Der neue König von Mallorca. Jörg Mehrwald

Der neue König von Mallorca - Jörg Mehrwald


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empfing Ernie seinen Manager mit derart echter Schmalzigkeit, dass auch Hugo überzeugt war, Ernie habe nun den richtigen emotionalen Kontakt zu seiner Zielgruppe gefunden.

      »Junge, das klingt so, wie es klingen muss, um die kleinen Muschis an die Downloads und CDs zu treiben. Nur wenn du richtig ankommst, wirst du der neue König von Mallorca. Und im Hilton wohnt es sich beschissen, glaub mir, ich wäre auch lieber in deiner Nähe. Aber was nimmt man nicht alles auf sich. Und jetzt der Knaller, wir treten noch nicht auf, aber beim nächsten Mal.«

      »Was ist daran ein Knaller?«, fragte Ernie.

      Hugo zeigte sich vorbereitet. »Wir bekommen beim nächsten Mal den dritten Auftritt. Nach uns Onkel Jürgen. Diesmal müssten wir anfangen. Danach Möhre und Mickie Krause. Nicht gut, die Masse ist noch nicht so gut drauf für dich. Old School. Alles zum richtigen Zeitpunkt.«

      »Okay, dann warten wir eben noch die zwei Tage.«

      Es klopfte an der Tür. Ohne dass die beiden etwas sagten, schob sich die Tür langsam auf. Ein junges Mädchen, mit Zöpfen, engen hippen Klamotten, sich üppig durch das T-Shirt wölbenden Brüsten und einem netten Lächeln erregten Ernies Interesse aufs Äußerste.

      »Autogramme erst nach dem Auftritt«, versuchte Hugo möglichst clever zu reagieren, da er nicht wusste, wer die Fremde war und was sie wollte. Was er aber sofort begriff: Es drohte Gefahr, dass er schon bald nicht mehr die alleinige Herrschaft über Ernie besitzen würde; denn in der Tür stand etwas Besonderes.

      *

      Markus Müller und Dr. Ernst Stefest lernten inzwischen die Sitten der Ballermänner besser kennen. Kaum war der Touristenbomber in der Luft, kreisten die ersten Flaschen an Bord. Irgendjemand hatte die blonde Stewardess nach ihrem Vornamen gefragt, und die verriet unglücklicherweise auch noch, dass sie Uschi hieß. Das sollte ihr schon bald leidtun.

      Die Stewardessen versuchten mit zwei Durchsagen, den vom Bordverpflegungsplan abweichenden Alkoholkonsum zu unterbinden, und wurden prompt mit Sprechchören auf ihre eigentliche Verpflichtungen verwiesen. Dreimal intonierte ein Grüppchen aus Oberhausen den Klassiker aller Kindergeburtstage: »Wir haben Hunger, Hunger, Hunger und gaaaaanz viel Durst, Durst, Durst …«, woraufhin der Rest der Passagiere sich lauthals einklinkte und die Stewardessen in tätige Resignation trieb.

      Besonders Uschi hatte unter immer einfallsreicheren Rufen der Passagiere zu leiden: »Was trägt die Uschi unterm Rock? Das weiß nur der schärfste Bock!« zählte da noch zu den harmloseren Einfällen.

      Unterdessen zerrte Uschis Kollegin gedemütigt ihren Getränkewagen in den Gang und zischte: »Nächsten Monat mach’ ich Schluss hier, Uschi. Mallorca ist ein Strafkommando. Ich fliege nicht acht Jahre um die Welt, um hier als Anheizerin im fliegenden Barbetrieb zu landen. Dann kann ich auch gleich in einer richtigen Nachtbar anfangen.«

      »Übertreib nicht. Wir wollten ihnen das Trinken verbieten, und wir haben verloren, basta.«

      »Die Worte einer weisen Blondine von Welt. Hauptsache, dir gefällt’s, Uschi, Muschi … Möchten Sie ein Getränk …?«

      Stefest blätterte in seinen Unterlagen, während Müller leicht irritiert das Treiben an Bord beobachtete. Er bewunderte die Gelassenheit, mit der die Stewardessen trotz aller Obszönitäten der Passagiere ihren Job verrichteten. Gleichzeitig fiel sein Blick auf einen offensichtlich weiblichen Hinterkopf, der sich die ganze Zeit noch nicht bewegt hatte – als einziger. Die anderen bemühten sich nach Kräften, mit irgendjemandem auf Teufel komm raus in Kontakt zu kommen. Es sah beinahe so aus, als hätten sie panische Angst, nicht rechtzeitig den richtigen Trink oder Kopulationspartner zu erwischen.

      Müller wollte herausfinden, wie die Frau aussah, die inmitten dieses Lärms völlig ungerührt dasaß. Aus reiner Neugierde wollte er am liebsten gleich nach vorn auf die Toilette gehen, um auf dem Rückweg das Gesicht dieser Frau zu sehen, aber vor der Klotür warteten bereits sieben Trinkfeste und sangen voller Inbrunst alte Seemannslieder: »… deine Heimat ist das Meer, deine Freunde sind die Steeerne …«

      Stefest kommentierte diesen Auftritt belustigt: »Jetzt müsste sich der Kapitän mit einer Schiffsglocke melden, das wäre perfekte Animation.«

      Müller dachte eher an ein Nebelhorn. Inzwischen grölte die Meute »Ein Leben laaaaaaaanngg«, als wäre die komplette Schalker Südkurve in diesem Flieger unterwegs.

