Nina und die Sphinxwelt. Sarah Nicola Heidner

Nina und die Sphinxwelt - Sarah Nicola Heidner


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Schneewittchen, die zusammen mit ihr im Bett lag. „Wieso bist du bloß mitgekommen, hm?“ Erst begann Schneewittchen zu schnurren, dann wand sie sich aus Ninas Armen und raste zur Tür, die einen Spalt breit offen war, damit ein bisschen Licht vom Flur hereinfiel.

      „Schneewittchen! Komm zurück!“, zischte Nina, aber die Katze war schon verschwunden. Unschlüssig stand Nina auf. „Jana? Mia? Pia?“, fragte sie leise. „Maria? Seid ihr wach?“ Aber es kam keine Antwort. Nina tastete nach ihren Hausschuhen, schlüpfte hinein, quetschte sich durch die Tür und durchquerte den Flur. Gerade als sie an der Tür zum Zimmer der Lehrer vorbeikam, hörte sie von dort gedämpfte Stimmen. Erstaunt drehte sie sich um. Eigentlich tat sie so etwas nicht, doch von einem Impuls gelenkt trat sie an die Tür, legte das Ohr an das milchig schimmernde Glas und lauschte.

      „... die Neue …“, hörte sie eine tiefe Männerstimme sagen, die, wie Nina überrascht feststellte, Herrn Malan gehörte.

      „... noch nicht so weit …“, war eine hohe Stimme zu hören.

      „... keine Zeit mehr …“, sagte ihr Lehrer ruhig.

      Die Frauenstimme flüsterte etwas, das das Mädchen nicht verstand.

      „Nein!“, antwortete Herr Malan laut. „Dass kann nicht sein, Blyn. Du musst dich täuschen. Es kann nicht ihre Bestimmung sein …“

      „Sch...!“, unterbrach ihn die Frauenstimme. „Ich kenne sie besser als du, erzähl keinen Unsinn.“

      „Dann ist sie also nicht nur die Neue, sondern auch die Auserwählte.“ Herr Malan seufzte.

      „Der wievielte ist heute?“

      „Wie bitte?“, fragte Herr Malan, der anscheinend nicht zugehört hatte.

      „Ich habe gefragt, welches Datum wir haben“, wiederholte die Frau mit einem leicht ungeduldigen Tonfall.

      „Es ist der siebte Juni, wieso?“, antwortete Ninas Lehrer.

      „Das tut nichts zur Sache.“

      Nina war inzwischen wie erstarrt. Was ging dort vor? Wovon redeten die beiden? Und noch viel wichtiger: Wer war diese Frau?

      „Dann hat sie ja nur noch … bist zum einundzwanzigsten, Jan, rechne mal bitte.“

      „Du warst noch nie gut in Mathe.“

      Nina konnte geradezu sehen, wie Herr Malan nett lächelte, so als wenn er in ihrer Klasse unbegabten Mathematikkünstlern wie ihr zum vierten Mal ein und dieselbe Sache erklären musste und dabei nicht die Geduld verlor. „Vierzehn Tage hat sie noch, Blyn. Und das sind ganze zwei Wochen.“

      „Aber dann sieht das arme Kind ja seine Eltern nicht mehr, bevor … bevor es in die Welt eintaucht“, stöhnte Blyn.

      „Leider“, sagte Herr Malan mit ernster Stimme, die Nina von ihm gar nicht gewohnt war.

      Stühle wurden gerückt und Nina löste sich aus der Starre, stolperte nach hinten und rannte, während die Tür mit einem leisen Quietschen aufging, zurück in ihr Zimmer. Sie konnte das Gespräch nicht nachvollziehen. Aber sie ahnte, dass es nicht gut war, was die beiden besprochen hatten. Nina war froh, dass sie nichts mit all dem zu tun haben würde.

      Sie konnte ja nicht wissen, wie sehr sie sich täuschte.

      Schnell schlich sie in ihr Zimmer zurück, kletterte in ihr Bett und beschloss, morgen nach Schneewittchen zu suchen. Es dauerte lange, bis sie endlich einschlafen konnte, und dann träumte sie einen wirren Traum von Herrn Malan, der mit ihrer Katze sprach, die plötzlich Blyn hieß.

      „Wir machen einen Ausflug“, verkündete ihre Klassenlehrerin, als sie sich nach dem Frühstück draußen auf der Wiese im Schatten einer großen Eiche – denn es war trotz der frühen Stunde sehr heiß – zusammengefunden hatten, „den Herr Malan organisiert hat.“

      „Hätte mich auch gewundert, wenn sie das getan hätte“, flüsterte Jana und die anderen Mädchen kicherten.

