum Beispiel, die wie ich als Parallelklassenlehrerin Deutsch und Mathematik unterrichtete, traf ich mich wöchentlich einmal zu einer Arbeitsberatung. Gemeinsam besprachen wir den zu vermittelnden Lehrstoff und dazu geeignete Lehrmethoden. Solch eine Gemeinschaftsarbeit ergab sich zwangsläufig, da wir unfertigen Lehrer ihrer bedurften. Durch die Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe entwickelte sich dann, wenn man sich weltanschaulich verstand, meist ein recht gutes kollegiales Verhältnis. Wir saßen alle „in einem Boot“ und waren als Lehrer alle „gleich gut und gleich schlecht“. So konnte kaum Überheblichkeit oder Konkurrenzneid aufkommen. Vorausgesetzt, wie schon angedeutet, dass nicht politische Differenzen und Absichten den Zusammenhalt störten.

       Mit der Klasse 7a auf der Ebertswiese 1951.

      Es gab nur eine Kollegin damals unter uns, die „über uns“ Neulehrern stand, Frau St., aus dem zerbombten Köln nach Thüringen evakuiert, war sie seit Kriegsjahren als altgediente Lehrerin (55 Jahre alt) in Gotha tätig. Als Älteste im Kollegium ließ sie uns freundlichst spüren, dass wir jungen, halbfertigen Neulinge weniger wussten als sie!

      Der in den ersten Jahren von uns Neulehrern geforderte Einsatz in mehreren oder gar vielen Unterrichtsfächern war in der zweiten Hälfte der 50er Jahre in so hohem Maße nicht mehr notwendig. Inzwischen waren akademisch ausgebildete Lehrer, meist in zwei Lehrfächern, nachgerückt und hatten auch an unserer Schule Lehrplätze der in den „Westen abgehauenen“ Kollegen/​innen eingenommen. Zugleich hatten wir einstigen Neulehrer bei zunehmend gewonnenen Erfahrungen inzwischen auch ein erstes Fachlehrer-Fernstudium absolviert, so dass an der Schule mehr und mehr gut ausgebildete Fachlehrer jeweils fachgerecht eingesetzt werden konnten. Der qualitative Unterschied zwischen Neulehrern und normal ausgebildeten Lehrern glich sich aus.

      Ich hatte – wie schon gesagt – nach meiner ersten und zweiten Lehrerprüfung ein Fernstudium in Deutsch aufgenommen und 1957 abgeschlossen. Deutsch hatte ich als zweites Unterrichtsfach vorgezogen, weil es meiner Liebe zur Literatur entgegenkam und da ich meinte, im Deutsch- und Literaturunterricht meinem weltanschaulichen Verständnis leichter gerecht werden zu können.

      Trotzdem war ich weiterhin gut zur Hälfte meiner Pflichtstunden im Fach Geschichte eingesetzt. Der Anfang der 50er Jahre gültige Lehrplan für die Klassen 5 – 8 ließ nach meiner Meinung noch einen „vernünftigen“ Geschichtsunterricht zu. Es war möglich, den Lehrstoff so zu interpretieren, dass ich Gesagtes mit gutem Gewissen verantworten konnte. Natürlich war anstelle ausführlicher Kriegsbeschreibungen (wie in meiner Schulzeit) jetzt mehr Raum für die Entwicklung der Arbeiterbewegung im 19. und 20. Jahrhundert eingeräumt worden, auch für die revolutionären Ereignisse in Frankreich, Deutschland und Russland. Dagegen hatte ich nichts einzuwenden, wusste ich doch, dass ich von diesen bedeutenden geschichtlichen Entwicklungen und Ereignissen früher, in meiner Volksschule, so gut wie nichts erfahren hatte.

