Der neue König von Mallorca. Jörg Mehrwald
hakte Markus nach, während beide ihre Zimmerschlüssel in Empfang nahmen. »Später. Das wäre jetzt zu lang«, ließ Stefest Markus abblitzen, »machen wir uns erst mal frisch. Neben Markus rummsten laut zwei Koffer zu Boden.
»Diese beiden Kamikaze-Fahrer sollte man zur Formel 1 schicken!«
Tatsächlich, der Rotschopf sprach zu ihm. Markus grinste verlegen, als er registrierte, zu welchem Reisegast diese Stimme gehörte.
»Dann müssten die aber nach jeder Runde die zerfetzten Strohballen auswechseln«, antwortete Markus, dem auf die Schnelle nichts Besseres einfiel. Aber die Frau lachte, noch dazu herzlich.
»Blauvogel, Nina Blauvogel.« Sie streckte ihm die Hand entgegen.
»Freut mich, Markus Müller«, sagte Markus und hielt die Hand des Rotschopfs etwas zu lange fest.
Sie lächelte ihn an, griff nach ihren Koffern und verabschiedete sich: »Wir sehen uns, okay?«
»Ganz bestimmt«, versuchte Markus möglichst cool zu wirken. Was ihm natürlich nicht gelang. Die Blauvogel verschwand im Lift.
*
Eine knappe halbe Stunde später klopfte es an seiner Zimmertür. Markus erhob sich vom Bett, auf dem er erst vor wenigen Minuten eingenickt sein musste. Dr. Stefest sah seine verschlafenen Augen, als er näher trat.
»Jetzt nur nicht den Fehler machen und länger als fünf Minuten schlafen, mein Lieber! Kurzschlaf bringt Kraft, nur Kurzschlaf«, dozierte er und testete mit einer Hand aus, ob Müllers Bett federte. Markus sah ihm interessiert dabei zu.
»Mein Vorteil Ihnen … entschuldige, dir gegenüber ist mein Bett. Das quietscht so penetrant, dass ich wohl Mühe haben werde, überhaupt einen Kurzschlaf hinzukriegen«, erklärte der Chef sein Tun und machte sich auf den Weg zur Dusche, um die sanitären Einrichtungen zu begutachten.
»Die Dusche ist ein Rinnsal«, kommentierte Markus, immer noch ein wenig träge, die Untersuchungen seines Chefs, »beim Duschen eben bin ich mir vorgekommen wie der Schlangenmensch von Kalkutta.«
Dr. Stefest verließ mit ernster Miene das Bad und setzte noch einen drauf: »Aus meiner Dusche kommt nicht nur wenig Wasser, sondern es kommt auch noch abwechselnd aus dem linken oder dem rechten Teil des Brausekopfes. Das muss man sich mal vorstellen! Übrigens, Markus, unsere Zimmer sind laut Hotelprospekt mit Fernsehanschluss.«
Markus schaute auf die Anschlussdose, die völlig kabellos in die Wand eingefügt war. »Na ja, von einem Fernsehgerät war ja auch nicht die Rede«, bemerkte er trocken.
*
Wenig später verließen Müller und Stefest gemeinsam das Hotel »Kakadu«. Die Strandpromenade war belebt wie am helllichten Tag. Auf der einen Seite rauschte das Meer, und zwischen den aufgestapelten Sonnenliegen und den Bastsonnenschirmen verloren sich noch ein paar Verliebte und Betrunkene. Die andere Seite der Promenade war hell erleuchtet von Läden, die bis Mitternacht geöffnet hatten, und natürlich von einer endlosen Reihe von Kneipen und Restaurants unterschiedlicher Aufmachung, die von einfachen Holzstehtischen bis zu gediegenen Sitzgelegenheiten mit rotem Teppich reichten.
Befand sich in den Kneipen der Alkohol- und Stimmungspegel um diese Zeit bereits auf höchstem Niveau, so wurden die gediegeneren Restaurants von Gästen besucht, die noch Gespräche miteinander führen konnten.
Es war kurz vor 22 Uhr, die Gewitterwolken hatten sich verzogen, der Himmel war sternenklar. Eine lauwarme, aber erfrischende Brise zog beiden Dienstreisenden in die Nasen. Die Uhren tickten hier anders, die Leute waren relaxt oder besoffen oder beides. Markus kamen in dieser Atmosphäre die ersten versöhnlichen Gedanken zu seinem Hawaii-Hemd.
Auf der Strandpromenade schaute sich sein Chef in den Verkaufsständen der fliegenden Händler um und dachte: Diesen Kitsch kann man mit Sicherheit nur nachts verkaufen, tagsüber würde man die Händler dafür verhaften! Als absoluten Höhepunkt seiner Inspektion empfand er das in deutscher Sprache abgefasste Werbeschild eines Mokkatässchenverkäufers: »Echte deutsche Porzellan von Ville, Roy und Bloch«.
