Mrs. Lewis. Patti Callahan

Mrs. Lewis - Patti Callahan


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Tages vielleicht, Joy. Eines Tages vielleicht.“

      „Jesus sagt uns, wir sollen uns nicht um das Morgen sorgen. Glauben wir ihm das?“

      „Wie meinst du das?“ Chad rieb sich den Nasenrücken, als wäre seine Brille zu schwer.

      „Was wäre“, sagte ich mit gesenkter Stimme und beugte mich näher zu ihm, „was wäre, wenn ich mich auf dieses Gebot verlassen würde? Was in aller Welt würde aus mir werden, wenn ich je den Mut dazu hätte?“

      Chad nickte bedächtig. „Ganz richtig, Joy. Was würde aus uns allen werden, wenn wir auf einmal so kühn wären, an seine Worte zu glauben?“

      Ein paar Augenblicke lang schwiegen wir, bis Eva nach Chad rief und er sich erhob. Ich blieb allein zurück, während draußen der Sturm wütete.

      Nach einer Weile wurde es still im Haus. Ich schlüpfte ins Schlafzimmer, wo Bill schon schnarchte, und suchte mir einen Stapel Papier. Damit ging ich zurück in die Küche, setzte mich, spürte den bebenden Donner von draußen und begann an einem neuen Sonett zu arbeiten. Ich schrieb zwar keine Gedichte mehr, um sie zu veröffentlichen, aber zu meiner eigenen Erbauung tat ich es immer noch. Gefühle, die ich bei Tageslicht nicht eingestehen oder laut aussprechen konnte – der Schmerz unterdrückter Wünsche, das Zurückweisen von Bedürfnissen, weil sie inakzeptabel waren, die Frustration über die Verantwortung, die mich als Frau mit einem engen Korsett umgab –, fanden durch das Tor der Dichtung einen Weg ins Freie.

      In meiner kleinen, engen Handschrift erschien die erste Zeile eines Sonetts.

       Shut your teeth upon your need. – Beiß deine Zähne zusammen für dein Bedürfnis.

       6

       Coinsilver, moonsilver, buy me a tear; I lost all of mine in a bygone year

      „For Davy who wants to know about astronomy“, Joy Davidman

       Winter 1952

      Die Mondgöttin heißt Selene“, erklärte ich Davy an einem dunklen Winterabend, über dem der Vollmond schwebte. Seit Vermont waren sechs Monate vergangen, und der Friede, den jene Reise gebracht hatte, war verblasst wie ein Wasserfall, der stromabwärts längst außer Sicht geraten war. Mein älterer Sohn und ich lagen in dicke Jacken gehüllt still auf einer Decke, schauten hinauf zum Himmelsgewölbe und nannten die Konstellationen beim Namen. Er trug inzwischen eine Brille – die Veranlagung dafür hatte er von mir geerbt –, und seine Augen schienen hinter den runden Gläsern zu wachsen.

      „Ich habe einmal ein Gedicht über ihn geschrieben“, sagte ich ihm. „Über den Mond, meine ich. Ich habe mir vorgestellt, dass flüssiges Silber von ihm tropft.“

      Davy war ganz vernarrt in die Astronomie. Regelmäßig stöberten wir in der Bibliothek nach Büchern über Himmelskörper. In dieser Begeisterung fühlte ich mich ihm näher als in allen anderen Dingen, für die er sich in seinem kurzen Leben interessiert hatte. Ich konnte geradezu spüren, wie sein kleiner, rastloser Körper pulsierte. Als Kind war ich genauso vernarrt in den Himmel und die Sterne gewesen. Das Firmament verlangte nichts von mir, bot mir aber alles. So wie Davy in den seltenen Momenten, in denen er sich nicht wild um sich schlagend seinen Weg durch die Welt bahnte.

      Indessen ging Douglas ganz in der irdischen Welt auf, sei es in einem Fort, das er sich gebaut hatte, oder in dem Schlamm, in den er sich beim Crum Elbow Creek stürzte, der über moosbedeckte Felsen und silberne Kiesel quer über unser Grundstück floss. Topsy, unser Hund, den wir aufgenommen hatten, folgte Douglas auf Schritt und Tritt, wenn er über das Gelände streifte. Und es war dort draußen, mitten in der Natur, wo ich Zugang zu meinem jüngeren Sohn fand. Er grub seine Hände in die Erde meines Gartens und schlenderte vergnügt durch den Obstgarten, den ich gepflanzt hatte. Er schien genauso zu sein, wie ich als Kind gewesen war – ein Einzelgänger, aber ganz zufrieden mit seinem Los.

