Mörderisches Spiel in Leipzig. Uwe Schimunek

Mörderisches Spiel in Leipzig - Uwe Schimunek


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vielmehr vergangen, seit die anderen in der Mannschaft um die Meisterschaft spielten, als ginge es um ihr Leben.

      »Wir brauchen wirklich jeden Mann«, schloss Ludewig seinen Vortrag. »Wir üben morgen in der kleinen Gruppe im Park und am Sonntag alle zusammen auf dem Sportplatz.«

      Gelsenrath zuckte zusammen. Am Sonntag hatte er anderes vor.

      »Wir beginnen gleich nach dem Renntag im Scheibenholz. Es ist ja schon länger hell.«

      Fast hatte Gelsenrath das Gefühl, die ganze Grimmaische Straße könnte hören, wie ihm ein Stein vom Herzen purzelte. Hastig nickte er. »Ich werde da sein, Sportfreund. Am Sonntag auf jeden Fall. Und ich sehe zu, dass ich es morgen auch einrichten kann.«

      Edgar Wank saß im Café im Oertelschen Haus in der Katharinenstraße und wartete auf Thomas Kutscher. Der weilte bestimmt noch im Alten Theater um die Ecke und versuchte die Dramaturgen von seinem neuen Bühnenstück zu überzeugen, so wie täglich in den letzten Wochen. Das konnte seine Zeit dauern. Auch wenn Wank den Freund in seinen Bemühungen unterstützte, fand er doch, dass Pünktlichkeit einem Theaterdichter gut zu Gesicht stünde.

      Derweil widmete Wank sich der Leipziger Zeitung, das Nachmittagsblatt war gerade frisch aus der Druckerei eingetroffen. Ein Blick auf den Leitartikel erklärte die gute Laune des Direktors. Die Freisinnigen hatten sich im Wahlkampf klar gegen die Sozialdemokratie gestellt. Der Artikel zitierte einen Aufruf der Freisinnigen Zeitung. Demnach müsse der Kampf gegen die SPD mit voller Wucht geführt werden, in erster Reihe für die wirtschaftliche und persönliche Freiheit der Arbeiter selbst, weiterhin auch für die politischen und wirtschaftlichen Errungenschaften aller Klassen der Bevölkerung.

      Gelsenrath interessierte sich nicht sonderlich für Politik, deswegen überflog er die weiteren Ausführungen über die Stärkung des Staates und die Einordnung in die Entwicklung des Liberalismus in der ganzen Welt nur noch. Seine Stimme würde am 16. Juni an die liberale Deutsche Volkspartei gehen. Nicht, weil er die Ziele und die Führer dieser Partei besonders schätzte, sondern weil unter seinen Freunden eben Dt VP gewählt wurde.

      Er blätterte weiter und studierte die Meldungen aus Sachsen.Vom königlichen Hofe. Dresden, 22. Mai. Se. Majestät der König besuchte am gestrigen Vormittag mit Ihrer Königl. Hoheit der Prinzessin Mathilde den Gottesdienst in der Hauskapelle zu Hosterwitz. Hernach, so berichtete die Leipziger Zeitung, hielt der König anlässlich der Eröffnung der Städteausstellung eine Tafel im Residenzschloss ab. Es folgte eine schier endlose Aufzählung der Gäste: der Königliche Preußische Staatsminister, Staatssekretär des Innern Doktor Graf von Posadowsky-Wehner, der Königliche Preußische Staatsminister und Minister des Innern, Freiherr von Hammerstein, der Gesandte Staatsrat und Kämmerer Freiherr von Niethammer …

      Schon beim dritten Namen drohten Wank die Augen zuzuklappen, dabei folgte noch eine halbe Spalte adliger Namen mit vollständigen Titeln. Wer sollte so etwas lesen?

      Auch die anderen Meldungen weckten kaum sein Interesse. Der Bund Deutscher Verkehrsvereine tagte in Leipzig, in der Reichsstraße zeigte die Schmiedeberger Klöppelschule eine Sammlung ihrer wertvollen geklöppelten echten Spitzen. Das sei eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges, befanden die Kollegen.

      Wank legte das Blatt auf den Tisch und zog seine Uhr aus der Tasche – gleich halb fünf. Wenn Kutscher nicht bald kam, würde er nach Hause gehen. Als hätte Wank den Auftritt herbeibeschworen, eilte der Freund in diesem Moment durch den Gastraum. Sein offenes Jackett streifte die Stuhllehnen, den Hut trug er in der Hand. Die etwas zu lang geratenen Haare wippten im Gleichtakt mit dem Stoff des Rocks.

      »Guten Tag, Edgar, ich muss dich leider auf heute Abend vertrösten«, sagte Kutscher. Der Freund blieb neben dem Tisch stehen. »Ich bin im Theater aufgehalten worden und habe gleich eine Verabredung, von der ich dir gern beim Bier erzähle.«

      Wank nippte an seinem Kaffee und entgegnete nichts. Er sah seinem Freund vieles nach, doch einen leichten Ärger konnte und wollte er nicht verbergen.

