Chefvisite. Die unerwartete Rückkehr des Auferstandenen. Albrecht Gralle

Chefvisite. Die unerwartete Rückkehr des Auferstandenen - Albrecht Gralle


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euch sehen.“ Er nickte einem dieser leuchtenden Gestalten zu und redete zu ihm in einer fremden Sprache, die sich seltsam anhörte, reich an Vokalen und sehr melodisch.

      Und schon war die Versammlung von Seelen verschwunden.

      „Dass ihr das sehen konntet, ist eine Ausnahme“, sagte Jeschua. „Es ist nicht gut, die anderen dauernd wahrzunehmen, das würde euch nur verwirren. Aber habt ihr die dunklen, dumpfen Gestalten gesehen?“

      Wir nickten.

      „Das waren Seelen, die nicht das Vergnügen hatten, durch die Vergebung gereinigt zu werden. Es ist ungefähr so, als ob du wochenlang im Garten gearbeitet hast, aber es gibt keine Dusche weit und breit. Also, was ist? Wollt ihr generalüberholt werden oder nicht?“

      Die Sache mit den dunklen Seelen hatte mich überzeugt. „Okay, ich bin bereit.“

      „Ich auch“, sagte Charlotte.

       7

      Jeschua fuhr sich durch die Haare, blickte mich an und gab mir dann den Tipp, ein leeres Blatt zu nehmen, mich zurückzuziehen und alles aufzuschreiben, was mir an Dingen einfiel, die in letzter Zeit nicht richtig gewesen, die schief gelaufen sind und die ich nun bereute.

      Dann sollte ich mit dem vollgeschriebenen Blatt zu ihm kommen, und er würde mir vergeben.

      Ich dachte zuerst, wie soll ich bloß dieses Blatt füllen? Aber als ich dann anfing, allen vergangenen Mist aufzuschreiben, der mir in den Sinn kam, wurde es immer mehr, und ich musste das Blatt umdrehen. Menschen kamen mir in den Sinn, mit denen ich mich verkracht hatte, kleine Unehrlichkeiten, Notlügen, verpasste Gelegenheiten, wo ich eigentlich etwas hätte tun sollen und es nicht getan hatte, die scheinbar harmlose Fahrerflucht nach einem verunglückten Einparken und so weiter. Irgendwann versiegten die Einfälle, und ich ging zu Jeschua und wollte ihm mein Blatt geben.

      „Laut vorlesen“, sagte er nur.

      „Aber du weißt doch schon alles.“

      „Egal. Das gehört zum Ritual.“

      Ich überwand mich und las es ziemlich leise vor.

      Als ich fertig war, fragte er: „Bereust du das alles?“

      „Klar, und wie.“

      „Gut. Ich vergebe dir.“

      Dann war es still. Zuerst dachte ich. Und jetzt? War ja alles ein bisschen prosaisch. Ich spürte nichts.

      „Woher weiß ich denn, dass es vergeben ist?“, fragte ich.

      „Abwarten“, sagte Jeschua.

      Ich wartete, und dann kam eine Woge über mich wie eine riesige Welle, und mir kam es vor, als ob der ganze Dreck weggespült wurde.

      Mein Inneres fühlte sich frisch an, und ein Friede breitete sich in meinem Körper aus wie ein Orgelton, der immer reicher und klangvoller tönte.

      Ich fing an zu weinen und konnte gar nicht aufhören. Aber es war ein gutes Weinen.

      Ich stand auf, wankte nach draußen in den Garten und setzte mich auf eine Bank. Ich brauchte frische, kühle Herbstluft. Hinter mir hörte ich wie Jeschua sagte: „Und das lasst ihr euch entgehen?“

      Ich war nun also generalüberholt oder gereinigt und bereit, meinen Reisedienst mit Jeschua anzutreten. Meine Frau war dann nach mir dran, kam ziemlich aufgelöst aus dem Reinigungszimmer und setzte sich neben mich. Stumm blickten wir über den Rasen und sahen, wie durch die Lavendelbüsche der Wind strich.

      Seltsam, dachte ich, da zitieren wir Christen regelmäßig im Glaubensbekenntnis den Satz: Ich glaube an die Vergebung, aber kaum jemand wendet ihn praktisch an.

