Der ungeliebte Amadeus und andere Kriminalgeschichten. Dietmar Hann

Der ungeliebte Amadeus und andere Kriminalgeschichten - Dietmar Hann


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Helga und Eileen abgefärbt. Sogar auf Maik. Und das wurmte ihn besonders. Bei Eileen konnte er das noch verschmerzen, er mochte sie sehr, aber sie war nun mal nicht seine leibliche Tochter. Sein Sohn hingegen war ihm nicht nur wie aus dem Gesicht geschnitten; er war ihm auch vom Charakter her ähnlich, sofern man von seinen pubertären Entgleisungen absah. Manchmal konnte er sich mit ihm fast schon wie von Mann zu Mann unterhalten.

      Werner, dieser Ruhestandsheini, hatte gut reden; seine Pension war gesichert. Auf Lebenszeit. Dass er, Frank, regelmäßig zum Amt latschen und ebenso regelmäßig ohne Arbeitsvermittlung wieder abziehen musste, verflucht noch mal, das war mehr als demütigend. Dabei waren qualifizierte Automechaniker auf dem Arbeitsmarkt Mangelware. Nur blöderweise an seinem Wohnort und in der näheren Umgebung nicht. Dass er sich bereits selbst um Aushilfsjobs bemühte und schwarz die Karren von Freunden und Bekannten reparierte, hielt er vor der Familie geheim. Musste er geheim halten; der hauseigene Bulle a. D. hätte ihn, ohne mit der Wimper zu zucken, verpfiffen. Sicherlich sogar mit Lust. Aber das herauszufinden, hatte Frank keine Lust.

      „Na, Schwiegersöhnchen, noch immer am Brüten? Hockst hier wie ‘ne Glucke auf den Eiern!“ Werner hatte sich unbemerkt genähert und die Schaukel angestoßen. Mein Gott, wie schnell spielen die denn heute, dachte Frank.

      „Könntest dich ja mal auf der Terrasse blicken lassen, alter Quarzer. Aber ohne Kippe, wenn ich bitten darf. Dann zeigt dir dein lieber Schwiegerpapa, was‘n richtiger Siegertyp draufhaben sollte. Hab allerdings meine Zweifel, ob dir das noch was nützt. Einmal Niete, immer Niete. Arme Rosalie!“

      Hau ab, ehe ich mich vergesse, dachte Frank, und als Werner fröhlich pfeifend zum Spieltisch zurückschlenderte, ballte er sogar die Fäuste. Pass bloß auf, alte Großschnauze, dass du nicht eines Nachts „versehentlich“ kopfüber im Teich landest und ersäufst.

      Und wieso eigentlich „arme Rosalie“? Wer ist denn hier bedauernswert, häh? Bin doch eindeutig ich.

      Wie zur Bestätigung ballte Frank erneut die Fäuste. Abgesehen von Werners ewigen Pöbeleien war er mit dessen Tochter gestraft genug. Ständig versuchte Rosalie an ihm herumzuerziehen: Frank, tu dies nicht, Frank, tu das nicht. – Komm mal hier und kuck mal da. – Weißt gar nicht, was du an mir hast. – Ich meine es doch nur gut mit dir, nicht wahr? – Nichtwahrnichtwahrnichtwahr! Als ob er einer ihrer doofen Schüler wäre … Dabei ging er allmählich auf die fünfzig zu. In diesem Alter ist man längst immun gegen alle Pädagogikkacke. Bereits seine Großmutter wusste das. Ihr Spruch „Mit fünfzig kannste niemanden mehr umficken“ klang ihm noch heute in den Ohren, und vor Augen hatte er, wie sie verschmitzt lächelte, wenn sie diese Weisheit kundtat. Rosalie schien leider nichts vom Erfahrungsschatz seiner Großmutter zu halten, denn sie hörte nicht auf, ihn mit ihren Belehrungen zu schikanieren. Was bei dem Vater kein Wunder war.

      Wozu, verdammt noch mal, sollte er sich überhaupt ändern? Rosalie wusste doch selbst nicht, wie sie ihn haben wollte. Heute so, morgen so und übermorgen wieder ganz anders, selbst wenn dies im krassen Widerspruch zu ihren vorhergehenden Wünschen stand. Längst hatte er durchschaut, dass es Rosalie nicht wirklich um Erziehungsergebnisse ging, allein das pädagogische Getue verschaffte ihr Befriedigung. Es war schon ein Kreuz mit seiner Frau. Zum Glück gab es im Bett keine Probleme. Deshalb hatte Frank ihre Macken bisher mehr oder weniger geduldig ertragen. Ansonsten hätte er sich viel öfter in Affären geflüchtet oder längst das Weite gesucht.

      Frank zündete sich erneut eine Zigarette an. In den letzten Wochen war ihm immer deutlicher klar geworden, dass er dieses Familienleben nicht mehr lange mitmachen würde. Auf keinen Fall. Vor der letzten Konsequenz scheute er aber noch zurück, weil eine Scheidung ein verdammt kostspieliges „Vergnügen“ war. Das wusste er von zwei Kumpels, die das ganze Theater bereits hinter sich hatten und sich seitdem jeglichen Kneipenbesuch verkneifen mussten.

      Ich brauche endlich wieder einen festen Job, überlegte er. Egal, ob in meinem erlernten Beruf oder nicht. Meinetwegen auch Kaufhausspion, Wachmann, Bodyguard … Hauptsache bezahlt. Und weit weg von zu Hause.

