Amorphis. Markus Laakso

Amorphis - Markus Laakso


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Lärm, als der Störenfried gerade ein Messer zog. Lahtinen – hochgewachsen, athletisch, aber von äußerst friedfertigem Naturell – verfolgte die Situation einen Moment lang, bis er plötzlich aufsprang und lospolterte: „Zum Donnerwetter noch mal!“ Womit er nicht nur den Streithals überraschte, sondern auch seine anwesenden Bekannten.

      „Ich war stinksauer darüber, wie sich der Typ den Bands gegenüber verhielt“, erinnert sich Lahtinen. „Ich bin ziemlich groß und dachte mir, ich mach Schluss mit der Debatte und spiel mal kurz den Rausschmeißer. Ich hob den Kerl mit väterlichem Griff in die Luft, hielt ihn so fest, dass er mit seinem Messer nichts ausrichten konnte, und trug ihn die Treppe runter. Ich warf ihn in den Schnee, rief hinterher, dass er sich zur Hölle scheren solle, und machte die Tür zu. Ein etwas hitziger Adrenalinstoß für meine Verhältnisse, aber zum Glück war das Problem damit beseitigt.“

      Die Heldentat des sanftmütigen Riesen wurde von den Musikern mit Respekt und Anerkennung bedacht. Wenig später, und ebenso unerwartet, sollte Lahtinen in der Geschichte von AMORPHIS eine noch wesentlich bedeutendere Rolle spielen.

       6. DER VERTRAG MIT RELAPSE

      ALS AMORPHIS AN den Start gingen, war Finnland gerade auf dem Weg in eine tiefe Wirtschaftskrise. Zwischen 1990 und 1993 stieg die Arbeitslosenquote von 3,5 % auf 18,9 %. Wie Dominosteine kippte ein Unternehmen nach dem anderen, mit dem Ende der Sowjetunion brach der Export ein, die Zinsen schossen in die Höhe und die Zukunft sah düster aus. Die anhaltende Depression prägte Stimmungslage, Politik und Kultur. Eine Krise durchlebte zeitgleich auch der Hardrock- und Metalmarkt. Übersättigt von dekadentem Glamrock und technischer Virtuosität, sehnte sich das zahlende Publikum nach Musik, die Gefühl bot statt Technik, Rotz statt Glamour und Alltag statt Fantasy.

      Grunge kam wie gerufen. Der Stil, der von Seattle aus die Welt eroberte, verband Heavy-Gitarren mit der revolutionären Haltung des Punk. Abgerissene Klamotten waren in, Make-up und toupierte Haare out. NIRVANA, SOUNDGARDEN, ALICE IN CHAINS und STONE TEMPLE PILOTS verdrängten POISON, WARRANT, SKID ROW und MÖTLEY CRÜE. Jeans, Flanellhemden und simple Akkorde traten an die Stelle von technischer Brillanz, Pyrotechnik und Marshall-Stacks. Metal und Hardrock waren auf einmal altmodisch und weitab vom Scheinwerferlicht, und die wenigen, welche die darwinistische Selektion überlebten, änderten ihren Stil. Die „gefährlichste Rockband der Welt“ GUNS’N’ROSES polierte sich mit Backgroundsängerinnen, Orchester und überdimensionalen Bühnen- und Plattenproduktionen auf. METALLICA erging es wie den Haaren der Bandmitglieder: Image und Musik wurden auf salonfähig getrimmt. Unter Anleitung des Produzenten Bob Rock traten die verzerrten Gitarren in den Hintergrund, das Tempo wurde zurückgenommen, der Gesang wurde sauberer und mehrstimmig – und die Band zu Superstars.

      Trotz der allgemeinen Talfahrt des Metal blühte die Death-Subkultur. Die Mitglieder von AMORPHIS verspürten jedoch zunehmend Frustration, weil es nicht so recht voranging. Die Volljährigkeit rückte näher und der Musikgeschmack wandelte sich. Der Sensenmann schien bereits seine Klinge zum letzten Streich zu erheben: Die Gruppe hatte seit zwei Monaten weder geprobt noch live gespielt und ihre Mitglieder sich auch in ihrer Freizeit kaum gesehen. Doch eines Tages klingelte das Telefon.

      Luxi Lahtinen hatte die Angewohnheit, Bands, die er mochte, um 10-20 Demokassetten zu bitten, welche er dann auf eigene Kosten an Plattenfirmen und Radiostationen versendete. Zu seinen Kontakten zählte die kurz zuvor gegründete US-Firma Relapse, der er das ABHORRENCE-Demo Vulgar Necrolatry geschickt hatte. „Ich wohnte damals noch bei meinen Eltern“, berichtet er. „An einem Abend klingelte es ziemlich spät: Matt von Relapse war am Apparat und fragte nach Koipparis Telefonnummer. Er sagte, dass er ABHORRENCE unter Vertrag nehmen wollte. Kurz danach schellte es wieder und meine Eltern sagten, das ist schon wieder der Typ von der Plattenfirma. Er hatte versucht, bei Koippari anzurufen, aber da war niemand drangegangen. Ich sagte, der wäre wahrscheinlich mit Freunden unterwegs. Matt meinte nur, ‚okay, wir versuchen’s später nochmal.‘“