      Abends kniete ich mich an die Betten meiner Söhne, um mit ihnen zu beten, sie zuzudecken und ihre weichen Wangen zu küssen. Meine wunderbaren Jungs, die inzwischen sieben und neun Jahre alt waren.

      Im Trubel des Alltags zwischen Schreiben und dem Kümmern um die Jungs verlor ich mein Zeitgefühl. „Ich liebe euch“, sagte ich stets, wenn ich das Licht ausschaltete. „Schlaft gut.“

      Die Tage verbrachten wir zusammen mit Lesen oder mit Spielen unter freiem Himmel. Das Farbfernsehen hatte mittlerweile unseren Teil der Welt erreicht, doch wir hatten kein Geld für solchen Luxus, selbst wenn wir ihn gewollt hätten. Und wann immer ich meinen Kindern Märchen und geheimnisvolle Geschichten vorlas, wuchs in mir der Traum, England zu besuchen und meinen Freund Jack zu treffen.

      Unsere Brieffreundschaft bestand nun schon seit zwei Jahren, und ich freute mich jedes Mal auf seine Briefe wie auf den Frühlingsanfang. Ich hungerte nach ihnen. Bisweilen geradezu verzweifelt.

       Jack:

       Wir warten hier darauf, dass der Garten erblüht. Ich sehe schon vor mir, wie die Birken das Grün über unseren Köpfen sprießen lassen. Ich glaube, der Frühling kommt hier später als bei Ihnen. Ich hoffe, diese Jahreszeit bringt Sie wieder zum Gedichte schreiben, denn ich weiß ja, wie sehr Sie das vermissen. Oh, und haben Sie schon gehört – Königin Elisabeth wird nun den Thron besteigen, sie ist erst vierundzwanzig Jahre alt. In dem Alter war ich noch völlig grün hinter den Ohren, und sie wird Königin von England sein.

       Joy:

       Die Primeln lugen aus dem Boden hervor, rot und gelb und scheu. Ich warte darauf, dass die Tomaten so reif werden, dass sie wie voller Ungeduld aus der Haut platzen. Hoffentlich bekomme ich eines Tages England und Ihren Garten zu sehen.

       Ja, ich schreibe wieder Gedichte, und ich versuche mich sogar an Sonetten.

       Oh, die arme Elisabeth! In ihrem Alter war ich eine lautstarke Atheistin. Ich engagierte mich in der Kommunistischen Partei und der League of American Writers und schrieb an meinem ersten Gedichtband (Letter to a Comrade) – was alles keineswegs vergleichbar mit einer Königin ist.

      Vor Jack sparte ich nichts aus, er sah wirklich mich, selbst dann, wenn ich ihm von meinen peinlichsten Patzern und Fehlern erzählte, meinen niederschmetterndsten Rezensionen und Missgeschicken.

      An einem späten Nachmittag im Januar saß ich über meine Schreibmaschine gebeugt und versuchte, eine Kurzgeschichte zu beginnen, während ein stechender Husten mir ein Loch in die Brust riss. Das Hustenmittel, das ich einnahm, machte mich flatterig und hellwach, nützte aber ansonsten kaum. Ich hatte gerade meinen Kopf auf den Tisch sinken lassen, als Bill mit einem Brief in der Hand hereinkam.

      „Hier ist wieder mal eine Lieferung für Mrs. Gresham“, sagte er. „Aus Oxford, England.“

      „Wenigstens ist es nicht wieder eine Rechnung.“ Ich versuchte zu lächeln.

      Bill warf den Brief auf den Tisch und hielt inne. „Was machen wir heute Abend mit dem Essen?“

      Ich sah ihn an, völlig erschöpft wegen alldem. „Ich weiß nicht.“

      Ohne ein Wort verließ er das Zimmer, und ich riss den Umschlag auf, der von England über den Ozean gereist war.

       Jack:

       Nur indem wir uns selbst aufgeben, finden wir unser wahres Selbst.

       Indem wir die Wut aufgeben, die liebsten Sehnsüchte und Wünsche.

       Joy:

      


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