Nina und die Sphinxwelt. Sarah Nicola Heidner
Ähm … mit Schneewittchen“, sagte Nina ausweichend.
Die Katze miaute zustimmend und lief wieder weg.
„Was hast du da gemurmelt?“, fragte Jana misstrauisch.
„Etwas über Sphinxen … aber nur so. Allgemeinwissen, meine ich“, antwortete Nina hastig. „Geschichte … Ägypten … du weißt schon …“
„Aha.“ Jana zog die Brauen hoch, sagte aber nichts weiter.
Nina war froh darüber. Sie murmelte, sie müsse sich eine Sonnenbrille holen, und lief fort von ihrer Freundin. Als sie an dem Bungalow ihrer Klasse angekommen war, ging sie langsam auf ihr Zimmer zu und versuchte sich zu beruhigen. Die Fragen in ihrem Kopf ließen sie nicht los. Was ging hier vor? Wer hatte es auf sie abgesehen? Was hatte diese Kette zu bedeuten? Und – die wichtigste Frage, fand sie – von wem hatten Herr Malan und diese Blyn gesprochen? Es hatte sich nicht gut angehört. Und was war mit Schneewittchen? Sie benahm sich irgendwie komisch. Eigentlich hatte es eine stinknormale Klassenfahrt werden sollen, doch sie entpuppte sich als alles andere als normal!
Um ihren Freundinnen zu entgehen, schloss sich Nina auf der Mädchentoilette ein und las den Zettel, den Schneewittchen ihr gebracht hatte. „Sphinxen (aus dem Griechischen: ‚erwürgen‘ oder ‚mit einem Zauber festbinden‘ oder aber auch aus dem Ägyptischen: ‚das, was Leben empfängt‘) waren Statuen eines Löwen mit einem Menschenkopf, es waren aber auch Widder- und Falkenköpfe gebräuchlich. Im 2. Jahrhundert v. Chr. wurden Sphinxen von vorderasiatischen Völkern wie den Phönikern übernommen, häufig sind Sphinxen auf Wandmalereien geflügelt dargestellt. Auch die Griechen übernahmen Sphinxen mit Flügeln. Die Ägypter nannten Sphinxen auch ‚Hu‘.“
Nina runzelte die Stirn. Dieser Text hatte ihre Geschichtskenntnisse wieder wachgerufen, aber dennoch wunderte sie sich, warum Schneewittchen ihr das Blatt gebracht hatte.
Als sie in ihr Zimmer trat, sah Nina auf ihrem Bett einen weiteren Zettel liegen. Sie trat näher und las: „Deine Kette heißt Ignis. Ich hoffe, deine Rätsel sind damit gelöst. Malan.“
Nina schnaubte ärgerlich. Was dachte sich ihr Lieblingslehrer eigentlich? Sie wusste nicht, wer oder was Ignis war, und deshalb war natürlich keines ihrer Rätsel gelöst. Und was die Kette zu bedeuten hatte, war ihr auch nicht klar geworden. Nina beschloss, Herrn Malan beim Abendessen darauf anzusprechen. Wut kam in ihr hoch. Er gab ihr sogar noch ein zusätzliches Rätsel auf! Zornig stampfte sie aus dem Zimmer, das Papier zusammengeknüllt in ihrer Hand. Als sie aus der Tür des Bungalows trat, öffnete sie die Faust, die sie auf dem Weg nach draußen geschlossen gehalten hatte. Asche rieselte auf den Boden, doch von dem Zettel war keine Spur. Wo war der jetzt hin? Genervt schnaubte Nina auf.
Jetzt konnte sie auch noch auf sich selbst wütend sein. Zu gern hätte sie nachgesehen, ob auf der Rückseite des Zettels ebenfalls etwas gestanden hatte. Und nun war der Zettel verschwunden. Wie war das möglich? War er etwa aus ihrer Faust gefallen? Und wo kam die Asche plötzlich her?
Nina ging wieder zurück und sah sich suchend um. Doch von dem Papier keine Spur. Sie beschloss, die Sache zu vergessen. Es brachte nichts, darüber nachzudenken. Da ihre Freundinnen wahrscheinlich Fußball oder ein anderes Spiel spielten, legte sie sich auf ihr Bett und angelte sich ein Buch aus dem Koffer. Es war eine sehr spannende Geschichte. Gerade als darin die Polizei mit lautem Sirenengeheul in Richtung des beschriebenen Unfallortes raste, hörte Nina einen schrillen, durchdringenden Ton – Feueralarm!
Das Erste, was Nina spürte, war Angst. Was natürlich eine außerordentlich normale Reaktion war. Starr vor Schreck beobachtete sie, wie sich Feuer durch ihre Zimmertür fraß und in den Raum drängte. Flammen züngelten an der Holztür empor. Hitze breitete sich aus und löste kribbelnd Ninas Erschrockenheit. Ruhe bewahren, rief sie sich den ersten Punkt in Erinnerung, der auf der Brandbekämpfungsliste stand, die sie im Chemieunterricht durchgenommen hatten. Mit einem Satz war sie beim Fenster und öffnete es. Das Feuer hingegen hatte schon den Raum durchquert und war nur noch ein paar Zentimeter von ihr Schuhen entfernt!