      »Also gut, ganz kurz.« Kutscher setzte sich und bat den Ober per Handzeichen um einen Kaffee. »Ich betreibe einen neuen Sport.«

      »Du und Sport?«

      »Eine englische Sportart. Sie nennt sich Fußball. Dabei wird ein Ball mit dem Fuß getreten, möglichst in ein Tor.« Kutscher bekam seinen Kaffee. »Doch das Beste, mein Freund, kommt noch. Ich habe da eine Geschichte gehört, die wie für dich erdacht erscheint. Der beste Leipziger Fußballsportler ist vor ein paar Wochen unter mysteriösen Umständen zu Tode gekommen.«

      Das ging Wank zu schnell. Er wunderte sich noch über den plötzlichen Ehrgeiz seines Freundes in Sachen Körperertüchtigung und stammelte die Worte: »Ein … Mord?«

      »Das lässt sich noch nicht sagen. Ein seltsamer Schwächeanfall, berichteten die Sportfreunde. Ich höre mich um.« Kutscher trank seinen Kaffee, als handle es sich um Bier. »Ich muss leider gehen. Allerdings nicht ohne eine weitere Neuigkeit.«

      »Hm«, murmelte Wank. In seinem Kopf begann es zu brummen.

      »Du willst es nicht wissen?« Kutscher klang, als habe er einen Orden erhalten.

      »Hm.«

      »Es ist eine gute Nachricht für dich, mein Freund.«

      »Hm.«

      »Ich habe gerade Eleonore Rada getroffen. Die Eleonore Rada!«, sagte Kutscher.

      Wank nahm noch einen Schluck Kaffee. Der Freund wusste, wie sehr er für die Schauspielerin am Alten Theater schwärmte.

      »Sie hat vor der Vorstellung eine Vakanz und würde sich freuen, mit dir etwas Zeit zu verbringen.«

      Sollte er diese Freude teilen? Wenn Fräulein Rada auf seine Avancen einginge, wäre ihm das angenehm. Doch so, mit dem Freund als Kuppler? Wank hörte sich seufzen.

      »Los, mein Freund!« Kutscher stupste ihn über den Tisch hinweg an die Schulter. Der Ärmel des Jacketts stieß beinahe Wanks Kaffeetasse um. »Trink aus und begib dich zum Alten Theater! Heute Abend erstattest du Rapport. Und ich erzähle dir Neuigkeiten vom englischen Sport.«

      Freitag, 22. Mai 1903, abends

      Es ist mir eine Freude, dass Sie die Zeit gefunden haben, Herr Wank!« Eleonore Rada schmeichelte Edgar Wank, als könne er für täglich volle Vorstellungen sorgen. Sie trug ein schlichtes schwarzes Tageskostüm. Der Rock lag eng an den Hüften und warf erst unterhalb der Knie Falten. Die Jacke wirkte an der Taille so schmal, dass Wank sich fragte, ob die Schauspielerin genug zu essen bekam. Ihr schwarzer Hut unterstrich die zarte Blässe ihres Gesichts.

      Er verbeugte sich und deutete einen Handkuss an.

      »Was halten Sie von einem kleinen Spaziergang? Vielleicht ein Abstecher ins Rosenthal? Ich habe über eine Stunde Zeit, bis ich in der Maske erwartet werde.«

      »Aber gern.« Wank reichte der Dame seinen Arm, und sie schlenderten über den Theaterplatz. Wahrscheinlich sehen sie jetzt aus wie Verlobte, dachte er und verspürte einen eigentümlichen Stolz. Zwar war er weit davon entfernt, die Dame zu erobern, doch immerhin verbrachte sie Zeit mit ihm, und das in aller Öffentlichkeit. Es kam ihm vor, als halte er ein kostbares Buch in einer fremden Sprache in der Hand. Der Text blieb ihm verborgen, aber alle anderen mussten Wank für unglaublich belesen halten.

      »Weilen Sie in dieser Welt, Herr Wank?«, fragte die Schauspielerin in neckischem Ton. »Ich dachte, Sie teilen Ihre Zeit mit mir.«

      »Entschuldigen Sie bitte, meine Dame!« Wank spürte, wie sich Hitze auf seinem Gesicht ausbreitete. Vermutlich leuchtete sein Kopf wie eine Laterne.

      Eleonore Rada bemerkte das offenbar, denn sie lächelte verschmitzt und zog ihn weiter.

      Auf dem Schulplatz bahnten sie sich den Weg durch die Fuhrwerke und Droschken. Wank suchte nach einem Thema für die Konversation, doch ihm fiel keines ein. Eigentlich reichte es ihm, die Dame auszuführen – als schweigender Genießer.

      In


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