Mrs. Lewis. Patti Callahan
Das würde ich bald in Angriff nehmen. Seit einiger Zeit schon war ich langsam auf dem Weg der Genesung und ich schlief besser, da ich aus Bills Schlafzimmer in mein eigenes umgezogen war.
Ich wollte ihn verlassen, wie gern wollte ich Bill verlassen, aber ich sah keinen Ausweg. Und Gott helfe mir, ich liebte ihn ja! Die Liebe verschwindet nicht einfach, selbst wenn sie nicht mehr erwünscht ist; sie macht sich nicht wegen der leisesten Provokation gleich aus dem Staub. Wenn sie es nur täte!
Da saß ich nun und schrieb über den Willen Gottes und dachte gleichzeitig über Scheidung nach. Aber wir hatten nicht genug Geld, um uns zu trennen; außerdem mussten wir unsere Söhne schützen. Zudem verschlechterten sich die Rahmenbedingungen, da meine Cousine Renee mit ihren zwei Kindern zu uns kam. Die kleine Familie würde bei uns einziehen, damit Renee ihrem alkoholkranken Ehemann in Mobile, Alabama, entkommen konnte. Dahinter steckte ein geheimer Plan. Meine und ihre Eltern schoben eine angebliche Krise in New York City vor. Stattdessen zog sie in Wirklichkeit zu mir, wo ihr Mann sie nicht finden konnte.
Ich zuckte zusammen, als ich eine Autotür zuschlagen hörte. Waren sie etwa schon hier? Es kam mir vor, als wäre Bill gerade erst losgefahren, um sie von der Grand Central Station abzuholen. Ich schaute aus dem Fenster und sah drei Menschen, die mein Leben verändern würden: Renee und die beiden Kleinen, Bobby und Rosemary. Sie bot einen eindrucksvollen Anblick von Eleganz, wie sie auf der Beifahrerseite ausstieg und mit einer behandschuhten Hand ihren schwarzen Hut festhielt. Ich hatte fast vergessen, wie umwerfend sie aussah. Ein Zweireiher aus blauer Wolle schmiegte sich an ihre grazile Silhouette, und ihr langes dunkles Haar ergoss sich in einer schimmernden Kaskade über ihre Schultern. Ihre Kinder, sechs und acht Jahre alt, sprangen aus den hinteren Türen des Autos und machten staunende und ehrfürchtige Gesichter. Ich stand auf, um nach unten zu gehen und sie zu begrüßen.
Jack:
Es stimmt, dass wir, wenn wir die Freiheit haben, gut zu sein, auch die Freiheit haben, schlecht zu sein. Doch diese Wahl ist es, was die Liebe, die Freude und das Gute, die zu genießen sich lohnt, erst möglich macht.
Joy:
Die Freiheit, schlecht zu sein. Ach, wie gern würde ich mit Gott über diese Wahl diskutieren. Aber wie könnte ich das? Wenn ich diese Wahl doch ständig treffe, und wenn ich doch unbedingt will, dass es bei mir liegt, diese Wahl zu treffen.
Seltsam, dachte ich, als ich langsam die Treppe zur Vordertür hinunterging, dass Renee und ich beide Alkoholiker geheiratet hatten. Und nun kam sie den weiten Weg und suchte Schutz bei mir, wo sie mir doch immer als leuchtendes Vorbild vor Augen gestellt worden war – die Messlatte, die meine Mutter stets dazu benutzt hatte, mir meine Unzulänglichkeiten vor Augen zu führen, als ich noch klein war und Renee bei uns wohnte.
Davy und Douglas hatten bereits die Tür geöffnet. Ich stand in der Diele und rieb mir fröstelnd die Arme. In dicken weißen Flocken schneite es. Bill war in seinen langen schwarzen Mantel gehüllt und sah galant aus, als er das Gepäck aus dem Kofferraum des Wagens hievte und auf der schneebedeckten Einfahrt abstellte. Renee beugte sich zu meinem Mann, um ihre Hand auf seine zu legen und etwas zu sagen, was ich nicht verstehen konnte. Sie lächelte; er lachte. Ja, er konnte charmant sein, und in seinen besten Momenten sogar ausgesprochen liebenswürdig.
Als sie die Eingangstreppe erreichten, trafen sich Renees Blick und meiner, und sie lächelte so breit und dankbar, dass ich beinahe in meinen Socken durch den Schnee auf sie zu gerannt wäre. Sie war meine Cousine, meine Blutsverwandte und liebe Freundin. Davy und Douglas standen still und aufmerksam hinter mir.
