Als Lehrer in Gotha/Thüringen 1950–1990. Heinz Scholz
wiederholt den kontinuierlichen Unterrichtsbetrieb störten.
Da kam zum Beispiel ein Anruf von der Kreisleitung, von dem für Schulen zuständigen Sekretär, dass unverzüglich die politische Sichtwerbung an der Außenfront der Schule verbessert werden müsse. Man habe gesehen … und das genüge keinesfalls! Oder es wurde eine breite politische Kampagne an die Schule in Auftrag gegeben, sofort „operativ“ einzugreifen und mitzutun. Ich erinnere mich, wie Schüler, sogar der 6. Klassen, Aufsätze in Briefform mit politischem Inhalt schreiben und an westdeutsche Bürger schicken mussten. Diese Kinder sollten darin im aufklärerischen Sinne erwachsene Menschen in der BRD agitieren und für die „friedliebende Deutschlandpolitik der DDR“ werben! – Besonders nach SED-Parteitagen und vor „Volkswahlen“ wurden die Schulen zu politischen Kampagnen und Aktionen verpflichtet. Meist zielten die gestellten Aufgaben darauf ab, Lehrer, Schüler und Eltern durch eine ideologische Offensive gefügig zu machen. Jeder müsse doch das „Aufbau- und Friedensprogramm von Partei und Regierung“ unterstützen und selbstverständlich für „die Macht der Arbeiter und Bauern zum Wohle des Volkes“ eintreten! Wer wollte da dagegen sein?! So sei es doch ganz selbstverständlich, dass alle (guten) klassenbewussten Menschen ihre Stimme schon am frühen Morgen des Wahlsonntags „für Frieden und Sozialismus“ „offen“ abgeben!
1952/53 wurde ich zum Parteisekretär „gemacht“. Das heißt, die Genossen von Schulleitung und ins Vertrauen gezogene Genossen hatten für die nötige Mehrheit gesorgt und eine Bestätigung durch die Kreisleitung einkalkuliert. Meine Stellung als Parteisekretär an der Schule solle die Mehrheit der „Gemäßigten“ sichern helfen, so der Genosse Schulleiter. Ich ließ mich überreden, ohne mir bis ins einzelne bewusst zu sein, was mir da aufgebürdet wurde. Bald fühlte ich mich überfordert. Und mich womöglich gar als politischer Klassenkämpfer an der Schule aufzuspielen, das kam für mich nicht in Frage. Der Schulleiter war zwar bemüht, mit mir als Parteisekretär vertrauensvoll zusammenzuarbeiten. Er nahm mich gelegentlich zur Seite, besprach mit mir intern, wie wir uns an der Schule gegenüber vorgegebenen politischen Auflagen verhalten oder wie wir die geforderten schulpolitischen „Arbeitspläne“ konzipieren sollten u. dgl. Immer mit der Absicht, sinnlose, den Schulbetrieb störende und belastende Aktionen wenigstens abzuschwächen und die ganze Politisierung der Schule in Grenzen zu halten. Doch selbst wenn ich vernünftigen Willens war, drückte mich die Zwangsjacke.
Das Schlimmste für mich waren die regelmäßigen Schulungen der Parteisekretäre im Haus der Kreisleitung der SED! Meist war es dort der verantwortliche Funktionär für Propaganda, der die aktuellen Ziele der Partei erläuterte und uns Parteisekretären der Schulen die politischen Aufgaben auferlegte. Wir mussten monatlich schriftliche Berichte über die an der Schule geleistete „politische Arbeit“ vorlegen, aus besonderem Grund auch vor der Versammlung mündlich vortragen. Wer von den anwesenden Parteisekretären schlecht abschnitt, musste „Selbstkritik“ üben und versäumte Aufgaben nachholen. Dieses Erscheinenmüssen bei der herrschenden Kreisleitung zum Rapport, zum autoritären Befehlsempfang, wirkte auf mich niederdrückend, und ich war froh, wenn unsere Schule nicht negativ genannt wurde.
Besonders in den Jahren 1952/53, nach der II. Parteikonferenz mit ihren Beschlüssen zum „Aufbau des Sozialismus in der DDR“, nahm der politische Druck zu. Jedem Bürger, jedem Genossen und vor allem jedem Lehrer musste nun „klargemacht“ werden: Jetzt „verschärft sich der Klassenkampf, … der politische Gegner verstärkt seine feindlichen Angriffe gegen unseren jungen Staat und unser sozialistisches Aufbauwerk“, … daher seien „verstärkte Wachsamkeit und erhöhte Anstrengungen … “ unbedingt erforderlich usw. Was nichts anderes hieß, als dass die bereits praktizierte Diktatur entsprechend verschärft und zugespitzt würde. – Im Schulbereich des Kreises Gotha hatte dies auf radikale Weise der damalige Schulrat B. umgesetzt. Man konnte sagen: Der Genosse Schulrat herrschte uneingeschränkt. Er zitierte die Schulleiter zum Befehlsempfang und verlangte die bedingungslose Ausführung seiner Weisungen. Gegen den „Klassenauftrag“ gab es keinen Widerspruch.