      Als nächstes klingelte das Telefon bei ABHORRENCE-Sänger Jukka Kolehmainen, der gerade mit Koivusaari zusammen Geburtstag feierte. Beide wurden am 11. April geboren, und die gemeinsame Party hat mittlerweile schon mehr als zwei Jahrzehnte Tradition. Am anderen Ende der Leitung war Lahtinen und sagte, Tomi solle so schnell wie möglich Matthew Jacobson in Pennsylvania anrufen, da Relapse mit einem Plattenvertrag winkte. „Matt hatte das ABHORRENCE-Demo gehört und wollte uns unter Vertrag nehmen“, so Koivusaari. „Die EP kam damals erst raus und sie dachten, die Band gäbe es noch. Ich sagte, dass wir uns leider aufgelöst hätten, und erwähnte, dass ich eine neue Band hatte – wären sie vielleicht an einem Deal mit dieser interessiert? Ich erinnere mich gar nicht mehr, ob die das AMORPHIS-Demo überhaupt jemals erhielten. Sie waren interessiert, wollten aber, dass wir auch Vulgar Necrolatry von ABHORRENCE aufnehmen, weil das die Nummer war, die sie gut fanden. Wir hatten nichts dagegen. Damit begann der Schriftverkehr.“

      AMORPHIS hatte auch von einem zweiten damals neu gegründeten und später bedeutenden Metal-Label ein Angebot erhalten, nämlich Osmose aus Frankreich. Die Mitglieder hatten die Vertragspapiere sogar bereits unterschrieben, jedoch noch nicht zur Post gebracht. Der Anruf von Relapse kam am selben Tag, an dem Osmose noch einmal bei AMORPHIS Druck gemacht hatte, sie mögen doch bitte den unterschriebenen Vertrag zurücksenden.

      „Ich weiß nicht mehr, aus welchem Grund wir uns für Relapse entschieden. Vielleicht, weil’s Amerikaner waren. Wir hatten bestimmt das Logo auf irgendeiner Single gesehen. Osmose bot ein komplettes Album an und Relapse eine Split-LP mit INCANTATION, die Split-Alternative sagte uns vielleicht etwas eher zu. Ich glaub’, ohne dieses Angebot wäre die Band damals ziemlich schnell eingeschlafen“, überlegt Koivusaari.

      Holopainen erinnert sich, dass bei der Entscheidung auch eine Rolle spielte, dass Osmose erst wenige Tage zuvor ihre erste Platte veröffentlicht hatten – SAMAELS Worship Him (1991) – und ansonsten noch keine Referenzen bieten konnten. Ein Vertrag mit einem amerikanischen Plattenlabel war für eine finnische Death-Metal-Band etwas Unerhörtes, wo doch noch nicht einmal die einheimischen Firmen Interesse zeigten. Auch in anderen Genres waren ausländische Verträge eine Seltenheit. Musik aus Finnland war noch weit davon entfernt, ein Exportschlager zu werden.

      „Als Grunge groß rauskam, wollte vom Metal plötzlich niemand mehr was wissen“, blickt Holopainen zurück. „Finnische Plattenfirmen nahmen eh keine Heavy-Bands unter Vertrag. Riku Pääkkönen gründete dann Spinefarm und brachte FUNEBRE und SENTENCED raus, aber die übrigen Labels gingen in völlig andere Richtungen. Wir hätten uns gar nicht vorstellen können, dass eine Band wie wir zu einer großen oder gar internationalen Firma geht. Partner suchte man sich im Underground. Ich hielt’s bestenfalls für möglich, dass irgendein neues Minilabel daran interessiert sein könnte, was von uns zu veröffentlichen.“

      Die Band nahm Relapses Angebot über drei Alben an, ohne lange zu überlegen oder irgendetwas zu unterschreiben. Im Mai 1991, einen Monat nach dem ersten Telefonat, waren AMORPHIS wieder in Tolkkis TTT-Studio und nahmen drei Stücke auf: zwei vom Disment Of Soul-Demo sowie eine Coverversion von Vulgar Necrolatry, bei der ABHORRENCE-Solist Jukka Kolehmainen am Mikro stand. „Ich verwendete für die Aufnahmen Drumsticks aus Kohlefaser“, berichtet Rechberger. „Irgendwie brachte ich’s fertig, mit dem Finger an der Snare hängenzubleiben. Weiß nicht wie, aber es tat sauweh. Der Finger war sofort krass geschwollen und am nächsten Tag dunkelblau. Wahrscheinlich war irgendwie Dreck unter die Haut geraten. Tolkki war die ganze Zeit dran, ‚mit dem Finger machste nix mehr, der muss amputiert werden‘. Musste er natürlich nicht, aber der Fingernagel sieht heute noch seltsam aus. Da wächst so ein komischer Fortsatz.“

      Die für die Split-LP aufgenommenen Stücke klangen sowohl vom Spiel als auch von der Produktion her besser als das Demo, gemessen an heutigen Standards jedoch weiterhin ziemlich ungeschliffen. Auch im Hinblick auf Kompositionen und Arrangements war die Band besser eingespielt, auch wenn von Meisterschaft


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