Amorphis. Markus Laakso
Multi-Instrumentalisten, dessen kurzlebige Poprock-Combo MISTAKES mit Pidä huolta einen der größten finnischen Hits des Jahres 1981 landete. Über seine Altersgenossen kam Laine zu KISS, AC/DC und anderen populären Heavy- und Hardrockbands. Seine ersten Versuche am Bass waren auch von der E-Gitarre seines großen Bruders beeinflusst. Als ihm ein älterer Junge aus der Nachbarschaft einen Bass und ein paar Effekte borgte, war sein Schicksal besiegelt. Oppu hat den Moment der Offenbarung noch in lebhafter Erinnerung: „Das is’ mein Ding, alles klar!“
Die erste Fotosession von AMORPHIS im Proberaum in Kamppi, 1990.
© Teijo Tiainen
Musik gehörte bei den Laines zum Alltag. Der Bruder hörte KISS, die ältere Schwester die DOORS und die ROLLING STONES und die Mutter die melancholischen Schlagerklassiker von Olavi Virta, deren starke Melodien Oppu als prägend für sein eigenes Songwriting bezeichnet. Sein Vater schwor auf Jazz und arbeitete als Musikreporter für die linke Wochenzeitung Kansan Uutiset, weswegen die Familie jedes Jahr zum internationalen Jazzfestival nach Pori fuhr. Oppu hatte für dieses nicht viel übrig und fand endlose Jamsessions ausgesprochen langweilig, doch der väterliche Beruf öffnete ihm unerwartete Türen. Eines Tages fragte der Vater ihn, ob er im Kino den neuen Herbie-Film sehen oder stattdessen mit ihm zur Arbeit kommen wolle: Auf der Tagesordnung stand ein Interview mit Pave Maijanen. Oppu wählte letzteres. Seine Faszination für den Bass wuchs mit jedem Tag. Als die Familie 1986 aus dem Osten Helsinkis in den zentrumsnäheren Stadtteil Vallila umzog, fand er erstmals Anschluss an eine Band. Sie spielte METALLICA und IRON MAIDEN nach und hörte auf den Namen METAL DISEASE. Auch anderweitig entwickelte sich die Musik zu Laines wichtigstem Hobby. Wie die übrigen Mitglieder von AMORPHIS besuchte er als Teenager häufig Konzerte in Jugendclubs und im Lepakko. Die Gesichter von Snoopy, Koippari und Esa kannte er nicht nur aus dem Publikum, sondern auch von der Bühne her. Er sah sowohl VIOLENT SOLUTION als auch ABHORRENCE öfters live und mochte beide Bands.
„VIOLENT SOLUTION waren live überraschend gut. Ihr Material hatte Qualität, und sie konnten deutlich besser spielen als die übrigen Bands“, vergleicht er. „Sie waren nicht die originellste Band der Welt, machten aber trotzdem Eindruck. Ich kaufte alles, was sie rausbrachten. Die Single hab’ ich heute noch. Auf ABHORRENCE fuhr ich richtig ab. Das war eine der ersten Death-Metal-Bands, die ein vernünftiges Demo machten. Wir gingen zwar auch in die Richtung, aber wir waren nicht so gut, dass wir einfach so hätten ins Studio gehen können. ABHORRENCE und XYSMA waren die ersten in der Death-Metal-Szene, die musikalisch etwas Relevantes zuwege brachten. Die Gigs von denen konnten auch einiges. ABHORRENCE waren eine wichtige Band mit gutem following.“
METAL DISEASE live in der Schule von Myllypuro. Oppu Laine, Juri Kovaleff, Jani Salmi und Marko Hirvi.
Verständlicherweise war der Bassist mehr als angetan, als er in die Nachfolgeband von VIOLENT SOLUTION und ABHORRENCE eingeladen wurde. Für seine Musikerkarriere bedeutete dies einen großen Sprung vorwärts. In seinen bisherigen Gruppen hatten nicht alle Mitglieder seine Leidenschaft geteilt, hier dagegen waren sämtliche Beteiligten voll bei der Sache und der Gedanke an eine ernsthafte Karriere erschien nicht länger unrealistisch.
HOLOPAINEN BEHAUPTETE, DASS er das Wort AMORPHIS in einem Wörterbuch gefunden hätte und dass es so viel wie „gestaltlos“ bedeutete. Der Gitarrist hatte die Schreibweise jedoch falsch in Erinnerung. Die Wahrheit kam erst ans Licht, als die Gruppe in ihrem ersten englischsprachigen Interview nach der Bedeutung ihres Namens gefragt wurde und das Wort „amorphis“ in keinem Wörterbuch zu finden war. Korrekt wäre amorphous gewesen. Der Name blieb jedoch am Leben.