Sie kam schnellen Schrittes die Stufen empor, und wir nahmen uns in die Arme. Ich strich den Schnee von den weichen Schultern ihres Mantels. „Komm rein“, sagte ich. „Wie ich mich freue, dich zu sehen!“
„Oh, Joy, wie kann ich dir jemals danken?“ Sie legte behutsam die Hände auf die Köpfe ihrer Kinder. Ich schaute an ihnen hinab. Bobby mit kurz geschnittenen braunen Haaren, eingepfercht unter einer Mütze, auf der sich Schneeflocken sammelten. Rosemary, ein dunkelhaariges Kind mit großen Augen, herausgeputzt wie zum Kirchgang, ihre Lackschuhe so glänzend, dass sich für einen Augenblick das Licht der Wandleuchte in ihnen spiegelte.
„Geh hinein, Joy“, sagte Bill, als er mit dem Gepäck beladen den Treppenabsatz erreichte und sich den Schnee von den Stiefeln stampfte. „Es ist zum Erfrieren hier draußen.“
„Herein, herein“, sagte ich. Und dann spürte ich es wie ein Beben unter meinen Rippen: eine kaum merkliche Verschiebung unter dem Fundament unseres Zuhauses, die Veränderung, die diese drei gestrandeten Seelen mitbrachten.
Wir ließen uns in der warmen Küche am Tisch nieder, und ich servierte ihnen Tee und Sandwiches mit Grillkäse. Ich bemutterte sie und wir unterhielten uns über dies und das. Renee hatte ihren Wollmantel über die Lehne ihres Stuhls drapiert und zog sich Nadeln aus dem Haar, um den mit Schnee beflockten Hut zu lösen und auf der Anrichte abzulegen. Ihr Tweedkleid war ein wenig hochgerutscht, und ich erhaschte einen Blick auf die schwarzen Nylonstrümpfe, die ihre Beine zierten. Ich saß neben ihr und hätte gegensätzlicher nicht aussehen können in meinen Männer-Cordhosen und meinem Hemd.
Ich betrachtete das vertraute Gesicht meiner Cousine. Sie war noch keine fünfunddreißig, aber etwas Gealtertes lag in ihrem Blick. Ein Schmerz, wie man ihn eigentlich nur nach einem Krieg erleiden sollte, eine Qual, wie ich sie in den Augen meines Mannes gesehen hatte. Doch hier saß nun eine Frau auf der Flucht, mit makellosem Eyeliner und Mascara. Sie gab wie in einer Electrolux-Werbung das perfekte Bild einer Hausfrau aus den Fünfzigern ab. Schon immer hatte meine Cousine viel Wert auf Schönheit gelegt, und sie war ihr trotz aller Kämpfe, die sie auszufechten hatte, erhalten geblieben. Ich steckte mir eine lose Strähne in meinen Haarknoten und fing an, verlegen zu plaudern.
Jack:
Die Geschichten aus Ihrem Leben – die Ankunft Ihrer Cousine, Ihre Tiere und die Farm – amüsieren Warnie und mich sehr.
Oh, und wie Davy versuchte, eine wilde Schlange zu fangen, um sie als Haustier zu halten. Bitte erzählen Sie uns mehr davon.
Joy:
Ich bezweifle, dass ich jetzt noch damit aufhören könnte.
Später, als Renee und ich nach oben gingen und endlich allein waren, sagte ich zu ihr: „Wir teilen uns ein Zimmer. Wie in alten Zeiten.“
„Schläfst du denn nicht bei Bill?“ Sie stellte ihre große schwarze Handtasche auf der Kommode ab und sah mich mit großen Augen an. „Claude hätte mir niemals erlaubt, in einem anderen Zimmer zu schlafen, nicht einmal in den schlimmsten Zeiten zu Hause.“
„Nun, hier liegt der Unterschied“, sagte ich. „Bill hat mir nichts zu erlauben oder zu verbieten. Sein letztes Techtelmechtel mit einer anderen Frau hat mir fast den Rest gegeben.“ Ich machte eine weit ausholende Handbewegung. „Sieh dich an – du hast nicht nur Claudes Bett verlassen, du hast ihn gleich ganz verlassen!“ Ich zwinkerte ihr zu.
Renee seufzte, als hätte sie jahrelang den Atem angehalten, und setzte sich auf das Bett gegenüber. „Ich bin dir so dankbar, dass du uns hast herkommen lassen“, sagte sie. „Ich weiß wirklich nicht, was ich sonst gemacht hätte. Ich verspreche dir, dass ich dir nicht zur Last fallen werde. Ich helfe mit.“
„Hör schon auf, Süße. Wir sind doch eine Familie. Gemeinsam werden wir das schaffen. Und ehrlich gesagt, ich freue mich riesig über die Gesellschaft und darüber, eine Freundin hier zu haben, mit der ich reden kann. Ich war in letzter Zeit ziemlich … durcheinander. Es wird wunderbar sein, dich wieder in der Nähe zu haben.“ Ich wischte mir eine Strähne aus den Augen. „Auch wenn Mutter immer gesagt hat: ‚Warum nimmst du dir kein Beispiel an Renee?‘“
„Ach Joy, das hat sie doch nie so gemeint.“ Tränen drängten sich in ihre Augen wie der Schnee auf der