Amorphis. Markus Laakso

Amorphis - Markus Laakso


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wo wir das hauptberuflich machen. Wir legten einfach los, ohne uns groß um Details zu kümmern“, erinnert sich Rechberger mit einem Anflug von Wehmut.

      Die Sorglosigkeit zeigte sich auch daran, dass Oppu nicht einmal seinen eigenen Bass mit ins Studio nahm. Auch auf Konzerten verließ er sich gelegentlich darauf, sich irgendwo ein Instrument ausleihen zu können. Das am 4. Januar 1991 fertiggestellte Demo umfasste drei Songs und wurde auf den Namen Disment Of Soul getauft. Die Stücke wurden größtenteils live eingespielt, mit nur wenigen Overdubs. Koivusaaris Stimme wurde etwas manipuliert, sodass sie tiefer und brutaler klang. Der Titel fiel demselben Flüchtigkeitsfehler zum Opfer wie schon der Bandname: Der Wörterbucheintrag war falsch im Gedächtnis geblieben. Der Name des Demos sollte „Zerstückelung der Seele“ bedeuten, aber die mittleren Silben von „dismemberment“ fielen der Vergessenheit anheim. Disment hat keine Bedeutung.

      „Kein englischer oder amerikanischer Journalist hat den Fehler je zur Sprache gebracht“, erinnert sich Snoopy. „Auch Spielfehler machten uns nichts aus. Es war egal, ob das Timing stimmte oder die Doublebass sauber klang. Und von den Texten hat man eh kein Wort verstanden. Sowas hat damals kein Schwein interessiert.“

      Democover, Bandlogo und das erste T-Shirt-Motiv wurden von dem Franzosen Chris „ThornCross“ Moyen gezeichnet, der gerade am Anfang seiner Karriere als Grafikdesigner und Illustrator stand. Er wurde später zu einem der angesehensten Künstler des Metal-Undergrounds; seine düsteren Werke zieren unter anderem Alben von BEHERIT, BLASPHEMY, ARCHGOAT und INCANTATION. Sein Stil war so detailgenau, dass die Einzelheiten des ersten AMORPHIS-Shirts, auf dem drei Leichen aus ihren Särgen steigen, vereinfacht werden mussten, um den verfügbaren Textildruckmöglichkeiten zu genügen.

      Moyens Werke waren vor Insiderwitzen nicht sicher: Der fledermausähnliche Namenszug wurde intern als Batman-Logo bezeichnet und die Splatter-Figur, die sich auf dem Democover die Gedärme aus dem Leib reißt, erhielt den Spitznamen „Wurstverkäufer“. „Das Cover sieht aus, als hätte der Typ ’ne Fleischpastete in der Hand, aus der das Ketchup in die Gegend spritzt“, lacht Esa.

      Die auf der Kassette befindlichen Stücke Disment Of Soul, Excursing From Existence und Privilege Of Evil knüpften an die Linie von ABHORRENCE an. Im musikalischen Sinne waren sie etwas weniger brutal, im technischen dafür umso mehr. Die Kompositionen waren düster und primitiv, die Soundlandschaft selbst in den klarsten Momenten ausgesprochen breiig. Das Demo erhielt jedoch viel Aufmerksamkeit und gute Kritiken in den internationalen Metalzines. Beispielsweise bezeichnete Mikko Mattila von Isten, dem wohl bedeutendsten Fanzine Finnlands, Privilege Of Evil als eine der besten Death-Metal-Nummern, die er seit langem gehört hätte. Er verglich die Band mit BOLT THROWER und PARADISE LOST. Vom Mainstream wurde Death Metal noch lange nicht verstanden. „Finnland war im Hinblick auf Death Metal total rückständig“, bestätigt Oppu. „Auch in den Studios hatten die Leute noch nie davon gehört und kriegten den Mund nicht mehr zu, wenn jemand zu growlen anfing. Als Koivusaari seiner Mutter das Demo vorspielte, hörte sie den Gesang überhaupt nicht! Heutzutage ist es nichts Besonderes, im Radio CHILDREN OF BODOM zu hören, aber damals gab’s nur die Tradingszene. Auch für Tolkki waren die Growls eher ein Witz. Der lachte nur bei den Aufnahmen, von wegen ach du scheiße!“

      Ungeachtet der positiven Rezensionen machte die Band selbst das Demo in Interviews herunter und versprach für die Zukunft Besseres. Der Selbstkritik zum Trotz versendeten die Bandmitglieder Hunderte von Kassetten in alle Welt. Auch Holopainen begann ernsthaft mit dem Trading. Das Kontaktnetz wuchs gemäß dem Schneeballeffekt: Über Flyer und Kleinanzeigen in Zines fand man die Adressen anderer Zines und Bands, über die sich wiederum das eigene Netzwerk erweiterte. Der Doppeldeckrekorder lief auf vollen Touren, und es ging immer mehr Geld für Kassetten und Porto drauf.

