Ein Blockhaus in der Einsamkeit. Nicole Lischewski
fehlt, kann ich es ja noch besorgen.“
„Ja schon, aber für den Winter müssen wir auf jeden Fall genug Essen und Hundefutter dahaben. Von November bis … März? Dann können wir auf jeden Fall mit dem Schneemobil übers Eis, oder?“
„Schon im Februar. Aber um auf Nummer sicher zu gehen, planen wir am besten von allem so viel ein, dass es uns von Oktober bis Juni reicht, wenn die Seen wieder offen sind – es kann ja auch sein, dass das Eis schlecht ist. Dann wären wir von Oktober bis zum Sommer abgeschnitten.“
Ich starrte Chris an und dann auf meine Liste. Ein achtmonatiger Spaghettivorrat? „Können wir denn so viele Vorräte überhaupt lagern?“
„Es wird halt eng werden“, grinste er. „Aber wenn wir alles stapeln, passt das schon in unsere Cabin.“
Unsere Cabin … immer gesetzt den Fall, dass wir den Behördenkrieg gewannen und tatsächlich auf das wunderschöne Stück Land am Tagish Lake umsiedeln konnten. Im Dorf kursierten bereits wilde Gerüchte: unser Landantrag sei illegal; wir würden von einer Umweltschutzorganisation finanziert; wir seien Grundstücksspekulanten oder hätten vor, von Sozialhilfe zu leben und den Staat auszunehmen. Die schnöde Realität war wesentlich weniger spannend.
Während die Mühlen der Bürokratie im Schneckentempo mahlten, vertrieben wir uns damit die Zeit, auf dem Papier das erste Blockhaus unserer Wildnisjugendherberge zu entwerfen: Den Gemeinschaftsraum mit Küche und Schlafraum im Loft. In den Folgejahren wollten wir noch ein Schlafhaus bauen und schließlich unsere eigene Blockhütte. Meinen ursprünglichen Plan, in Atlin eine Jugendherberge aufzumachen, hatten wir nun an den Tagish Lake verpflanzt und erhofften uns daraus eine Einnahmequelle. Mein Leben bestand inzwischen fast nur noch aus Hoffnung, hatte ich das Gefühl.
„Aber die Hunde schlafen ja auch alle mit im Haus“, wandte ich ein. „Dann sind wir zwei Leute, drei große Hunde und Vorräte für etwa acht Monate, inklusive Hundefutter, in einer gut fünf mal vier Meter großen Blockhütte!“
„Mit Loft.“
„Na ja, wenigstens haben wir keine Möbel.“ Auch ein Vorteil: Ich hatte es nie geschafft, mehr Mobiliar als eine Kommode und einen Futon anzusammeln, und Chris besaß hauptsächlich Gummistiefel. Viel wichtiger war sowieso, dass wir bereits über den Großteil der benötigten Werkzeuge verfügten, beide mit der Kettensäge umgehen konnten und Erfahrung im Hausbau hatten.
„Das geht schon alles.“ Chris' Mantra, das ich mittlerweile auch ständig vor mir hinsagte. „Und das mit dem Boot kriegen wir auch hin. Sobald Atlin Lake zugefroren ist, werde ich den Fluss ablaufen und mir eine Karte machen. Bei Niedrigwasser im Winter sehe ich ja, wo das Fahrtwasser ist und wo die größten Steine liegen.“
„Und dann weißt du im Sommer, wenn die Steine alle überspült sind, trotzdem noch, wo du lang musst?“
„Das seh ich doch am Wasser, und ich merke mir ja auch Orientierungspunkte am Ufer. Es würde uns einfach so viel Strecke sparen, wenn wir vom Tagish Lake über den Atlin River ins Dorf gelangen können, statt jedes Mal ganz ins Yukon Territory hoch- und dann auf der Straße die 130 Kilometer wieder nach Atlin runterfahren zu müssen.“
Der Fluss ist sehr flach, reißend schnell und mit gefährlich großen Findlingen bestückt. Nur wenige Bootsfahrer trauen sich daher den Atlin River hinunter, aber Chris hatte in seiner Zeit als Guide Wildwassererfahrung gesammelt. „Dann brauchen wir also bloß ein richtiges Boot.“
Der Altlin River verbindet die zwei Seen
Und Geld. Chris besaß immerhin eine eiserne Reserve, aber ich konnte mich einfach nicht entscheiden, ob ich mein Atliner Grundstück verkaufen sollte. Ich hing mit ganzem Herzen daran und hatte hier meine ersten eigenhändig gebauten Häuschen errichtet. Doch was würde ich noch davon haben, wenn ich gar nicht mehr hier lebte? Die Vorstellung, das Stück Land zu verkaufen, drehte mir den Magen um, aber es schien kein Weg daran vorbei zu führen. Wenn ich es nur vermieten würde, wäre es nicht genügend Geld. Sollte ich meine alten Träume für den neuen Wildnistraum verkaufen?