      Mir fiel eine Geschichte ein, die ich mal gelesen hatte. Ein Seifenfabrikant hatte eine neue Seife auf den Markt geworfen und verdiente ganz gut damit. Als er einen Priester traf, kam er mit ihm ins Gespräch und sagte: „Mit dem Glauben ist es ja so eine Sache. Seit zweitausend Jahren gibt es nun schon den christlichen Glauben, aber hat sich deshalb irgendetwas Grundlegendes geändert? Es gibt immer noch genügend Elend. Die Menschen ändern sich eben nicht. Meine Seife hat mehr verändert als zweitausend Jahre Kirchengeschichte.“

      Der Priester sagte nur: „Gut. Sie haben eine neue Seife entwickelt, und jetzt schauen Sie sich mal dieses Kind an: total dreckig.“

      Der Seifenfabrikant lachte: „Aber man muss doch die Seife anwenden.“

      „Genau“, nickte der Priester, „man muss den Glauben anwenden.“

      Wie gesagt: Wir waren jetzt startklar und gespannt, wie es mit uns und Jeschua weitergehen sollte.

      Die Terrassentür öffnete sich, und Jeschua setzte sich auf einen der Stühle neben uns. Er hatte ein Tablett mit Tassen, etwas Gebäck und eine Kanne Tee. Außerdem hatte er unsere Jacken mitgebracht. Allmählich wurde es kühl nur im Hemd. Wir gossen uns Tee ein und tranken einen Schluck.

      Jeschua gab mir eine Kreditkarte und sagte mir: „Besorge uns zwei Flüge nach New York.“

      „Hin und zurück?“

      „Nein, nur einfach. Wir müssen die Rückreise spontan buchen. Und dann nimmt sich Charlotte für das kommende Wochenende kurzfristig einen Flug, um uns zu treffen. Ich lasse ihr auch eine Kreditkarte zurück.“

      „Einen Flug wohin?“

      „Das weiß ich noch nicht. Ich bin nicht mehr allwissend und muss auf Eingebungen achten.“

      „Okay“, sagte ich. „Business oder Touristen?“

      „Bist du schon mal Business Class geflogen?“, fragte Jeschua. „Bisher noch nicht.“

      „Dann buche Business. Ist für uns alle ein bisschen entspannter. Wir werden noch oft genug auf schlechten Straßen fahren.“

      „Gut. Mit Vergnügen. Ich brauche aber für dich einen vollen Namen, Adresse mit Geburtsdatum und allem. Hast du überhaupt einen Pass?“

      Er stand auf, ging ins Haus und kam tatsächlich mit einem Pass zurück. Neugierig nahm ich ihn in die Hand. Es war ein deutscher Pass, und unter dem Passbild stand: Josua Davidsen und eine Adresse in Hannover. Geboren: zweiundzwanzigster September 1987.

      „Josua ist im Grunde das gleiche wie Jeschua, aber klingt hier normaler.“

      „Und wie kommst du zu dieser Adresse?“, fragte ich und goss mir noch eine Tasse Tee ein.

      „Eine reguläre Adresse. Ich stehe ganz offiziell im PC des Einwohnermeldeamtes.“

      „Keine Ahnung, wie du das gemacht hast.“

      „Vor dreihundert Jahren war das noch nicht nötig. Aber jetzt wird hier alles registriert.“

      Ich zuckte die Schultern. „Im Himmel doch auch, oder nicht? Selbst unsere Haare sollen gezählt sein.“

      Jeschua lachte. „Ich sehe schon, du scheinst dich in der Bibel auszukennen. Aber das hat einen anderen Grund, warum der Himmel so gründlich ist.“

      „Und welchen?“

      „Das hat etwas mit der Liebe zu tun. Was man vom Einwohnermeldeamt nicht unbedingt sagen kann.“

       8

      Wir fuhren mit einem Taxi und unserem Handgepäck durch das Verkehrsgewühl von New York. Jeschua hatte mich überredet, nur Handgepäck mitzunehmen.

      „Lass uns zuerst einmal hier ankommen“, sagte Jeschua. „Ich liebe den Central Park. Besonders jetzt, wenn die Blätter bunt sind.“

      Er fing sofort ein Gespräch mit dem Taxifahrer an, natürlich sprach er fließend Englisch, stellte sich mit Joshua vor und erfuhr, dass der Fahrer Ken hieß. Ich fragte mich, warum Jeschua gleich so vertraulich einstieg.


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