      Für Auftritte probte die Band unter nahezu realistischen Bedingungen, da oft Freunde zum Zuhören und Biertrinken in den Proberaum kamen. Umgekehrt besuchten auch die AMORPHIS-Mitglieder die Proben befreundeter Bands. AMORPHIS waren mit einiger Regelmäßigkeit auf der Bühne zu sehen, vor allem in Jugendzentren. Den ersten Gig ihrer Karriere spielte die Band im Januar 1991 im Kasisali in Lahti. Ihren zweiten Auftritt dort musste sie ohne Bassisten bestreiten, da Oppu nicht rechtzeitig vor Ort erschien. Obwohl es feuchtfröhlich und betont amateurhaft zur Sache ging, erreichte die Band schon früh einen gewissen Status: Das Wort machte die Runde, das Demo verkaufte sich, die Shows waren gut besucht und das Publikum war angetan. Unterwegs ging es oft ereignisreich bis chaotisch zu. Am 23. 3. 1991, einem Samstag, war die Band für einen gemeinsamen Auftritt mit XYSMA, FUNEBRE, PHLEGETHON und UNHOLY im Jugendclub Penttilä in Joensuu gebucht. Am Vorabend bestiegen die Musiker am Helsinkier Hauptbahnhof den Nachtzug. Das strenge Reglement der finnischen Staatsbahn verbot den Genuss von mitgebrachtem Alkohol während der Fahrt. Nichtsdestotrotz zischten die Kronkorken, sobald die Truppe ihr Abteil gefunden hatte. Wie aus der Pistole geschossen erschien ein Schaffner, um lautstark das Ordnungsreglement herunterzurasseln. Die Störenfriede willigten ein, die geöffneten Flaschen herauszugeben, nicht jedoch die ungeöffnet im Rucksack befindlichen. In diesem Moment setzte sich der Zug in Bewegung. Der Schaffner verlor das Gleichgewicht und hielt sich reflexhaft an Koivusaaris Jacke fest. Wobei ein paar Tropfen Bier auf seine Uniform spritzten.

      „Der Schaffner brüllte los und beschuldigte Koippari, das Bier absichtlich auf ihn geschüttet zu haben. Dann fing er an, mit dem Fahrkartenlesegerät auf Koippari einzuschlagen. Es kam zum Handgemenge und wir versuchten, den Schaffner loszureißen“, berichtet Holopainen. Im nächsten Bahnhof, dem knapp vier Kilometer entfernten Pasila, drängte der Schaffner gemeinsam mit einem Kollegen die ganze Truppe gewaltsam aus dem Zug. Koivusaaris Gitarre blieb im Kampfgetümmel auf der Gepäckablage zurück. „Tuukka von RYTMIHÄIRIÖ war aus Spaß mitgekommen, und der Kontrolleur haute auch ihm das Gerät über den Kopf“, erinnert sich Koivusaari. „Wir dachten, das kann nicht wahr sein: Der Schaffner hatte von sich aus nach mir gepackt, und nur deshalb spritzte das Bier auf ihn. Als die Beamten uns rausschmissen, hielt ich mich an der Tür fest und bat um meine Gitarre, aber sie traten einfach die Tür zu. Dann schmiss der eine die Gitarre in hohem Bogen aus der anderen Tür heraus. Der ganze Koffer ging zu Schrott. Ich rief umgehend bei der Bahngesellschaft an, sagte meinen Namen und berichtete den Vorfall. Sie fragten, ob ich wegen der Sache Anzeige erstatten wolle. Ich antworte, nicht unbedingt; wir könnten uns auch so einigen. Die Schaffner erfuhren dadurch meinen Namen und erstellten Strafanzeige gegen mich. Ich kam vor Gericht und musste Bußgeld zahlen. Ich versuchte, gemeinsam mit den Zeugen meinen Standpunkt darzulegen, wurde aber nicht beachtet, denn ‚darum geht es hier nicht‘. Im Endeffekt musste ich dem Schaffner die Reinigungskosten erstatten. Der saß im Gerichtssaal neben mir. Ich lachte ihn aus, er könne das doch wohl nicht ernst meinen. Er glotzte mich nur an. Die Reinigungskosten! Naja, viel war‘s zum Glück nicht.“

      Die Jungs übernachteten bei Oppus Mutter im Nachbarstadtteil Vallila und gelangten schließlich mit dem Frühzug nach Joensuu. Als Promoter der Veranstaltung fungierte Heikki „Hege“ Hyvärinen, der einige Jahre später als Anführer der örtlichen Neonazis in Erscheinung trat. Zum Zeitpunkt des Geschehens war Hyvärinen ein dürrer Death-Metal-Fan mit Engelsgesicht und Bomberjacke; beim Organisieren des Gigs half seine Mutter. Als die Band eintraf, schlug Hyvärinen eifrig vor, erstmal einen trinken zu gehen. Er führte die Musiker auf ein Feld, in dessen Mitte ein Brunnendeckel prangte. Hyvärinen hob den Deckel. Im trockenen Brunnenschacht lehnte eine Leiter. „Was zum Teufel…?“ wunderte sich Oppu. „Nur zu!“, drängte Hyvärinen. Auf dem Boden des kochendheißen Schachtes standen Eimer, in denen Hochprozentiges vor sich hin gärte. Als Sitzbank diente ein Rohr. Der Promoter kredenzte die Eimer und kicherte: „Verdammt, hätte nie gedacht, dass ich mir mal mit Koivusaari von ABHORRENCE zusammen die Kante geben würde!“ Am Veranstaltungsort wurde die Alkoholvernichtung gemeinsam mit den Mitgliedern von XYSMA und anderen Bekannten fortgesetzt. Die Band absolvierte ihren Auftritt mit Ach und Krach. Hinterher wurde im Obergeschoss des Clubhauses gegessen, gefeiert und übernachtet. Die Mitglieder stopften gerade kalten Nudelauflauf in sich hinein, als ein örtlicher Prolet herbeischwankte und begann, sich aus derselben Schüssel zu bedienen „Hey, das Essen ist für die Bands!“ merkte XYSMA -Sänger Jani „Joãnitor“ Muurinen höflich an.

      Anstatt


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