Markus versuchte nach etwa 300 Metern verzweifelt, gut drei Dutzend Handzettel wieder loszuwerden. Junge, dynamische Leute sprachen ihn an: »Heute Abend Bernhard Brink und Nicki im ›Oberbayern‹, kostenloser Eintritt und T-Shirt!« Und um den Attraktionswert noch zu steigern, rief ein spanischer Kollege fünf Meter entfernt: »Heute Abend im ›Oberbayern‹: Nicki … Lauda.«
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An den beiden Marktforschern lief irgendwann auch Ernie, jeden Flyer ablehnend, vorbei. Er suchte nach dieser tollen Frau, die sein Manager vorhin so rüde vertrieben hatte. Er ärgerte sich gewaltig. Denn ihm war klar, dass er unbedingt der nächste Lover dieser wunderbaren Tussi werden musste.
Wenige Schritte hinter ihm folgte allerdings jemand, der das um jeden Preis verhindern wollte. Hugo Schnaller schwante Übles. Was er jetzt überhaupt nicht gebrauchen konnte, waren dumme Kommentare und Zickereien einer Frau, die ihm irgendwie bekannt vorkam.
»Wenn das so weitergeht, muss ich noch einen Security-Mann organisieren, um diesen Schwachkopf unter Kontrolle zu halten«, murmelte er vor sich hin.
Plötzlich packte ihn eine Hand. »Wohnen Sie im ›Kakadu‹?«
»Nein, im ›Hilton‹«, antwortete Hugo genervt.
»Hugo? Hugo Schnaller, Mensch, du hier?«
Hugo blickte in ein Gesicht, an das er sich auf gar keinen Fall erinnern wollte.
»Boy Rack, das perfekte Double von Roy Black … Kannst du dich etwa nicht mehr an mich erinnern?«
»Das muss schon sehr lange her sein«, antwortete Hugo kühl und konnte sich nur zu gut erinnern.
»Du Sau schuldest mir noch zehntausend Mark.«
»Ich sage doch, schon sehr lange her.«
»Hugo Schnaller, die ganze Veranstaltung war ein Riesenerfolg. Der Geburtstag von Roy Black. Zweitausend Leute. Eintritt 30 Mark. Ich habe ein gutes Gedächtnis. Bist du eigentlich damals mit dem Hubschrauber abgehauen?«
Hugo nahm die Hand des Doubles von seiner Schulter. »Ich bin nicht abgehauen. Ich musste damals Vicky Leandros hinterherdüsen … die hatte einen Tobsuchtsanfall, weil irgendein Idiot von ihr verlangt hatte, ›Komm, Roy, wir fahr’n nach Lodz‹ zu singen.«
»Du lügst, Vicky war nicht da. Ich kann sie fragen. Ich habe die Nummer in meinem Handy.«
Hugo trat einen Schritt zurück. »Die gibt auch jedem ihre Nummer. Okay, Boy, lass uns ein anderes Mal weiter reden. Ich suche gerade jemand.«
»Genau wie ich. Aber ich habe dich gefunden«, beharrte Boy auf seinem Erfolg. »Und ich weiß jetzt auch, wo du wohnst. Also, sagen wir mal so: Ich bekomme bis morgen Mittag meine Kohle in Euro. Und sag jetzt bloß nicht, dass du keine hast. Im ›Hilton‹ wohnt man nicht umsonst. Und außerdem kannst du jederzeit deine Kreditkarte in Bewegung setzen. Denn ich werde pünktlich da sein. Und glaub nur nicht, ich weiche dir noch mal von der Seite.« Boy zeigte mit zwei gespreizten Fingern auf Hugos Augen. »Also, morgen Mittag.«
Hugo lief angewidert weiter. »Geldgieriger Sack«, murmelte er. Jetzt hatte er zwei Probleme zu viel. Er zückte sein iPhone und wählte eine Nummer.
»Ja, Hugo hier. Hier läuft was Lästiges rum. Ich bräuchte mal deine diskrete Hilfe. Wie viel? Ich löse mal meinen freien Gefallen ein. Schlagerhäschen Noonu. Ja, die sehe ich wieder, ich habe sogar ihre Handynummer. Die hoppelt auch ganz schnell für mich mal auf dem roten Hotelteppich. Also dann beweg dich. Morgen Mittag. Hilton.«
Hugo steckte das iPhone in seine Jackettasche. Er hatte die Schnauze voll, aber mit einer gewissen Unterstützung würde er ganz schnell schon wieder klare Verhältnisse herstellen. Zuerst war mal sein Ernie dran, der sich nicht an Probezeiten hielt.
Um Hugo herum floss das Bier in Strömen, und die Döner- und Hamburger-Buden verströmten das fettige Aroma, mit dem sie die ewig Hungrigen anlockten.
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Von