      „Girls …“, seufzte Dirk, einer der Jungen mit hoher Stachelfrisur, und verdrehte die Augen.

      „Wir gehen zum Hafen und fahren von dort auf die nächstgelegene Insel, die wir in kleinen Gruppen erkunden werden.“

      „Jippie!“, riefen Nina und Mia gleichzeitig und sprangen in die Luft.

      Auch die übrigen Klassenkameraden freuten sich riesig.

      „In einer halben Stunde geht es los, macht euch also schon einmal fertig und nehmt Wasser und Proviant mit!“, meldete sich Herr Malan zu Wort.

      Als Nina ihren Lehrer sah, erinnerte sie sich wieder an die Ereignisse der letzten Nacht. Sie schauderte.

      Doch Jana riss sie aus ihren Gedanken: „Komm, Nina. Machen wir uns fertig.“

      „Und ich?“, protestierte Mia.

      „Tut mir leid“, sagte Jana. „Mit Blondinen rede ich nicht.“

      „Ich bin auch blond“, protestierte Nina.

      „Aber nicht dämlich“, verbesserte Jana sie.

      „Ich bin zehnmal klüger als du! Nimm dich lieber in Acht!“, warnte Mia.

      „Was machen zwei Blondinen, die Strohballen hin und her werfen? – Gedankenaustausch! Soll ich dir auf dein Strohballenhirn spucken?“

      „Nein, igitt! Ich spuck dich zuerst an!“

      „Immer zehnmal mehr als du!“

      „Gilt nicht!“

      „Wohl!“, rief Jana laut.

      Die beiden kabbelten sich den ganzen Weg von der Wiese bis hin zu ihrem Bungalow. Erst dort gaben sie endlich Ruhe.

      „Cool!“, rief Maria. Sie, Jana, Pia, Mia und Nina standen nebeneinander an der Reling der großen Fähre, die sie zur benachbarten Insel bringen sollte, und der Fahrtwind zerzauste ihnen das Haar.

      „Denkt ihr, wir sehen Delfine?“, fragte Pia und stellte sich auf die Zehenspitzen, um nach unten auf die Gischt blicken zu können.

      „Brr!“, machte Nina, als ihr die Wassertropfen ins Gesicht klatschten.

      „Dir ist doch jetzt nicht kalt?“, fragte Maria, denn alle trugen nur T-Shirts und Shorts und keiner außer Nina fror.

      „Frostbeule“, meinte Jana, als Nina aufstand und in die Mitte des Sonnendecks ging, wo die ganze Klasse die Rucksäcke hingestellt hatte. Sie holte sich eine rote Strickjacke, zog sie an und kehrte wieder zu den anderen zurück, um den Wind und die frische Seeluft zu genießen.

      Delfine sahen sie zwar nicht, aber als sie ankamen, durften sie in Gruppen den Strand erkunden. Sechs Jungen hatten sich die Erlaubnis geholt, die Stadt hinter den Dünen zu erkunden und waren bald verschwunden. Die Mädchen schlenderten eine Weile am Strand entlang, gingen dann aber auch in Richtung Stadt und ließen sich neben einem Holzweg, der zur Stadt führte, auf einer Wiese nieder. Sie legten sich ins trockene Gras und blinzelten in die Sonne.

      „Wie schön kann das Leben sein!“, seufzte Jana und streckte sich. „Wäre da nicht noch diese Mia!“

      „Na warte!“, rief Mia und eine Sekunde später wälzten sich die beiden auf dem Gras hin und her, sodass ihre Kleidung einen grünlichen Ton annahm.

      Maria, Pia und Nina sahen lachend zu, wie mal Mia, mal Jana oben war und die beiden langsam, aber sicher, dem Strand immer näher kamen. Kurz darauf verfolgte Mia Jana über den Holzweg, und dann waren die beiden wieder am Strand verschwunden.

      „Ich wette, bald landen die im Meer“, kicherte Pia.

      „Ich hatte euch gewarnt“, sagte eine vertraute Stimme hinter ihnen.

      Die drei Mädchen fuhren herum und erblickten Tim, der zwischen zwei Frauen und einem Mann stand.

      Nina schluckte, die Drohung im Bus hatte sie völlig vergessen! Die drei Fremden waren ganz in Schwarz


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