Mrs. Lewis. Patti Callahan

Mrs. Lewis - Patti Callahan


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Ich lehnte mich zu ihr hinüber und ergriff ihre Hände. „Jetzt komm erst mal richtig an. Wir unterhalten uns später.“

       Joy:

       Müssen denn die schrecklichsten Erlebnisse der Kindheit sich immer in irgendwelche unbewussten Triebe verwandeln, die unser Leben für alle Zeit beeinflussen? Warum ist es so schwer, die Vergangenheit zu überwinden und eine größere Liebe zu finden, sodass unser wahres Selbst unser Leben leiten kann? Das sollte doch eigentlich das Einfachste auf der Welt sein. Aber, ach, wir kommen immer und immer wieder auf dieses Wort zurück – Hingabe.

       Jack:

       Und wie empfinden wir es, wenn wir entdecken, dass wir nicht unser eigener Herr sind? Gerade wenn wir glauben, wir wünschten, dass unser Leben uns ganz allein gehört, entdecken wir, dass wir unser Leben nur haben können, indem wir es dieser größeren Liebe hingeben, von der Sie sprechen.

      Nachdem wir gegessen, die Kinder ins Bett gebracht, eine Runde Halma gespielt und ein paar Gläschen Rum getrunken hatten, krochen Renee und ich in unsere Betten.

      Etwas beschwipst und schläfrig ließ ich mich ins Bett sinken. Ich verschränkte die Hände unter meinem Kopf und streckte die Ellbogen zur Seite. „Wie haben wir das bloß angestellt, Renee? Wie haben wir es geschafft, uns beide in Alkoholiker zu verlieben und sie zu heiraten?“

      „Das habe ich mich auch schon oft gefragt, Joy. Wir haben getan, was von uns erwartet wurde. Und jetzt schau, was daraus geworden ist. Liegt es an irgendetwas in unserer Kindheit? Irgendetwas, was uns unbewusst eingetrichtert wurde? Ich weiß es nicht.“

      „Ich glaube schon, dass man uns beigebracht hat, unser Licht unter den Scheffel zu stellen, damit die Männer strahlen können oder zumindest ein gutes Bild abgeben. Wir wurden darauf trainiert, ihre Bedürfnisse zu stillen, ihnen zu gefallen, nach ihrer Pfeife zu tanzen. Wir waren Geiseln des Jähzorns meines Vaters und seiner Perfektionsansprüche – immer voller Angst, so zu sein, wie wir wirklich waren, einfach wir selbst zu sein. Und jetzt – wie hätten wir es mit unseren Männern anders machen können?“

      „Von jetzt an werden wir es anders machen, Joy. Das müssen wir.“

      „Ja.“ Ich setzte mich auf und starrte durch die Dunkelheit zu ihr hinüber. „Es muss einen anderen Weg geben, als Frau zu leben – unser eigenes Leben zu führen. Ich will herausfinden, wer ich bin, jenseits all dieser Erwartungen, die uns in ein hübsches kleines Kästchen zwängen. Ich will mich entfalten. Wie aber machen wir das?“

      „Darauf habe ich auch keine Antwort. Ich versuche nur zu überleben – und dank deiner Hilfe gelingt mir das vielleicht.“

      „Hier ist es auch nicht viel besser, Süße. Bill greift immer wieder zur Flasche. Er will, dass ich etwas bin, was ich nicht sein kann: eine Hausfrau, Haushälterin und unterwürfige Gattin. Er kannte mich, als er mich heiratete. Jetzt will er jemand anderen, als könnte mich die Ehe zu einem folgsamen Püppchen machen. Ich will dich nicht dazu verleiten, ihn zu hassen, aber er hat schreckliche Sachen gesagt und getan.“

      „Hat er dich geschlagen?“, fragte sie flüsternd.

      „Nein. Das ist es nicht. Er schlägt andere Dinge – wie zum Beispiel, als er seine Lieblingsgitarre auf einem Stuhl zertrümmerte, oder als er sein Gewehr quer durchs Zimmer schmiss. Meistens ist es nur sein Brüllen und Schreien. Diese wahnsinnige Wut.“ Ich hielt inne. „Renee, er hat zu einem Freund gesagt, er sei nicht so erfolgreich, wie er sein könnte, weil ein Schriftsteller zwei Dinge brauche, eine Schreibmaschine und eine Frau – und beide sollten funktionstüchtig sein.“

      „Was für ein dämlicher Spruch.“

      „Ich sollte mich nicht beklagen. Es ist ja nicht so schlimm wie deine Situation. Meinen Kinder geht es gut. Niemand liegt im Sterben oder ist krank. So schlimm ist es also gar nicht, es fühlt sich nur manchmal so an.“

