Der ungeliebte Amadeus und andere Kriminalgeschichten. Dietmar Hann

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länger. Und dann sofort!“

      Werner nickte wieder und strahlte noch ein bisschen mehr. Eine Stunde war immerhin besser als gar kein Skat. Und so, wie er seine Helga kannte, würde sie ihre Drohung sowieso nicht wahrmachen, dafür spielte sie selbst viel zu gern Karten.

      Dass Rosalie vor wenigen Minuten lediglich die „Mädels“ zum Skatspielen animiert hatte, wunderte niemanden in der Familie. Werner musste nicht gefragt werden, der hätte Tag und Nacht „Skat kloppen“ können. Maik würde niemand fragen, denn schon vor Jahren hatte es die Familie genervt aufgegeben, ihm die Skatregeln beizubringen. Und Frank wollte niemand fragen. Der spielte derart miserabel, dass ein Skatabend mit ihm für alle zur Qual wurde und stets in Zank und Streit endete. Zum Glück hatte sich Eileen sehr gelehrig gezeigt. Noch ehe bei ihr die Pubertät einsetzte, beherrschte sie die Kunst des Reizens beim Skat aus dem Effeff. Und das, so meinte Opa Werner, wäre für‘s Leben allemal wichtiger, als Kerle mit hautengen Jeans, tief ausgeschnittenen Shirts und angetuschten Wimpern zu reizen.

      „Ach Mädels, ihr seid so lieb!“ Werner tat, als wischte er sich eine Träne aus dem Augenwinkel. „Meinetwegen müsst ihr aber keine Opfer bringen. Wir brauchen doch nur drei Spieler. Meine Wenigkeit und Rosalie, das sind schon zwei. Eileen, du setzt dich erst mal an dein Referat, derweil ist Oma unser dritter Mann. Und Helga, wenn du zu deinem Strickverein gehst, wird Eileen ja fertig sein und kann dich ablösen. So ist uns allen gedient, oder?“ Werner strahlte, als wäre er eine Reklamefigur der Leuchtmittelindustrie.

      Rosalie schmunzelte. Sie hatte ihren Vater durchschaut. Mit seinem Kompromissvorschlag ließ sich die von Mama strikt begrenzte Spielzeit mindestens verdoppeln. Mir soll‘s recht sein, dachte sie, ich habe Zeit. Ausnahmsweise mal. Die Unterrichtsstunden für morgen sind vorbereitet und Arbeiten muss ich auch keine korrigieren.

      Helga und Eileen begannen, den Tisch abzuräumen.

      „Na los, pack schon mit an!“, forderte Rosalie ihren Sohn auf.

      „Kann nicht, muss kacken!“ Maik verzog das Gesicht zur Grimasse und eilte in Richtung Klo. Das fehlte noch, dass er die Finger für „Weiberarbeit“ krumm machte.

      Als Werner einen Moment mit seiner Tochter allein war, tätschelte er ihr den Unterarm und küsste sie auf die Stirn. „Danke, mein Kind, das war sehr lieb von dir.“

      Im Stillen feixte er. Ach Rosalie, du bist durchschaut. Mit deinen pädagogischen Mätzchen kannst du vielleicht kleine Schulmonster beeindrucken, mich ausgebufften Exbullen nicht. Wär‘ schön, wenn dich Vaterliebe zu dieser Idee inspiriert hätte. Glaub ich dir aber nicht. Deine Fürsorglichkeit zielt doch nur darauf ab, euch ungestörten Wochenendkrimispaß zu sichern. Gib’s zu, Tochter, das ist dein wahres Motiv. Na gut, dann wird Hauptkommissar Opa mal gnädig sein und euch die Täter allein ermitteln lassen.

      Für einen Moment kam Werner Anke in den Sinn. Seine ältere Tochter hatte zwar keinen so wohlklingenden Namen wie die jüngere, war aber anmutiger und herzlicher als diese.

      Anke hätte aus purer Liebe zum Vater Skatabende organisiert. Auch am Wochenende, denn mit Krimis hatte sie genau wie er nichts am Hut. Allein schon deshalb war sie seine Lieblingstochter.

      Anke hatte im Studium einen netten Mann kennengelernt, ihn mit 23 Jahren geheiratet, ihm mit 24 und 26 jeweils eine Tochter geboren und mit 27 feststellen müssen, dass er doch nicht ganz so nett war, denn er hatte ihre zehn Jahre jüngere Schwester geschwängert. Andreas beteuerte unter Tränen und Rotzblasen, dass er nur ein einziges Mal schwach geworden wäre. Und auch nur, weil sich Rosalie ihm halbnackt an den Hals geworfen hätte und er, beschwipst wie er war, den Reizen ihrer jugendlich festen Brüste nicht widerstehen konnte. Rosalie dagegen schwor Stein und Bein, dass Andreas sie schon bedrängt hätte, als sie noch 16 war und sie sich nur deshalb ein Jahr später mit ihm eingelassen habe, weil er immer häufiger gedroht hätte, sie auch mit Gewalt zu nehmen, wenn sie nicht endlich willig wäre. Tatsächlich war sie es aber leid gewesen, ständig von den Freundinnen gehänselt zu werden, weil sie mit 17 immer noch Jungfrau war. Das allerdings hatte sie bis heute niemandem gebeichtet. Helga glaubte ihrer Lieblingstochter aufs Wort. Daraufhin glaubte Anke ihrem Mann ebenfalls aufs Wort. Nicht zuletzt, weil sie ihre Schwester nur zu gut kannte. Werner, der aus berufsbedingter Routine heraus nur Fakten Glauben schenkte, hielt sich zurück. Der einzige offensichtliche Fakt war nämlich Rosalies zunehmender Bauchumfang.