„Vor allem brauchen wir endlich die Bewilligung, dass wir das Land überhaupt haben können!“
Ab in die Wildnis
Unser Zeltlager aus dem Winter dient uns während des Bauens als Unterkunft
Ab in die Wildnis
Atlin, Mitte Juni 2005.
„Das hat eine Heizung?“, fragte ich noch einmal nach.
Der hagere Rentner, dessen Jetboot wir probefuhren, nickte und zeigte auf die Lüftungen in der Armatur. Seine faltige Hand hob und senkte sich mit den leichten Wellen, über die das Boot hinwegflog. Kleine Flecken Sonnenlicht funkelte durch die Scheiben hinein und irrlichterten durch den Innenraum. „Hier. Man kann sie so einstellen, dass es die Scheibe anbläst oder auch nach hinten geht.“
„Damit ist für Nicole alles entschieden“, sagte Chris trocken.
„Heizung! Das ist doch genial – da müssten wir im Boot nie mehr mitten im Sommer Klamotten wie bei minus 30 Grad tragen!“
„Na komm, fahr mal.“ Chris trat breitbeinig vom Steuerrad weg, um die Balance zu halten. Die noch mit Schnee bedeckten Berge am Ufer wippten auf und nieder. „Das hier ist der Gashebel – wenn du den nach vorne drückst, gibst du mehr Gas. Und das Boot ist sehr wendig; die Dinger sind extra dafür gebaut, schwierige Flüsse zu befahren. Durch den Düsenantrieb hat es kaum Tiefgang.“
„Alles klar.“ Ich klappte die Heizungslüftung so, dass mich ein angenehmer Wärmestrahl umfächelte, griff nach dem Steuerrad und gab kräftig Gas. Wie von der Tarantel gestochen schoss das Boot voran, den Bug hoch aus dem Wasser gehoben. Ich trat unwillkürlich einen Schritt zurück, dann krachte es hinter mir. Jemand ächzte. Erschreckt drehte ich mich um: Den dürren Rentner hatte es von den Füßen gerissen. Er lag mit ausgestreckten Armen auf dem Boden und starrte mich großäugig an.
Aufstapeln der Baumstämme im vorigen Winter
„Oh je, sorry – haben Sie sich wehgetan, Chuck?“ Peinlich berührt wollte ich ihm aufhelfen und riss dabei das Steuerrad nach rechts, sodass er an den Bordrand geschleudert wurde.
Kreidebleich klammerte sich Chuck an die Lehne des Beifahrerstuhls. „Ist schon alles okay“, krächzte er.
„Sweetie!“ Chris griff nach dem Steuer und richtete das Boot auf einen geraden Kurs, verbiss sich aber jeglichen frauenspezifischen Kommentar über meine Fahrweise. „Geh's mal ganz langsam und sachte an.“
Chris zog die Stämme mit dem Schneemobil zum Bauplatz
„Kein Problem“, murmelte ich. Das war eine andere Welt als Autofahren oder die flaue Rubber Ducky zu steuern! Ungefähr 500 bis 600 Kilo Ladung konnte man mit diesem Boot transportieren, und es war ideal für den wilden Atlin River. Ich fuhr weiter auf den See hinaus und probierte, eine Kurve zu fahren. Diesmal ganz vorsichtig. Chuck blieb auf den Beinen: Meine Fahrkünste mussten sich bereits drastisch verbessert haben. „Du, das nehmen wir, oder?“, fragte ich Chris leise auf Deutsch.
„Ja, das ist perfekt für uns“, nickte er.
„Noch mehr Schwierigkeiten wird es wohl nicht geben.“ Nach einem Jahr voller Probleme mit den Behörden, die sich in einem fünfzehn Zentimeter dicken Stapel an Genehmigungen, Formularen und Korrespondenz mit der niedrigsten Schreibkraft bis hin zum Minister niederschlugen, Protesten