      „Ich will das nicht vergleichen, Joy. Es gibt viele Möglichkeiten, in einer Ehe unglücklich zu sein. Claude hat uns geschlagen und gedroht, uns umzubringen. Er hat uns herumgestoßen und sich fast zu Tode getrunken. Aber es können noch andere Dinge passieren, die sich so anfühlen, als müsstest du sterben. Wenigstens hast du dir deine Leidenschaft fürs Schreiben bewahrt. Ich habe gar nichts.“

      „Das ist schon eine Hilfe“, gab ich zu. „Aber, meine Liebste, jetzt hast du ja uns, und deine Kinder haben meine.“

      „Ja, jetzt bin ich ja hier“, sagte sie.

      Es fühlte sich so an, als wäre sie gekommen, um uns zu retten, und nicht umgekehrt.

       8

       Yet I lie down alone Singing her song

      „Sapphics“, Joy Davidman

      Die Wochen vergingen, und ich fragte mich, wie wir alle ohne einander überhaupt zurechtgekommen waren: ohne dass die Kinder wie ein Haufen Welpen miteinander herumtollten oder dass Renee und ich bis tief in die Nacht beim Halmaspiel saßen, Rum tranken und uns über das Leben und die Liebe unterhielten.

      Es dauerte nicht lange, bis meine Cousine viele der Aufgaben im Haushalt übernahm. Sie tat all das reibungslos, als wäre sie eigens dazu hergekommen. Sie hatte stets eine natürliche Neigung zu Ordnung und Eleganz gehabt, und für mich war das ein willkommenes Geschenk. Wir lachten und süffelten miteinander, und wir halfen uns gegenseitig mit den Kindern, die oft wild durch Haus und Garten stürmten. Renee schaltete das Radio ein, das bei mir immer ausgeblieben war, und es versorgte uns mit Nachrichten von der Außenwelt. Großbritannien verkündete, es verfüge ebenfalls über Atomwaffen. Albert Schweitzer gewann den Friedensnobelpreis. Herman Wouk erhielt den Pulitzerpreis für den Roman Die Caine war ihr Schicksal. Immer, wenn ich von einem Literaturpreis hörte, erwachten in mir die alten Träume, reckten sich und hauchten meiner Arbeit Leben ein.

      Mit zwei zusätzlichen Händen im Haus schrieb ich länger und schlief öfter aus – ein Genuss, den ich mir nach langen Nächten am Schreibtisch sehr gönnte. Die Kinder bekamen ein warmes Frühstück statt kaltem Müsli, die Wäsche war fertig und säuberlich gefaltet, und der Kühlschrank war gut mit Lebensmitteln bestückt.

       Joy:

       Wie kommt man Verpflichtungen nach, wenn der Wille dafür schwach geworden ist? Es ist eine Tugend, so sagt man mir, und vielleicht geht es nur durch eine höhere Macht. Ein Aufgeben? Oder ein Nachgeben? Irgendwie liegt das Geheimnis in diesem Gedanken verborgen.

       Jack:

       Ich möchte Ihnen von Janie und Maureen Moore erzählen. Habe ich die beiden schon einmal erwähnt? Sie lebten vierundzwanzig Jahre lang mit Warnie und mir zusammen, weil ich eine Verpflichtung und ein Versprechen erfüllte – das ist in der Tat eine Tugend, Joy, und es ist genau das, was Sie mit Ihrer Cousine, Ihrer Nichte und Ihrem Neffen machen. Wissen Sie, Mrs. Janie Moore und ihre Tochter Maureen kamen zu uns, weil ich meinem Kriegskameraden Paddy Moore versprochen hatte, ich würde mich um seine Familie kümmern, falls er getötet wurde, was furchtbarerweise tatsächlich geschah. Maureen ist schon vor einer Weile ausgezogen, aber Mrs. Moore – Janie – wohnte bis letztes Jahr bei uns. Jetzt ist sie in einem Pflegeheim – sie schäumte vor Wut, als sie uns verließ – und hat nicht mehr lange zu leben. Es war viele Jahre lang nicht leicht für uns, ja, für lange Zeit war es eine richtige Qual. Ihr Weggang hat Warnie und mich von einer schweren Bürde befreit.

       Joy:

       Ich hatte keine Ahnung, dass Sie beide so lange Zeit zwei Frauen bei sich wohnen hatten! Jack, Sie sind ein bewundernswerter und freundlicher Mann. Aber ich habe Renee gern hier bei mir


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