      Frank warf den Zigarettenstummel in den Aschenbecher und sah zur Terrasse hinüber, wo sich Helga und Rosalie laut stritten. Und wie nicht anders zu erwarten war, kam Werner schon angelatscht. Fünf Meter vor der Schaukel winkte er ihm fröhlich zu und rief: „He, willste Hilfspolizist werden?“

      Frank stutzte. Konnte der selbsternannte Alleskönner etwa Gedanken lesen? Er sprang auf, ging einen Schritt auf den Schwiegervater zu. „Was? Im Ernst? Wie meinst‘n das?“

      Werner trat näher und verzog den Mund zu einem triumphierenden Grinsen: „Naja, sieht aus, als ob du bereits für die Aufnahmeprüfung übst: Stundenlang in die Ferne stieren, ohne an was zu denken. Hahaha!“

      Frank ließ sich wieder auf die Schaukel fallen. „Du musst es ja wissen, du Kriminaloberhauptsuperkommissar“, murmelte er und tastete nach der Zigarettenschachtel. Verdammt noch mal, ich werde mich doch scheiden lassen, dachte er, hundertprozentig! Und so bald wie möglich. Schon deinetwegen, du elender Drecksack!

      Aber, aber … dazu brauchte er halt Geld. Zu dieser klugen Erkenntnis war er heute bereits mehrmals gekommen. Zum Teufel noch mal, er drehte sich im Kreis. Und alles andere drehte sich immer wieder um das Scheißgeld. Und Rosalie saß auf dem Geld. Wie die Glucke auf den Eiern.

      Er stutzte. Wie die Gluck… Hatte er doch eben erst gehört.

      Dass es ihm in seiner neuen Situation dreckig ging, hatte sie bisher nicht bemerkt. Oder absichtlich übersehen. Er dagegen sollte ihr immer alle Wünsche von der Nasenspitze ablesen. Und das fand er ziemlich ungerecht. Gerecht wäre es, sie mal so richtig zur Kasse zu bitten, dachte er. Oder den alten Kotzbrocken. Geld hat der jedenfalls genug.

      „Na, kluckst ja immer noch hier. Nicht einsam? Könntest ruhig mal an deine Liebste denken. Die hat gerade haushoch einen todsicheren Grand ohne Vieren verloren. Bloß gut, dass wir zu Hause nicht um Geld spielen, sonst wäre ich jetzt arm wie eine Kirchenmaus.“

      Als Frank unbeeindruckt weiter vor sich hin stierte, schaute Rosalie missbilligend auf ihn herab. „Aber wie es aussieht, interessieren dich die Sorgen deiner Frau nicht sonderlich. Solange der Herr Gatte ohne Sorgen in den Tag hinein leben kann, ist alles in Butter, nicht wahr? Vergiss bitte nicht, wer hier das meiste Geld nach Hause bringt!“ Und schon halb im Gehen begriffen: „Sag mal, die wievielte Zigarette ist das eigentlich? Frank, ich habe dir schon so oft gesagt: Gewöhn dir das Rauchen ab. So dicke haben wir es deinetwegen ja nicht mehr. Außerdem bekommt man vom Rauchen eine graue Haut.“

      Frank verdrehte die Augen. Er hasste es, wenn seine Frau ohne Punkt und Komma auf ihn einredete und gar keine Antwort erwartete. Und immer wieder diese Unterstellungen und Belehrungen.

      Er seufzte. Wenn Rosalie wüsste … Natürlich dachte er an seine Liebste. Tag und Nacht sogar. Aber eben nicht an Rosalie, denn seine Liebste hieß Melanie.

      Melanie war ganz anders gestrickt als seine Frau. Die störte es nicht, dass er rauchte, sie war selbst Raucher. Oder sagte man ‚Raucherin‘? Egal! Frank zog eine weitere Zigarette aus der Schachtel. Wenn die Biester bloß nicht so verflucht teuer wären! Und immer teurer würden!

      Melanie nahm keinen Anstoß, wenn seine Fingernägel nicht ganz sauber waren oder wenn er nach Benzin und Öl roch. Melanie brauchte kein Sportcoupé, die fuhr leidenschaftlich gern Motorrad. Und von Motorrädern und Autos verstand er ‘ne Menge. Da machte ihm so leicht keiner was vor. Und da, verdammt noch mal, konnte er im Gegensatz zu daheim jederzeit mitreden. Nein, Melanie kam ihm nicht mit offenen Ratschlägen, geheimen Räten oder mit Goethe und Konsorten. Sie war genau wie er ein durch und durch praktisch veranlagter Mensch. Und sie sah verdammt gut aus. Obwohl sie rauchte. Von wegen grauer Haut!

      Die beiden hatten sich vor zwei Monaten auf der Arbeitsagentur kennengelernt. Sie verstanden sich auf Anhieb, sodass sie anschließend noch zwei Stunden auf der Parkbank weiterplauderten. Für den Abend hatten sie sich in der Kneipe verabredet, gingen aber schon nach dem ersten Bier zu ihr auf die Bude, weil sie sich mehr nach Taten als nach Worten sehnten. Frank hatte kein Problem damit, dass sie vom Alter her seine Tochter hätte sein können. Und Melanie störte es nicht, dass es noch eine Rosalie und zwei Kinder


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