Die Magie der Sucht. Joachim Bräunig
Bungalow fortsetzte. Prinzipiell war er sehr bescheiden und stellte keine großen Ansprüche an sein Leben und an seine Freunde, mit denen er einen lockeren Umgang pflegte und die er zu sich beziehungsweise in den Ferienpark Mirow einlud. Sein Freundeskreis beschränkte sich im Wesentlichen auf ehemalige Studienmitstreiter und seine neue Freundin.
Die Eltern hatten ihn nach dem Scheitern seiner Ehe sofort wieder im Elternhaus aufgenommen, wobei er ihnen versprach, sich so bald als möglich eine eigene Wohnung zu suchen, was er jedoch bisher sträflich vernachlässigt hatte. Seine Eltern erinnerten ihn aber auch nicht an sein Versprechen, da sie seine Anwesenheit genossen und die gemeinsamen Stunden beim Abendessen, die zwar selten vorkamen, mit großer Freude erlebten. An diesem Abend kam Kai wieder frohgelaunt in den Abendstunden im Elternhaus an und seine Mutter fragte sofort: „Bleibst du zum Abendessen?“
„Ja“, antwortete Kai.
„Dann könnten wir auf der Terrasse Bratwürste grillen.“
„Einverstanden, aber später muss ich nochmal fort.“
„Kannst du dir nicht einmal einen freien Abend gönnen?“
„Könnte ich schon, aber du weißt, ich bin beruflich sehr eingebunden.“
„Ich bin gern bei euch, aber ich habe noch eine Verabredung“, gab Kai zurück.
„Lass ihm doch seine Freiheit“, warf der Vater dazwischen.
„Triffst du dich mit Gisela?“, ließ die Mutter nicht locker.
„Sie will mich heute Abend noch anrufen.“
„Dann lass uns keine Zeit verlieren und den Grill anwerfen“, schlug der Vater vor.
„Eine gute Idee, ich helfe dir Vater.“
Kai Schulte hatte ein sehr freundschaftliches Verhältnis zu seinem Vater und war ihm für seine Fürsorge in seiner Kindheits- und Jugendzeit sehr dankbar, denn Kai hatte erst spät den Sinn des Lebens erkannt und war bis zu diesem Zeitpunkt kein einfaches Kind und tobte lieber mit seinen gleichaltrigen Spielgefährten umher, als sich um schulische Belange zu kümmern. Sein Vater, der von Beruf Lehrer war, hatte ihn wiederholt über seine Zukunft aufgeklärt und sich viele Stunden mit ihm beschäftigt, damit er gute Zeugnisse erreicht und sich somit seine Zukunft nicht verbaute. Der Abend verlief in bester Harmonie und die Eltern waren stolz auf ihren Sohn.
3
Detlef Schmidt, der Immobilienmakler und Freund von Ulf Sorge, hatte sich an diesem Freitagabend auf ein ruhiges und gemütliches Wochenende vorbereitet und wollte sich zum Abendessen einige Kartoffelpuffer zubereiten. Sein Grundstück in Vipperow war abseits der kleinen Ortschaft gelegen und daher konnte er seinen Feierabend in Ruhe genießen, denn es kam ganz selten jemand bei ihm vorbei. Er wollte gegen 20 Uhr seinen Sohn anrufen und ihm nach seinem Wohlbefinden fragen. Er hatte ein sehr gutes Verhältnis zu seinem Sohn, der sehr zeitig selbstständig geworden und später mit seiner Familie an die Ostsee gezogen war.
Das Grundstück lag in gerader Richtung vor der Abzweigung in der Ortsmitte, die nach Rechlin führte. In der Ortsmitte von Vippperow gab es eine kleine Gaststätte, die in den Sommermonaten Plätze im Freien vor der Gaststätte anbot. Außerdem gab es hier einen kleinen Tante-Emma-Laden für dringende Einkäufe, ansonsten fuhren die Einwohner nach Rechlin in das Einkaufszentrum. Auf dem Weg von Röbel nach Vippperow fuhr man an einem wunderschönen Feriengelände vorbei. Es nannte sich „Fischerhof-Müritz“, war circa 500 Meter vom Wasser entfernt und hatte vier Apartments und acht Wohnungen. Die Wohnungen waren sehr großzügig gestaltet und boten sich besonders für den Ferienaufenthalt mit Kindern an. Zum Gelände gehörten ein Kinderspielplatz und eine Streuobstwiese und es wurde von altem Baumbestand umgeben. Dieses Kleinod der Erholung war bei Insidern bekannt und über das gesamte Jahr gut besucht, sodass eine Buchung bereits sehr früh zu Beginn des Jahres erforderlich war. Einige der Gäste waren bereits mehrmals zum Erholungsurlaub im Fischerhof.
Die Inhaberin des „Fischerhof-Müritz“, Frau Beate Fischer, war eine gut aussehende freundliche und zuvorkommende Frau. Bei Ankunft neuer Gäste ließ sie es sich nicht nehmen, diese bei der Schlüsselübergabe persönlich zu begrüßen. Bei diesen Gesprächen wurde nicht nur über den Fischerhof gesprochen, sondern es erfolgte auch der Austausch privater Angelegenheiten und Frau Fischer erklärte die Umgebung und deren Ausflugsziele. Die erhobenen Preise passten sich dem in der Umgebung üblichen Niveau an.
