Nina und die Sphinxwelt. Sarah Nicola Heidner

Nina und die Sphinxwelt - Sarah Nicola Heidner


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mir aus.“ Sie lief wieder nach oben ins Bad. Sie konnte nicht gut lügen und wollte es auch nicht. Als kleines Kind hatte sie abends immer behauptet, sie sei nicht müde, doch es hatte so albern geklungen, dass ihre Eltern sofort gewusst hatten, dass es gelogen war. Aus ihrem Mund kam grundsätzlich die Wahrheit, was auch der Grund dafür war, dass manche sie nicht mochten, denn sie sagte ebenso frei heraus, wie sie die neuen Klamotten ihrer Freundinnen fand.

      Mit vier Mädchen aus ihrer Klasse machte sie jedoch fast immer etwas zusammen. Da waren Pia, die ein Jahr älter war als Nina, weil sie eine Klasse wiederholen musste, die pferdevernarrte Maria, die manchmal ein bisschen nervte, Mia und Jana. Mia und Jana ärgerten sich die ganze Zeit gegenseitig, was ungefähr so aussah:

      „Blödmann!“

      „Selber!“

      „Gar nicht!“

      „Immer dreimal mehr als du!“

      „Gummimauer!“

      „Ha, zu spät!“

      „Stimmt nicht! Immer zehnmal mehr als du!“

      „Ich hab’s zuerst gesagt.“

      „Überhaupt nicht, Dummerchen!“

      „Böse Hexe!“

      „Mensch, du hast die Intelligenz eines Flohs!“

      „Besser, als wenn man wie du gar keine hat!“

      Die anderen mussten immer darüber lachen, was die beiden dann dazu brachte mitzulachen.

      „Beeil dich, Nina!“, schreckte die Stimme ihrer Mutter sie aus ihren Gedanken. Sie war in der Tür erschienen und schaute ihre Tochter an. „Nicht träumen sollst du, Zähne putzen. Jetzt musst du nämlich wirklich bald los. Ich hole schon mal deinen Koffer.“

      „Ja, gut. Er liegt unter meinem Bett.“ Jetzt griff das Mädchen endlich zu seiner Zahnbürste.

      Eine Minute später wollte Nina sich noch von Schneewittchen verabschieden, doch die war verschwunden. Also rasten sie und ihre Mutter zur Bushaltestelle. Gerade als sie ankamen, schlossen sich vor ihren Augen die Türen des Busses. Sie winkten und riefen, doch der Bus fuhr davon.

      „Na gut, dann fahr ich dich eben“, meinte Ninas Mutter. Sie rannten zum Haus zurück und setzten sich ins Auto. Nina schlug die Tür zu, und sie fuhren los. Während der Fahrt überholten sie sogar noch den Bus, und als sie vor der Schule hielten, stand dort erst die Hälfte der Klasse und von ihren Freundinnen war nur Mia da.

      „Hi!“, begrüßten sie sich, während Ninas Mutter mit der Klassenlehrerin redete und dann schließlich winkend davonfuhr.

      „Bist du auch so aufgeregt?“, fragte Mia, die hibbelig auf der Stelle herumhüpfte.

      „Klar!“ Nina stellte ihren Koffer ab.

      „Mann, ist der schwer“, meinte Mia, die ihn kurz hochhob. „Meiner ist viel leichter. Was hast du denn darin? Etwa Backsteine?“

      „Meine Mutter musste mir noch tausend Sachen einpacken: die fünfte Taschenlampe, ein Nachtsichtgerät, Medikamente, mein Taschenmesser und Ähnliches.“ Nina verdrehte die Augen.

      „Oh Gott, du Arme.“ Mia unterdrückte ein Lachen. Dann deutete sie an ihr vorbei, weil Jana erschien.

      „Hi, Nina“, begrüßte das Mädchen sie.

      „Hi.“ Nina nickte ihr zu, während sich Jana an Mia wandte.

      „Hi, Zimtzicke.“

      „Guten Morgen, Zitrone.“

      „Wieso Zitrone?“ Verständnislos schaute Jana Mia an.

      „Na, weil du so sauer bist wie eine Zitrone – also bitte Abstand zu mir!“

      „Du bist so einfallsreich wie eine Spinne, die immer das gleiche Netz spinnt! So dämlich!“, rief Jana und schwang ihren Koffer.

      Nina und Mia duckten sich.

      „Immer dreimal mehr als du!“ Mia lachte, während Jana schnell antwortete: „Gummimauer!“

      „Zu spät“, Mia seufzte theatralisch, „das tut mir jetzt aber leid!“ Plötzlich prustete sie los und Jana und Nina stimmten mit ein.

