Die Tage von Gezi. Martin Niessen
Verbot politischer Äußerungen in Fußballstadion hielt, sei es auf Bannern oder in den Fangesängen, gab es nach fast jedem Heim- und so manchem Auswärtsspiel Auseinandersetzungen mit der Polizei.
»Gut zu wissen.«
Mine hakte Şebnem unter und sie schlenderten weiter. Es schienen immer mehr Menschen in den kleinen Park zu drängen. Zelte wurden aufgebaut, Banner zwischen Bäume gehängt, mit Botschaften wie »Wir geben unseren Park nicht her« oder »Taksim gehört uns«. Menschen hockten in großen Gruppen zusammen, junge und alte, Männer und Frauen, einfach gekleidete und Anzug tragende. Es wurde diskutiert, viel gelacht und Musik gemacht. Ein friedliches Bild, dachte Mine, hätten etliche Demonstranten nicht Motorrad- oder billige Bauarbeiterhelme getragen, in Gelb oder Blau, und Ski- oder Schnorchelbrillen und Mundschutze um den Hals hängen gehabt, die Mine daran erinnerten, dass hier vor wenigen Stunden noch Chaos und Gewalt geherrscht hatten und durchaus die Gefahr bestand, dass es erneut dazu kommen könnte.
Sie versuchte erneut, Marc anrufen, aber er antwortete nicht. Sie hatte gerade wieder aufgelegt, als ihr Telefon klingelte. Es war Vedat.
»Hey Süße, wo bist du?«
»Wo wohl? Im Park natürlich!«
Während er offensichtlich Süßholz raspelte, wollte sie keinen Hehl daraus machen, dass der Streit der letzten Nacht für sie noch nicht vergessen war.
»Hör mir bitte zu, Mine.«
Vedats Stimme klang fast flehentlich,
»Ich möchte, dass du den Park verlässt. Die Polizei wird ihn stürmen! Ich habe gerade …«
Sie unterbrach ihn wütend.
»Was erzählst du da? Das hat sie doch schon. Während ich brav zu Hause bei meinem Mann war. Und genau das wird mir nicht noch einmal passieren. Heute Nacht bleibe ich hier!«
»Lass mich bitte ausreden. Ich habe gerade den Marschbefehl erhalten, ich werde noch heute mit meiner Einheit zum Taksim-Platz verlegt. Du weißt, was das heißt! Ich bitte dich, geh da weg!«
Mine fühlte, wie sich ihre Kehle zusammenschnürte. Vedat war bei der Çevik Kuvvet Polis, eine Sondereinheit, die für ihr hartes, ja überhartes Durchgreifen bekannt war.
»Wann? Wann schlagt ihr los?«
Sie merkte, dass sie gegen den Kloß in ihrer Kehle anschrie. Seine Stimme hingegen klang sehr leise.
»Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht. Bitte, Mine, geh nach Hause.«
»Nein! …«
Bevor sie weiterreden konnte, war die Verbindung weg. Das Display ihres Telefons war schwarz und blieb es auch. Der Akku war leer.
»Komm, Şebnem, das war Vedat, ich muss zu den Organisatoren. Wir müssen die Leute warnen. Die Polizei wird wiederkommen.«
Sie zog ihre Freundin am Arm vom Tisch weg und sie gingen über den Platz zurück in den Park. Sie steuerten auf das weiße Pavillonzelt in der Mitte zu. Auf Stühlen an zwei Holztischen saßen mehrere Frauen und Männer – alle älter als Şebnem und sie, zwischen Anfang dreißig und Ende vierzig, schätzte Mine –, die sich angeregt unterhielten.
»Entschuldigung, ich muss euch was Wichtiges sagen.«
»Hallo. Ich bin Murat von der Taksim-Plattform. Was können wir für dich tun?«
Der Mann, der sie ansprach, hatte lange lockige Haare, die noch tief dunkel, fast schwarz waren, aber graue Haare im Bart und tiefe Lachfalten um die Augen, die verrieten, dass er vermutlich bereits in seinen Vierzigern war.
»Hi, ich bin Mine. Mein Mann ist Polizist. Ich habe eben mit ihm telefoniert und er hat gesagt, dass die Polizei den Park wieder räumen wird.«
»Danke, das wissen wir bereits. Nur nicht wann. Hat dein Mann was dazu gesagt?«
»Nein, er wusste es auch nicht, aber er soll noch heute mit seiner Einheit hierhin verlegt werden.«
»Gut.«
Murat nahm einen Zettel, schrieb seinen Namen und eine Nummer darauf und reichte ihn Mine.
»Hier ist meine Handynummer. Da kannst du mich rund um die Uhr erreichen. Sobald du etwas weißt, ruf mich bitte an!«
»Mach ich.«
»Und danke noch einmal für die Info!«
Murat rief es ihr hinterher, nachdem sie sich bereits verabschiedet hatten. Den Rest des späten Nachmittags und den ganzen Abends verbrachte Mine mit ihren Freunden im Park, ging von einem Spontankonzert zum nächsten, tanzte, lachte, trank Dosenbier. Viel später, es war schon Nacht und sie lag bereits im Zelt, wunderte sie sich, dass sich Marc nicht gemeldet hatte. Und auch Vedat hatte nicht mehr angerufen. Erst da fiel ihr wieder ein, dass ihr Akku leer war.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.