Vipperow war eine kleine Ortschaft, wo sich alle Einwohner gut kannten, wobei Detlef Schmidt ein wenig der Außenseiter war, da er nur selten in die Gaststätte ging und auf Grund seiner Tätigkeit als Makler meistens spät nach Hause kam. Die meisten wunderten sich, dass er noch in Vipperow wohnte, wo er doch ständig mit größeren und besseren Häusern und Grundstücken in Verbindung stand. Die Einwohner schätzten, dass er der wohlhabendste Mensch der Ortschaft war. Gelegentlich waren Frauen auf seinem Grundstück gesehen worden, aber diese Verbindungen hielten anscheinend nie sehr lange und er war meistens allein. Detlef Schmidt hatte sich gegen 20 Uhr auf seine Terrasse gesetzt und den Tisch für sein Abendessen vorbereitet, wobei er sich zwei Flaschen Bier dazu gestellt hatte, denn er war ein echter Liebhaber guten Bieres. Er lebte nicht auf großem Fuß, sondern legte sein Geld in verschiedenen Anlagen an, wobei er monatlich eine größere Summe seinem Sohn und dessen Familie schickte. Er brauchte für sich nicht viel Geld zum Leben, da er wenig ausging und sich auch ansonsten mit größeren Einkäufen zurückhielt. Auf Grund seiner Tätigkeit als Makler und der damit verbundenen geringen Freizeit, denn er stand seinen Kunden jederzeit für die Besichtigung von Immobilien zur Verfügung, hatte er wenig Zeit für Hobbys. Seine große Leidenschaft war das Angeln, aber es waren bereits Wochen vergangen, als er das letzte Mal angeln war. Er war mit seinem Leben zufrieden, auch wenn er sich gelegentlich, seit der Scheidung von seiner Frau, etwas einsam vorkam. Er war gesund und konnte sich, unter Berücksichtigung seiner Tätigkeit, seinen Tagesablauf nach seinen Wünschen gestalten. Alle Versuche ein neues Leben mit einer Lebensgefährtin zu gestalten, waren kläglich gescheitert, wobei er sich selbst die Schuld gab, weil er wahrscheinlich zu wenig auf die Wünsche und Vorstellungen eines gemeinsamen Lebens mit den Partnerrinnen einging.
Detlef Schmidt ging in die Küche, um die Kartoffelpuffer, die er zwischenzeitlich gebraten hatte, für das Abendessen auf die Veranda zu schaffen. Er aß die Puffer am liebsten mit aufgestreutem Zucker, den er bereits auf dem Tisch stehen hatte. Er öffnete eine Flasche Bier und goss sich ein Glas ein. Während er zu Messer und Gabel griff, wurde er plötzlich und blitzschnell von hinten mit einer Drahtschlinge an die Stuhllehne gedrückt und er spürte nur noch ganz kurz wie ihm der Atem wegblieb. Zu großen Abwehrreaktionen war er, auf Grund der Überraschung des Angriffes und der Kraft mit der sein Kehlkopf zugedrückt wurde, nicht fähig. Das Leben von Detlef Schmidt wurde in wenigen Sekunden brutal und hinterhältig beendet. Auf Grund der Abgelegenheit des Grundstückes musste der Täter nicht mit Überraschungen durch fremde Personen rechnen. Er hatte die Tat gut geplant und sich bereits längere Zeit vor der Ankunft von Herrn Schmidt auf dem Grundstück versteckt und alle Bewegungen seines späteren Opfers beobachtet. Nach der Tat setzte er sich gemütlich mit einem hämischen Grinsen in die Küche und verspeiste die von Detlef Schmidt zubereiteten Kartoffelpuffer, als plötzlich das Telefon läutete. Der Täter hatte mit diesem Anruf nicht gerechnet und schaute etwas verwirrt auf den Apparat. Nach einiger Zeit schaltete sich der Anrufbeantworter ein und eine männliche Stimme sagte: „Hallo Vati, leider habe ich dich nicht erreicht, bitte rufe zurück.“
Der Täter ließ sich davon nicht beeindrucken und begann mit der Säuberung des Essgeschirrs und schaute sich gewissenhaft in der Wohnung nach möglichen Spuren seinerseits um. Auf Grund der Bodengestaltung der Terrasse und der gesamten Küche, die mit Laminat ausgelegt war, brauchte er wenig Gefahr hinsichtlich von zurückgelassenen Spuren zu befürchten, dennoch wischte er beide Räume kurz durch, wobei er sich reichlich Zeit nahm, denn er befürchtete nicht, von anderen Menschen beobachtet zu werden. Nachdem er alles nochmals gründlich betrachtet hatte, schien er mit seinen Werk zufrieden und zog als letztes den getöteten Detlef Schmidt mit dem Stuhl in die Küche und verdunkelte mittels der eingebauten Vorhänge den Raum. In der Zwischenzeit war es bereits dunkel geworden und er verließ das Grundstück. Die Einwohner der Ortschaft hatten