„Bleib mir vom Leib!“, sagte Nina leise und versuchte bedrohlich zu wirken. Sie wusste selbst nicht, was mit ihr los war. Erst redete sie mit Schneewittchen wie mit einem erwachsenen Menschen, dann mit diesem Feuer. Sie schüttelte den Kopf und schwang sich hinaus aufs Fenstersims. „Zurück“, flüsterte sie noch einmal und war erstaunt, als das Feuer tatsächlich zurückwich und sich in einen leichten Ascheregen auflöste, der sich auf die Decken der Mädchen und den Fußboden legte. Etwas davon schwebte auch an ihr vorbei nach draußen. Nina seufzte vor Erleichterung und sprang aus dem Fenster auf die Wiese. Zu spät bemerkte sie, dass ihre ganze Klasse und die Lehrer sie fassungslos beobachteten. Zum Umkehren war es zu spät, und was sollte sie jetzt sagen? Sie wusste es selbst nicht und stand deshalb nur da, den Mund vor Erstaunen geöffnet. „Äh …“
Alle starrten sie an.
Und sie starrte zurück. Was nun?
„Was … was war das?“, fragte Herr Pikk und deutete auf Nina, die wie erstarrt unter dem Fenster stand, aus dem sie gerade gesprungen war.
„Sie hat das Feuer bekämpft“, sagte die fassungslose Frau Barinkson mit einem nicht zu deutenden Lächeln.
„Nein, nicht bekämpft, sie hat das Feuer beherrscht und weggejagt“, ergänzte Ulrike, eine Schülerin aus Ninas Klasse.
„Nina!“, sagte Herr Malan laut. „Nina, komm bitte mal mit.“
„Nein!“, kreischte Frau Barinkson und hob die Hände.
Nina wich bis zur kalten Steinwand des Hauses zurück. Was ging hier vor sich?
„Ich spreche mit ihr, Sie Flegel!“, zischte die Lehrerin wütend.
Malans Geschichte
Jetzt waren alle Blicke auf Frau Barinkson gerichtet.
„Aber, aber“, sagte Herr Pikk. „Was haben Sie gerade gesagt? Ich habe Sie nicht ganz verstanden.“ Er schien erschrocken zu sein, seine „Madam“ einen solchen Kraftausdruck gebrauchen zu hören.
„Zum Teufel mit Ihnen allen!“, schrie die Lehrerin. „Nina, komm mit! Sofort!“
Die jedoch beschlich das Gefühl, dass hier etwas nicht stimmte.
„Geh nicht mit!“, zischte Herr Malan ihr aus den Mundwinkeln zu, nachdem er sich neben sie gestellt hatte. „Das dort ist nicht unsere Frau Barinkson.“
„Was? – Ich meine, was sagen Sie da?“ Nina verstand die Welt nicht mehr. „Aber das ist sie doch! Sehen Sie hin!“
„Vertraue nicht deinen Augen, sondern deinem Herzen! Es weist dir den Weg!“, entgegnete Herr Malan.
Nina schaute ihn verständnislos an, doch ihr Lehrer wandte sich ab. Das Mädchen seufzte tief und schaute auf die Schüler, die vor ihr standen und sie anstarrten. „Ich weiß nicht, wie ich das gemacht habe“, stellte sie klar. „Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Wahrscheinlich war es Zufall, dass das Feuer wieder verschwunden ist.“
Um den zweifelnden Blicken zu entgehen, schwang sie sich auf das Fenstersims, kletterte zurück in das Zimmer und schloss das Fenster. Sie durchquerte den Raum, ging durch den Flur und flüchtete in die Mädchentoilette, weil sie wusste, dass Jana, Mia, Pia und Maria sofort im Zimmer aufkreuzen würden, um sie auszuquetschen. Aber ihr wurde das alles zu viel. Sie hatte ein relativ normales Leben gehabt und konnte nicht damit umgehen, dass sich jetzt alles plötzlich auf den Kopf stellte.
Sie schloss sich in der erstbesten Kabine ein, lehnte sich gegen die Tür und dachte nach. Sie musste beim Abendessen mit Herrn Malan sprechen, unbedingt! Aber wie würde es weitergehen? Konnten all diese Dinge eine normale Ursache haben? Nina musste wissen, was hier vor sich ging. Also verließ sie die Kabine, ging an den Waschbecken vorbei und linste aus der Tür. Im Flur war niemand – die Luft war rein! Sie schlüpfte durch die Tür, ging zu der Stelle, an der sie am vorigen Abend das Gespräch von dieser Blyn und Herrn Malan