      Dieser Familienkonflikt wollte sich partout nicht im Guten lösen lassen. Deshalb wurde nach der einen Version auf Helgas Betreiben hin Anke samt Familie des Hauses verwiesen. Nach der anderen hat sie von sich aus das Elternhaus verlassen und alle Kontakte abgebrochen.

      Ach, meine Große, es will mir das Herz zerreißen, dass wir uns nicht wieder vertragen haben. Dass ihr nach Australien ausgewandert seid ebenso. Und nicht mal deine Kinder wollen mit ihren Großeltern und ihrer Halbschwester etwas zu tun haben. Welch ein Jammer.

      „Papaha, was ist lohos? Etwa Angst, dass du heute gegen deine Mädels keinen Stich siehst?“ Rosalie kam mit einem Tablett voll mit Gläsern, Flaschen und mehreren Tüten Knabberkram aus der Küche. Gerda folgte ihr mit Spielkarten, Notizblock und Kugelschreiber. „Auf, auf, Werner, es ist nicht mehr ganz so heiß, wir können auf der Terrasse spielen!“

      „Frank! Das ist doch bestimmt schon die dritte Zigarette hintereinander, nicht wahr?“, schimpfte Rosalie, als sie ihren Mann draußen hinter einer dicken Qualmwolke entdeckte. „Ab sofort ist die Terrasse Nichtraucherzone. Geh runter zum Teich und setz dich mit deinem Aschenbecher auf die Hollywoodschaukel. Da könnt ihr beide ungestört vor euch hin stinken. Hier jedenfalls wird jetzt ein gepflegter Skat gespielt.“

      „Gedroschen, Rosalie“, rief Werner, der gerade aus dem Wohnzimmer kam, „hier wird jetzt Skat gedroschen, dass die Heide wackelt. Und das ist nur was für Kenner und Könner und nix für Luschen und Nullen. Also, Schwiegersohn, ab nach Hollywood.“

      „Ach, leckt mich doch alle …“, Frank zeigte den Stinkefinger, nahm den Aschenbecher, schnappte sich die Flasche Bier vom Tisch, die eigentlich für Werner bestimmt war, und schlenderte betont lässig zum Teich hinunter. Schon wenig später vernahm er aus Richtung Terrasse all die Wortfetzen und Geräusche, die ihm schon seit Jahren das Leben im Hause Gattermann vergällten: Hat sich schon mal einer totgemischt! – 18? – Immer! – 20? – Na, aber! – Zwo? – Weg! – Sagt einer mehr? – Wie soll er heißen? – Pikus, der Waldspecht! – Wer kommt raus? – Immer der, der so doof fragt!

      Bereits nach der dritten Runde erschien Eileen am Spieltisch und wurde mit Gejohle begrüßt. Sie hatte die Ausarbeitungen der Schülerin aus dem Parallelkurs einfach kopiert, fertig war die Laube!

      Und schon schallte es durch den Garten: Beim Grand spielt man Ässe … – … und wer keene hat … – … der hält die Fresse! – Hineingewichst … – … und nicht gezittert! – Hosen runter! – … von jedem Dorf ’n Köter! – Kontra! – Re – Schneider, schwarz, angesagt …

      Wenn die Spieler tatsächlich für einen Moment etwas leiser wurden, war aus Maiks Zimmer dröhnendes Geballer zu vernehmen. Er glaubte wohl, mal wieder die Welt vor dem Bösen retten zu müssen und brachte dazu die Spielekonsole zum Glühen.

      Als wäre das alles nicht nervend genug, tauchte Werner immer, wenn er aussetzen musste, bei Frank auf, schubste die Schaukel an und prahlte: „War das’n Grand Ouvert, Mannomann! Wie er im Buche steht!“ Oder: „Oioioi, die hab ich sowas von Schneider und schwarz gespielt!“ Oder: „Den ‚Null‘ hätten die gewinnen müssen. Aber gegen Werner Gattermann haben sie’s nicht können, hahaha!“ Und jedes Mal, wenn er wieder an den Spieltisch zurückmusste, verabschiedete er sich mit den Worten: „Aber wozu erzähl ich dir das eigentlich, du hast doch davon sowieso keine Ahnung!“

      Frank tat meist so, als würde er Werner gar nicht sehen und die Sticheleien nicht hören. Innerlich jedoch wühlten sie ihn auf. Außerdem beschäftigte ihn zurzeit etwas gänzlich anderes. Und von dem hatte Werner keine Ahnung. Und der Rest der Familie zum Glück auch nicht. Dazu kam noch, dass er vor drei Monaten seine Arbeit verloren hatte. Das war in einem Beamtenhaushalt zwar kein finanzieller Beinbruch, wirkte sich aber auf seine Stellung innerhalb der Familie aus. Dass er als


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