Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 – 1945. Frank Baranowski
Preisarbeiten für Schülerwettbewerbe der Robert-Bosch-Stiftung, der Bundeszentrale für politische Bildung, der Körber-Stiftung entstanden im Kursverband. War Frank Baranowski dabei noch Vorreiter, so ließ ihn das Thema nicht mehr los – es ihn und er es. Ulrich Herberts Monographie „Fremdarbeiter, Politik und Praxis des Ausländer-Einsatzes in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches“ wurde Frank Baranowski dabei zum Meilenstein. Neben seinem Jura-Studium setzte er die Forschungen fort, erst im heimatlichen Eichsfeld-Städtchen Duderstadt,2 dann immer weiter ausgreifend.
Dann kam die Wende und für Südniedersachsen lag das ehemalige Konzentrationslager Dora-Mittelbau bei Nordhausen vor der Haustür. Für Frank Baranowski wie für mich war die Anschauung Schock und Antrieb, mehr zu erfahren über das Schicksal dorthin Deportierter und die Strukturen ihrer Ausbeutung. Während ich das vierzig Jahre nach der Befreiung verfasste Erinnerungsbuch des ehemaligen Häftlings Yves Béon „Planet Dora“ aus dem Französischen übersetzte, machte Frank Baranowski sich auf den Weg, die Lager- und Ausbeutungsstrukturen in ihrer ganzen Breite zu erforschen. Er bereiste Archive in ganz Deutschland, studierte NS-Prozessakten in Ludwigsburg, befragte Zeitzeugen, beschaffte Dokumente, zum Teil aus den USA, sammelte sie und vieles mehr in einem umfassenden Privatarchiv, richtete eine Homepage ein, ebenso war er maßgeblich an der Konzeption einer Dauerausstellung zum Thema Heeresmunitionsanstalten in Kalibergwerken der Region in 600 m Tiefe des Schachtes Glückauf in Sondershausen beteiligt.
Zunehmend entwickelte Frank Baranowski das Gespür einer ‚Trüffelnase‘. Mit gewinnender
Art erschloss er Privatarchive und Sammlungen von Nachfahren der Rüstungsproduzenten. Als die Sammlungen des International Tracing System (ITS) in Arolsen unter Verwaltung des Internationalen Roten Kreuzes noch unzugänglich waren, fand er Kopien und noch darüber hinausgehende Bestände im Archiv „Service des Victimes de la Guerre“ (AVSG) in Brüssel, die wir gemeinsam auswerteten. Darüber hinaus sucht Frank Baranowskis Fotoarchiv inzwischen seinesgleichen; die vorliegende Veröffentlichung zeigt nur einen Bruchteil des vorhandenen Materials. Auch an der Spitze einer mittelständischen Rechtsanwaltskanzlei in Siegen trieb er seine Recherchen voran, wandte seinen juristischen Sachverstand auf, um das Tarngeflecht staatlich bezahlter Rüstungsentwicklung in und durch Privatfirmen schon seit den 1920er Jahren zu entwirren. Mit der ab 1934 einsetzenden Kriegsvorbereitung waren es bald vollfinanzierte Staatsfirmen, die vom NS-Regime an Rüstungskonzerne verpachtet und zu deren Tochterfirmen deklariert, die Fassade von Privatfirmen abgaben. Dieses „Montan-System“ analysiert Baranowski ebenso wie er es vielfältig nachweist. Die Herstellung und Einlagerung massenhafter Munitionsbestände in aufgelassenen Thüringer Kalibergwerken, damit sie bloß den Versailler Kontrollkommissionen entgingen, beschreibt er als Untertageverlagerung früher Kriegstreiberei schon seit 1934. Vom industriellen Massenproduzenten von Rüstungsgütern über die verschwiegenen Entwickler von high-tech-Waffen bis zum handwerklichen Kleinstbetrieb, Baranowski hat die meisten Rüstungsproduzenten – Rädchen im System von Waffenherstellung und Kriegsproduktion – erfasst. So gewann er ein Gesamtbild der späten, aber umso intensiveren Dislozierung der Rüstungsindustrie in Thüringen und im Südharz. Ein Geflecht von in unterirdischen Hohlräumen (Naturhöhlen und bergbaulich hergestellte Objekte) verbunkerten Rüstungsschmieden, Teile- und Zuliefer-Manufakturen in mittelständischen Betrieben, deren ursprüngliche Produktion teils zwangsumgestellt wurde, Explosivem, Hochgiftigem und Todbringendem in Hügelland und Bergtälern. Und überall in der Nähe, was sich nur pauschalierend als „Zwangsarbeiterlager“ zusammenfassen lässt. Ein dichtes Netz von Barackenlagern des Grauens, Zeltunterkünften im strengen Winter, ein bald auf das Kohnsteinlager zentriertes KZ-System, aber auch firmeneigene Zwangsarbeiterunterkünfte in un- und umgenutzten Nebengebäuden von Fabriken, in ‚Behelfsheimen‘ auf dem Fabrikhof, wenn nicht gleich in der Werkhalle oder in einem Nebengemach der Fabrik selbst. Wer in einem beschlagnahmten Gaststättensaal untergekommen war, konnte noch von Glück reden.
