Der arme Trillionär. Georg Ransmayr

Der arme Trillionär - Georg Ransmayr


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der ihm prompt Sigmund Bosel ans Herz legt. Schober beauftragt daraufhin seinen Vertrauensmann Franz Brandl, Bosels Hintergrund zu überprüfen. Als Brandl grünes Licht gibt, bekommt Bosel in der Polizeidirektion einen Termin. Es dauert nicht lange, und Johann Schober ist überzeugt, dass er mit dem jungen Geschäftsmann einen guten Griff gemacht hat: „Bosel hat tatsächlich binnen weniger Wochen eine für die damaligen Verhältnisse unerwartete Versorgung der Polizeiorgane mit aus dem Auslande herbeigeschafften Lebensmitteln in die Wege geleitet.“ Auch beim Startkapital für den Polizeiversorgungsbetrieb fackelt Bosel nicht lange. Er nimmt kurzerhand einen Kredit bei der Verkehrsbank auf, für den er persönlich bürgt. Dadurch kann der Lebensmittellagerbetrieb gleich im Juli 1918 gegründet werden.37

       zum Reichtum: Selfmademan Sigmund Bosel. Foto: Max Fenichel, 1926.

      Die Gegenleistung, die Bosel 1918 dafür haben will, dass er für den morschen Staat den Wohltäter spielt, ist der Ehrentitel eines Kaiserlichen Rates. Insgeheim wird Bosel sicher auf einen Adelstitel gespitzt haben. Im Umgang mit der Staatsgewalt gibt er sich aber untertänig und genügsam. Schober hält den Titelwunsch für „äußerst bescheiden“ und fühlt wegen der Ernennung bei Innenminister Gayer vor. Der meint jedoch, dass der 25-jährige Bosel für die Auszeichnung „Kaiserlicher Rat“ noch zu jung sei. Die betroffenen Dienststellen raufen sich auf einen Kompromiss zusammen: Bosel soll ungeachtet seines Alters „Kaiserlicher Rat“ werden, wenn er seine Aufgabe als „Versorgungsdirektor“ der Polizei zwei Jahre tadellos erledigt.

      Der Freund und Helfer des Polizeipräsidenten

      Im Sommer 1918 macht sich Sigmund Bosel ans Werk. Er muss im Kompetenz-Dschungel der Kriegswirtschaft Lebensmittel und Textilien zusammenkaufen und den verschiedensten Abgabestellen spezielle Zuteilungen für die Exekutive abtrotzen. Um der Polizei Kosten zu ersparen, stellt Bosel sein Büro in der Heinrichsgasse samt Personal und zwei „Fernsprecher-Anschlüssen“ unentgeltlich zur Verfügung. Anfangs verwendet Bosel für die Geschäftskorrespondenz im Namen der Polizei sogar noch sein eigenes Briefpaper. Erst im Herbst 1918 wird dem „Lebensmittellagerbetrieb der kaiserlich-königlichen Polizei-Direktion Wien“ eigenes Schreibmaschinenpapier zur Verfügung gestellt.

      Ein Glanzpunkt der Inszenierung ist die erste Weihnachtsfeier nach der Kriegsniederlage, die der 44 Jahre alte Polizeichef mit seinem Monokel auf der Nase in der Wiener Marokkaner-Kaserne organisiert. Die Exekutive präsentiert sich als eine Sippe rechtschaffener Staatsdienerfamilien, in der sich der oberste Kommandeur sogar ums Christkind kümmert. Weil die Versorgung der Beamtenschaft mit Bosels tatkräftiger Hilfe klappt, werden dem Polizeichef


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