      »Ich stell’ mich ja ganz schön dusslig an!«, warf sich Müller im Stillen selbst vor. Wäre er Jupp aus der Kegelrunde, würde er einfach zu ihr hingehen und sagen: »Hi, ich bin das Double vom Brad Pitt.« Aber er konnte nicht aus seiner Haut – und Zeit, um vor dem Spiegel zu üben, war jetzt auch nicht mehr. Sollten die anderen ruhig ihre Anmache zelebrieren. Er war sicher, dass ihn der Feuerkopf interessierte – schließlich musste ja auch er etwas für seinen Hormonhaushalt tun –, und eine Rothaarige könnte ihn schon reizen. Vielleicht erst mal rein platonisch, obwohl es in dieser Gesellschaft kaum auffallen würde, wenn sich auch ein sexuelles Interesse ergäbe. Müller beschloss also, sein Interesse vorerst vom Kopf in den Bauch zu verlagern.

      Stefest blickte, mit diversen Arbeitspapieren raschelnd, auf: »Mein lieber Markus, welches Produkt würdest du hier an Bord verkaufen, wenn du mit einem Bauchladen durch die Gänge ziehen …?«

      Müller fiel ihm schon ins letzte Wort: »Alkohol, Buttons und Gummi-Gimmicks, die etwas mit Sex und Suff zu tun haben.« Stefest hielt anerkennend inne: »Alkohol in welcher Form?«

      »Schnaps in kleinen Flaschen«, erklärte Müller nach kurzem Überlegen, »die die Form einer Palme haben, deren Wedel man abdrehen müsste, um an den Schluck ranzukommen. Und ab fünf Flaschen hat der Kunde genug Wedel, um sich einen kleinen Affen leisten zu können. Den bekommt er gratis. Natürlich gibt es viele verschiedene Affen zum Sammeln.«

      Stefest nickte: »Das 101-Dalmatiner-Prinzip.«

      »Ja, du entschuldigst mich kurz …« Markus wollte flüchten, er hatte keine Lust, auf dem Flug auch noch Prüfungen seines Verkaufstalents ablegen zu müssen. Und außerdem wollte er endlich herausfinden, wem diese rote Mähne gehörte.

      Die WC-Schlange der Trinkerblasen hatte sich gerade auf zwei reduziert, als Markus sich dazustellte. Er blieb kurz stehen, sah um sich herum die in laute Gespräche vertieften Strohhüte eines Kegel-Klubs und entging einer bevorstehenden Kontaktaufnahme durch den dicken Spaßvogel vom Zoll nur mit einer radikalen Kehrtwende.

      »Einfach zurückgehen, und ich kann ihr in die Augen sehen«, dachte Markus und hörte noch ein kräftiges »Eyyy« des stehen gelassenen Witzbolds, der in einem schwierigen Erinnerungsprozess gerade einen Blondinenwitz aus seinem Kurzzeitgedächtnis kramte und ihn jetzt nicht loswurde, nur weil dieser Typ einfach wieder umdrehte.

      Markus kam dem rothaarigen Geheimnis näher und verlangsamte drastisch seine Schritte. Nein, es war aber auch wie verhext! Rotköpfchen kniete nun auf dem Sitz und unterhielt sich mit seinem Hintermann. Als Markus vorbeitippelte, drehte sie sich, mit dem Rücken zu Markus gekehrt, wieder nach vorne. Er setzte sich geplättet zu Stefest. Die ganze Zeit rührt sich die Frau nicht, und ausgerechnet jetzt musste sie sich umdrehen.

      »Du musst einen Joker-Schnaps verkaufen«, knüpfte Stefest unvermittelt an seine Überlegungen von eben an. »Unter all den kleinen Flachmännern befindet sich immer ein Joker. Wer ihn durch Zufall erwischt, bekommt drei Fläschchen gratis.«

      »Gute Idee«, erwiderte Markus matt. Sein Chef hakte nach: »Nerve ich dich?«

      »Nein. So kann man das nicht sagen«, versuchte sich Markus herauszuwinden.

      »Daran wirst du dich gewöhnen müssen. Ich bezahle dich auch dafür, dass du dich von mir nerven lässt. Mich wiederum nerven die Banker. Jeder von uns wird von irgendjemandem genervt. Und außerdem: Ein gutes Pils wird in sieben Minuten gezapft.«

      Müller stöhnte innerlich. »In sieben Minuten wird ein Pils gezapft« war für seinen Chef die Grundweisheit aller professionellen Pilstrinker. Stefest hatte aus dem Pilszapfen einen Schöpfungsakt gemacht.

      Die Maschine setzte zur Landung an. Markus Müller hoffte inständig,


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