      Jetzt als Geschichtslehrer war ich bestrebt, überzogene Glorifizierungen und einseitige oder überhöhte Deutungen zu vermeiden und die Schüler an kritische und nachdenkliche Betrachtung, besonders der jüngsten Geschichte, zu gewöhnen. Wenn möglich, ließ ich mich in den Klassen 7 und 8 einsetzen, da in diesen Klassen laut Lehrplan der Geschichtsablauf von der Französischen Revolution bis 1945 behandelt wurde. Natürlich in einem Überblick. Besonderen Wert legte ich darauf, die geschichtliche Entwicklung vom Wilhelminischen Deutschland mit I. Weltkrieg über die Weimarer Republik bis hinein in die Hitlerdiktatur möglichst durchdringend verständlich zu machen. Es war mir (auf Grund meiner eigenen Erfahrungen) wichtig, die frühen und komplexen Wurzeln des Nazismus bloßzulegen und zu erarbeiten und mahnend zu zeigen, wie fast ein ganzes Volk (teils „ahnungslos“) in den faschistischen Irrweg hineingezogen oder hinein- „erzogen“ worden ist … und einen verbrecherischen Krieg mit Völkermord bis zum bitteren Ende durchstehen musste.

      Im Laufe der 50er und 60er Jahre wurde der Geschichtslehrplan aus der Nachkriegzeit überarbeitet und schließlich durch einen neuen ersetzt. Die nun geforderten Erziehungsziele und Bildungsinhalte mussten der „Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft“ angepasst werden und der Erziehung und „Herausbildung eines neuen sozialistischen Menschen“ dienen. Die Ideologisierung nahm im Geschichtsunterricht zu. Vor allem musste künftig die Nachkriegsgeschichte mit Teilung Deutschlands und Staatenbildung auf beiden Seiten und der „verschärfte Klassenkampf“ der „fortschrittlichen Arbeiterklasse“ in der DDR und „ihrer führenden Partei“, der SED, gegen die „reaktionäre Bourgeoisie“ und gegen den „krieglüsternen Imperialismus in der BRD“ breiten Raum einnehmen. Ebenso … jetzt „verstärkt“ der „konsequente Friedenskampf der sozialistischen Bruderstaaten“, die „wissenschaftlich-technische Überlegenheit der Sowjetunion“, der „großartige Aufbau des Kommunismus“ in der Sowjetunion und schließlich auch die „führende Rolle der SU bei der Eroberung des Weltraumes“. Unüberhörbar auch die penetranten propagandistischen Lobeshymnen auf „unsere Deutsche Demokratische Republik“ mit ihren „hervorragenden Genossen an der Spitze“ und auf die „überragenden Führer der KPdSU und des sozialistischen Weltfriedenslagers“.

      So wurde anstatt objektiver Sachlichkeit die politische Agitation in den Vordergrund gestellt. Dadurch hatte es der Lehrer immer schwerer, ein objektives bzw. persönliches Geschichtsverständnis im Unterricht frei und offen vertreten zu können und ein „vernünftiges“ Geschichtsbewusstsein zu vermitteln. – Obwohl ich Geschichte gern und mit Passion unterrichtet habe und als Geschichtslehrer immer noch gebraucht wurde, zielte ich in den folgenden Jahren darauf hin, mich allmählich von „Geschichte“ zurückziehen!

      Staatsbürgerkunde hatte ich auch zu unterrichten, weil man meinte: Wer in Geschichte unterrichten kann, der kann das auch in Staatsbürgerkunde. Geschichts- und Staatsbürgerkundelehrer wurden zuweilen als die „Chefideologen“ einer Schule betrachtet.

      Anfang der 50er Jahre fand ich den Unterricht in Staatsbürgerkunde nicht so problematisch. Nach der Gründung der DDR, in den Jahren 1950/​51, nahm die Erörterung und Erläuterung der neuen „demokratischen“ Staatsverfassung breiten Raum ein. Der Aufbau des Staates, die Funktionen von parlamentarischen und exekutiven Instanzen wurden theoretisch besprochen. Auch die Rechte und Pflichten der Bürger … Das sah ja, theoretisch gesehen, damals einigermaßen demokratisch aus. Man konnte es auch so deklarieren und dazu auffordern, für eine demokratische Verwirklichung einzustehen.

      In den Jahren danach nahmen die politischen Zwänge zu. Im Fach Staatsbürgerkunde (eine Zeit lang auch Gegenwartskunde genannt) mussten vorwiegend aktuelle politische Themen, oft auch kurzfristig eingeschoben, behandelt werden. Immer öfter bezogen auf Partei- bzw. Parteitagsbeschlüsse der SED oder der KPdSU, auf die „Remilitarisierung“ in der BRD, vor allem aber den „Aufbau


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