Nicht nur KZ-Häftlinge nächtigten auf dem blanken Boden von Naturhöhlen, in Bergwerkschächten oder auf Betonböden der Fabriken. Und über allem die Unterdrückung durch das erbarmungslose KZ-Regime, SS-Personal, das man zum Teil bis in die Vernichtungslager des Ostens zurückverfolgen kann; als Peiniger aber auch zur Bewachung abgestellte Wehrmachtssoldaten. SS, Wehrmachtsangehörige und Fabrikpersonal teilten sich Überwachung und Drangsalierung der Zwangsarbeiter/innen und KZ-Häftlingen, mit allenfalls graduell unterschiedlicher Härte. Willkürliche Strafen und Quälereien, willentliches Sterbenlassen in den Krankenrevieren und außerhalb, die von Kapos, SS-Leuten oder anderem Personal begangenen Morde, die Denunziation von Arbeitskollegen, die stete Demonstration des Lebensunwertes der Ausgebeuteten waren an der Tagesordnung. Kaum Solidarität oder auch nur Zeichen von Menschlichkeit.
Frank Baranowski hat das in den Dokumenten schon seit langem erfasst, gesammelt, ausgewertet. Nun ist er daran gegangenen, aus der Übersicht und seiner umfassenden Kenntnis eine Systematisierung vorzunehmen, die in einen Regionenvergleich mündet. So fördert Frank Baranowski zutage, wie die Herstellung der Vernichtungsmittel des Krieges untrennbar mit der Ausbeutung der Arbeit moderner ‚Sklavenheere‘ bis hin zu ihrer Vernichtung verbunden ist.
Göttingen im Juni 2013
Karl-Udo Bigott †
Danksagung
Niemand schreibt ein Buch allein. Auf die eine oder andere Weise trugen viele Menschen zu der vorliegenden Arbeit bei. Dafür möchte ich herzlich und ausdrücklich Danke sagen. Ohne Sie und Euch wäre diese Abhandlung nie fertig geworden.
So ist es meiner Frau, Angela Baranowski, zu verdanken, dass das Buch trotz aller Widerstände doch noch erscheinen konnte. Sie war der Motor, der mich immer wieder dazu ermutigt und angehalten hat, das Manuskript zum Abschluss zu bringen und zu veröffentlichen. Sie war es auch, die meine Recherchen über die Jahre hinweg begleitet und unterstützt hat, sei es bei der Auswertung von Archivmaterial vor Ort oder bei der Übernahme von Texten.
Karl-Udo Bigott († 25. 09. 2014) – mein damaliger Lehrer, Mentor und guter Freund – hat die Arbeit, wie die vorangegangenen, von Beginn an mit persönlichem Engagement begleitet. Seine Tür stand immer offen, wenn ich Nachfragen hatte oder Unterstützung brauchte. Teile der maßgeblichen Unterlagen haben wir gemeinsam aufgespürt, vor Ort eingesehen und ausgewertet. Insbesondere unser mehrtägiger Archivbesuch im „Service des Victimes de la Guerre“ in Brüssel ist dabei in dauerhafter Erinnerung geblieben. Den kontinuierlich gewachsenen Text hat Karl-Udo Bigott aufopferungsvoll redigiert und das ‚Juristendeutsch‘ sprachlich angepasst. Er hat so wesentlich Einfluss auf das Manuskript genommen.
Ohne die aktive Unterstützung von Freuden, Mitstreitern und Gleichgesinnten wäre dieses Buch nicht zustande gekommen. Leider ist es an dieser Stelle nicht möglich, alle Personen namentlich aufzuführen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sind u. a. Dr. Jens-Christian Wagner, Dr. Friedhart Knolle, Cordula Tollmien, Dr. Rainer Karlsch, Johannes Köppler, Angelika Frenzel, Frank Jacobs, Dr. Joachim Neander, Marco Klinkerfuss, George Megargee, Günther Siedbürger, Hartmut Ruck, Wolfgang Große, Gunther Hebestreit, Manuela Ernst, Dr. Jürgen Kürschner, Ullrich Mallis und Dr. Manfred Heber zu nennen, die in individueller Weise zum Abschluss der Arbeit beigetragen haben, sei es durch fachliche Diskussionen und persönlichen Austausch, Hinweise auf mögliche Quellen, gemeinsame Recherchen oder die Überlassung von Dokumenten.
Das Manuskript ist in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen. Daraus ergab sich die Notwendigkeit der permanenten Korrektur und Anpassung von Textteilen. Dieser Aufgabe haben sich neben Karl-Udo Bigott insbesondere Anton Große, Erhard Hosfeld und Theo Döring gestellt. Sie haben durch ihre Korrekturen und redaktionellen Hinweise wesentlich zum Gelingen der Arbeit beigetragen.
Für die großzügige Unterstützung meiner Arbeit und die geduldige Bereitstellung von Archivalien danke ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der KZ-Gedenkstätten Mittelbau-Dora, Buchenwald und Wernigerode, des Thüringischen Hauptstaatsarchivs Weimar, des Niedersächsischen Hauptstaatsarchivs Hannover, der Landeshauptarchive Dessau und Magdeburg, des Bundesarchivs Berlin, des Militärarchivs in Freiburg, des Bundesarchivs in Ludwigsburg (ehemals Zentralstelle der Landesjustizverwaltungen), der Staatsarchive Meinigen und Gotha, der Stadtarchive Bad Gandersheim,