      „Sind jetzt endlich alle da?“, fragte ihre Klassenlehrerin und blickte in die Runde.

      Wolken zogen auf und Nina fröstelte. „Mensch, ist das kühl hier.“

      „Du bist echt ’ne Frostbeule!“

      Von hinten erschienen Maria und Pia. Sie schlugen die Hände zusammen und warteten, bis ihr langweiliger Mathelehrer sie durchgezählt hatte: „Zwei, vier, sechs, acht, zehn, zwölf, vierzehn, sechzehn, achtzehn, zwanzig, zweiundzwanzig, vierundzwanzig, sechsundzwanzig, achtundzwanzig, neunundzwanzig. Ja, alle da, Madam.“

      „Wieso nennt er sie bloß immer Madam?“, fragte Pia kichernd, während ihre Lehrerin, Frau Barinkson, in die Hände klatschte. „Schön, schön“, sagte sie und schaute zu ihrem Kollegen Malan, Ninas Englisch- und Sportlehrer, der zugleich auch noch ihr Lieblingslehrer war, und zu Herrn Pikk, ihrem Mathelehrer, der bei der Klasse reichlich unbeliebt war, was an seiner nervösen Art lag, aber auch dem Fach, das er unterrichtete.

      „Gut, alle da. Jetzt fehlt nur noch der Bus.“

      Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis der große Doppeldeckerbus endlich vor dem Schultor hielt und ein kleiner Mann mit einer Zigarette im Mundwinkel heraussprang.

      „Sie sind zu spät“, sagte Frau Barinkson mühsam beherrscht und jede Silbe betonend. „Der Bus sollte um Punkt acht Uhr hier stehen!“

      „Jetzt ischt’s eben ein bissel später geworden“, brummte der Busfahrer und zuckte mit den Schultern. „Also – wenn Sie’s so eilig hab’n, steig’n Sie jetzt ein oder net?“

      „Der wankt ja sogar ein bisschen. Vielleicht ist er betrunken“, flüsterte Maria, während die fünf sich in die lange Schlange einreihten. „Guten Morgen“, grüßten sie Herrn Malan, als der an ihnen vorbeizog, um als Erster einzusteigen.

      Er nickte ihnen lächelnd zu.

      Pia, die sich als Erste eingereiht hatte, versprach, einen Sechsersitz freizuhalten.

      „Das dauert ja noch ewig“, stöhnte Jana gerade, als sich die Schlange in Bewegung setzte.

      Und doch ging es nun recht schnell. Sie verstauten ihre Koffer im Gepäckfach im Bauch des Fahrzeuges, schulterten ihre Rucksäcke und stiegen nacheinander in den Bus. Eine Hitzewelle schlug ihnen entgegen.

      „Wir haben Sommer, nicht Winter“, murrte Jana, die hinter Nina stand. „Wie wär’s mal mit einer Klimaanlage?“

      Es gab einen kleinen Stau, weil die Jungen sich nicht entscheiden konnten, wie sie sich aufteilen sollten, aber schließlich entschied es einfach Frau Barinkson. Dann fand Pia einen freien Platz für sich und ihre Freundinnen. Als sie sich in einer Sechserreihe auf einen Sitz fallen ließen, zogen sich alle außer Nina, die es im Bus nicht zu warm fand, die Jacken aus.

      „Na, Mädels?“ Tom, einer der Obermachos, streckte ihnen die Zunge raus und ließ Abfall aus seinem Rucksack auf sie regnen. Leere Papiertüten, klebrige Kaugummis und faulige Äpfel prasselten auf ihre Köpfe. Schnell rannte er weg, doch Nina sprang auf und lief ihm nach, den Müll, den sie aufgefangen hatte, in der zur Faust geschlossenen Hand. Da sie ziemlich schnell rennen konnte, holte sie Tom nach wenigen Schritten ein, riss ihn an seinem T-Shirt zurück und stopfte den Müll in seinen Kragen.

      „Iiiiihh!“, beschwerte der sich, doch Nina war schon wieder zurückgelaufen und die Mädchen lachten über Tom.

      „Bitte ma herhörn!“, sagte der Busfahrer, als alle einen Platz gefunden hatten. „Isch bin der Herr Raschon. Im Bus kein Essen, kein Trinken, keine ’andys oder andere elektronischen Geräte. Kapito?“ Einen Moment lang paffte er seine Zigarette und verkündete


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