Etwa zur gleichen Zeit, als Laine bei AMORPHIS einstieg und somit die Originalbesetzung komplett war, lösten sich ABHORRENCE auf. Infolgedessen begann Koivusaari, der in den ersten drei Monaten nur für die Growls zuständig gewesen war, sich voll auf seine neue Band zu konzentrieren und dort auch Gitarre zu spielen. Er stellte den anderen jedoch eine Bedingung: er würde nur dann in der Band bleiben, wenn die drei bisherigen Songs neu geschrieben würden.
„Das Studio war schon gebucht, um die aufzunehmen, aber ich fand sie einfach nicht gut“, erinnert sich Koivusaari. „Keine Ahnung, für was für einen Death-Metal-Experten ich mich hielt, aber für mich klangen sie einfach nur wie eine härtere Version von VIOLENT SOLUTION. Die andern fanden das dann auch, und wir beschlossen, den Studiotermin abzusagen und nochmal von vorne anzufangen.“
AMORPHIS in ENTOMBED-Pose auf dem Friedhof Hietaniemi, 1991.
Der Beschluss hatte sowohl symbolische als auch künstlerische Wirkung. Die Thrash- und Speed-Elemente flogen auf den Müll, und man konzentrierte sich fortan auf reinen Death Metal. Es ergab sich wie von selbst, dass zwar beide Gitarristen Songs schrieben, aber Holopainen die Melodien spielte und Koivusaari den Rhythmus, da letzterer gleichzeitig growlen musste. Oppu kommentiert: „Ich war beeindruckt, als Koippari forderte, die alten Songs über Bord zu schmeißen. Die Entscheidung war richtig, denn die neuen Stücke wurden viel besser und waren auch mehr nach meinem Geschmack. In der Phase gab ich auch selber alle anderen Bandprojekte auf und konzentrierte mich nur noch auf AMORPHIS.“
An den neuen Stücken feilte die Band dreimal wöchentlich in ihrem nach Urin stinkenden Proberaum. In dem Gebäude gab es kein Klo, sodass Musiker und Gäste – wie schon zahllose Bands in den Jahren zuvor – sich in einen Kanalschacht erleichterten, dessen Deckel irgendjemand einmal entfernt hatte. Offiziell wurde der Raum nicht einmal von AMORPHIS gemietet, sondern von einem entfernten Bekannten von Snoopy. Nichtsdestotrotz war der Kellerbunker ein beliebter Treffpunkt, und das Bier floss reichlich. Das Aroma der Raumluft war eine entsprechend bunte Mischung aus Fäkalien, abgestandenen Alkoholika, Erbrochenem und Schweiß. Eines feuchten Abends passierte es denn auch, dass ein Saufkumpan der Band in den Schacht fiel und mit vereinten Kräften aus der halbvergorenen Kloakenbrühe gehievt werden musste.
Die neuen Stücke waren härter als die fallengelassenen, zum Teil auch schneller. Snoopy sagte in einem frühen Interview mit dem Fanzine The Untouchables, dass die früheren Songs „von allem Möglichen“ gehandelt hatten, aber auch die neuen Texte, die Leben, Tod, Weltanschauung und Mittelalter streiften, keine besondere Botschaft hätten: „Ist doch völlig beknackt, dass heutzutage jede Death-Metal-Band von Hölle und Teufel singt, nicht zu vergessen Darmkrankheiten und Gehirnflüssigkeiten. Solche Texte kommen für uns nicht in Frage!“, prahlte der Zehntklässler, und die Band hat sich bis heute an diese Maxime gehalten.
Im Hof des hygienefreien Proberaums in Kamppi, 1990
Die Stücke entstanden entweder dadurch, dass ein Bandmitglied eine fertige Songidee mit in den Proberaum brachte, oder einfach durch das puzzleartige Zusammenfügen unterschiedlicher Riffs ohne Rücksicht auf traditionelle Songstrukturen. Der Großteil des frühen Materials stammte aus der Feder von „Death-Metal-Veteran“ Koivusaari.
Ein paar Wochen, nachdem dieser die Rhythmusgitarre übernommen hatte, nahm die Band bereits in Timo Tolkkis TTT-Studio ihr erstes Demo auf. Das Studio war vor kurzem umgezogen, aber das alte Problem bestand weiterhin: Die jungen Musiker wollten lieber ihre eigenen Verstärker verwenden als die teure Studioausrüstung. „Tolkki bot uns sein blinkendes Mega-Rack an, das furchtbar gut und professionell klang. Wir hatten die Gitarren auf C runtergestimmt, und irgendwie wollte es nicht werden. Er wurde sauer, als wir sagten, dass sein Gerät nicht beschissen genug klang. Dann drehten wir unseren 10-Watt-Marshall und den Proco Rat-Verzerrer voll auf: pfffrrrchchch! ‚Ja geil, sofort aufs Band damit!‘ Obwohl Tolkki nicht begeistert war, nahm er’s locker. Damals wurde nicht groß rumgefeilt, von Produktion oder so war keine Rede. Wir nahmen einfach auf, mischten und ließen die Kassette hinterher auf jedem