Einmal geriet ich persönlich in sein Blickfeld: Im Winter 52/53 bestellte er mich zu sich und teilte mir kurz und bündig mit, dass ich mit Beginn des folgenden Schuljahres in Güntersleben als Schulleiter eingesetzt werde, und zwar an der „ersten sozialistischen Schule im Kreis Gotha“! Dort sei die erste Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft im Kreis Gotha gegründet worden, und in diesem „ersten sozialistischen Dorf des Kreises“ brauche man einen jungen, klassenbewussten, zuverlässigen Genossen als Schulleiter, und ich – ein aus der Arbeiterklasse stammender Genosse und bewährter Lehrer – sei für diese verantwortungsvolle Aufgabe besonders prädestiniert und deshalb ausgewählt worden. Mir verschlug es die Sprache, und ich versuchte mich zu wehren: Ich fühle mich da völlig überfordert, sei keinesfalls geeignet … keine Erfahrung in Sachen Schulleitung … zu jung … erst zwei Jahre im Schuldienst … …längst nicht fertig mit fachlicher Ausbildung usw. Er ließ absolut nichts gelten, zeigte keinerlei Verständnis und quittierte alle meine Begründungen kurz mit den Worten: „Der Mensch wächst mit der Größe seiner Aufgaben!“ Ich sah für den Augenblick keinen Ausweg, bat um Bedenkzeit – zwei Tage wenigstens. Ärgerlich sagte er zu, aber drohte mir: „Wenn nicht, dann kriegst du den Parteiauftrag!“ – Nach zwei Tagen fand ich mich wieder ein – mit einer schriftlich verfassten Ablehnung. Der Genosse Schulrat war nicht in seinem Büro. Ich atmete auf, übergab mein Schreiben eiligst seinem Stellvertreter und verschwand so schnell wie möglich. Nun bangte ich, was da noch folgen würde. Aber das befürchtete Nachspiel blieb aus. Wenig später erfuhr ich, wer an meiner Stelle nach Güntersleben beordert worden war. – Meine Ablehnung gründete sich einerseits auf meine Unsicherheit; für die Aufgabe eines Schulleiters fühlte ich mich wirklich zu unerfahren; doch viel stärker war meine Sorge, als Schulfunktionär unter der Herrschaft der Partei noch fester und unentrinnbar in dieses absolute Machtgefüge eingebunden zu werden. Ich fürchtete, diesen Druck und Zwang psychisch nicht aushalten zu können, und sah moralisch die Gefahr, in die Rolle eines angepassten politischen Funktionärs abzugleiten.
Vor herausragenden politischen Ereignissen, wie Wahlen, politischen Gedenk- oder Feiertagen, auch nach unerwarteten politischen Geschehnissen oder zu aktuell politischen Anlässen wurden auch die Schulen aufgefordert, ihre Meinungen oder Schlussfolgerungen öffentlich darzulegen. Das heißt, die Partei forderte von Lehrerkollegien, schriftlich ihre geschlossene parteiliche Meinung in Form von Resolutionen oder Selbstverpflichtungen zu formulieren und dem politischen Auftraggeber zuzuschicken. Möglichst so passgerecht, dass man sie in der Presse propagandistisch verwenden könnte.
Ich erinnere mich, wie auf dem Höhepunkt des jahrelangen, primitiven und an religiösen Fanatismus grenzenden Stalinkultes, unmittelbar nach dem Tode Stalins, eine breit angelegte, in alle Lebensbereiche hinein wirkende politische Kampagne und Verpflichtungs-Bewegung in Gang gesetzt worden war.
Ich zitiere dazu Auszüge aus dem
„Beschluß des Sekretariats der Kreisleitung der SED Gotha vom 12. 3. 1953“, der in Form eines Schreibens, 14 Punkte enthaltend, allen SED-Grundorganisationen zugestellt wurde:
1. Sämtliche Parteiorganisationen in den volkseigenen und artverwandten Betrieben und in der Privatindustrie sowie an den Schulen, in den örtlichen Organen der Staatsmacht, in den volkseigenen Gütern, Produktionsgenossenschaften, MTS und in den Massenorganisationen oder sonstigen Institutionen und Ortsparteiorganisationen werden beauftragt, die persönlichen oder im Kollektiv abgegebenen Verpflichtungen zu erfassen und in ihrer Durchführung zu kontrollieren. Über die Durchführung der Realisierung ist … zu berichten. Bei Nichteinhaltung der Verpflichtungen ist die öffentliche Kritik zu entfalten. Die betreffenden Personen müssen zur Rechenschaft gezogen werden.
4. Die Grundorganisationen werden beauftragt, jeden zweiten Tag über die Stadtbezirke bzw. der Kreisleitung direkt Bericht zu geben, über alle Vorkommnisse, die sich anlässlich des Ablebens des Genossen Stalins gezeigt haben. Das gilt sowohl für Verpflichtungen als auch für Erscheinungen der Arbeit des Klassengegners …. Negative Erscheinungen, die die Mitglieder der Blockparteien betreffen, müssen schnellstens … zur Diskussion gestellt werden und Schlussfolgerungen gezogen werden.
7. Genosse F …, Vorsitzender vom