Amorphis. Markus Laakso

Amorphis - Markus Laakso


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willigte Tolkki zähneknirschend ein und platzierte das Aufnahmemikrofon vor dem Fender, an dem der Metal Charger hing. Die Band fand, dass es jetzt endlich so dreckig klang, wie es sollte, wofür der an traditionelleren Metal gewöhnte Tolkki nur ein Kopfschütteln übrig hatte. Aber wer hätte auch ahnen können, dass das Produkt dieser halbwüchsigen Amateure sich zu einem mittleren Kultklassiker auswachsen würde?

      ABHORRENCE veröffentlichten während ihrer zwölfmonatigen Lebensdauer nur ein Demo und die EP; ihre etwa 15 Gigs fanden überwiegend in Jugendzentren statt. Dessen ungeachtet – und ohne Wissen der Mitglieder – nahm der Ruf der Band im weltweiten Death-Metal-Underground schon bald legendäre Züge an. Hierzu trugen neben der Musik selbst vor allem Heikkinens Trading-Leidenschaft sowie der Mangel an guten finnischen Bands bei. Die Vertreter des Death Metal ließen sich an einer Hand abzählen, und im Großraum Helsinki waren ABHORRENCE die einzigen. Sie mischten die ganze Szene auf, und ihr Timing war perfekt.

      „Der Stockholm-Sound war damals schwer angesagt und die finnischen Bands bemühten sich um ein ähnliches Feeling, aber mit einem eigenen Stil“, analysiert Lahtinen. „FUNEBRE hatten neben schwedischen Einflüssen auch viel von den frühen OBITUARY, mit fettem Sound und heruntergestimmten Gitarren. Aus Turku kamen außer denen noch XYSMA und die Death’n’Roll-Pioniere von DISGRACE. Und schließlich aus der Hauptstadtregion ABHORRENCE, die in UG-Kreisen eine ganz große Nummer waren. Leute wie die Jungs von INCANTATION und Chris Reifert von AUTOPSY lobten ABHORRENCE in höchsten Tönen. Ich war überrascht, wie groß auf einmal das Interesse an der finnischen Szene war. Die Schweden waren ihrer Zeit voraus, aber dann kamen die Finnen. Wir hatten etwas ganz Neues.“

      Ungeachtet des positiven Echos in der Szene und des eigenen Grundsatzes, zum Spaß und ohne große Pläne Musik zu machen, begann vor allem Kolehmainen, sich über die Machenschaften von Seraphic Decay zu ärgern. Er berichtet, dass ABHORRENCE den Vertrag nicht unterschrieben hatten, sondern beide Parteien telefonisch vereinbarten, dass die Band dem Label das Master-DAT senden würde, dieses jedoch nach dem Pressen der EP sofort wieder zurückbekäme. Die digitalen Tonbänder waren so teuer, dass die Band kein zweites Exemplar hatte. Seraphic Decay besaß somit das einzige Master-Band und sendeten es nie zurück. Die mündliche Vereinbarung war auch ansonsten nicht ganz wasserdicht:

      „Wir hätten von jeder Auflage 10 Prozent der gepressten Scheiben erhalten sollen. Von den ersten 500 bekamen wir auch die versprochenen 50 Stück, aber dabei blieb es. Angeblich wurden von der EP mindestens vier Auflagen gepresst. Wenn das jeweils 500 Stück waren, macht das insgesamt 2000. Ich habe gehört, dass O’Bannon entweder das Originalmaster oder eine Kopie davon nach Mexiko verkauft hat. Davon wurden später Split-CDs mit AMORPHIS und ABHORRENCE produziert. Bootlegs gibt’s davon ohne Ende“, schimpft der Sänger.

      Auch innerhalb der Band begann es zu kriseln. Heikkinen verlor urplötzlich die Lust auf Trading, Metal und sein Schlagzeug. Die Leidenschaft war dahin und er wollte das Ganze hinter sich lassen. Laut Koivusaari hatte die Band Heikkinen seinerzeit deshalb rekrutiert, weil er mit seinem Zine und seinen Tapes so bekannt in der Szene war und obendrein unbegreiflich schnelle Blastbeats spielen konnte, ohne Bassdrum.

      „Kimmo durfte damals wählen, ob er einen Computer haben wollte oder ein Schlagzeug“, erinnert sich Koivusaari. „Er hatte sich schon für den PC entschieden, aber als wir ihn in die Band einluden, wählte er das Drumkit. Kimmo war ein bisschen anders als wir anderen. Er war eher der Studententyp. In der ganzen Szene passierte plötzlich etwas, die Leute warfen ihre Platten auf den Müll und fanden auf einmal alles scheiße. Das galt auch für Kimmo. Nach dem Split hab’ ich ihn 20 Jahre lang aus den Augen verloren.“

      Ersetzt wurde Heikkinen durch Koivusaaris und Rechbergers Nachbarn Mikael Arnkil, der schon für VIOLENT SOLUTION Cover gezeichnet hatte und dessen Band ANTIDOTE gerade Pause machte. Kurz danach gaben ABHORRENCE ihr erstes und einziges Konzert im Ausland. Sie hatten einige Zeit zuvor ihre norwegischen Kollegen von CADAVER, Bekannte aus der Trading-Szene, für zwei gemeinsame Gigs nach Helsinki eingeladen. Der erste davon fand im traditionsreichen Nachtclub Botta statt; mit von der Partie war eine CELTIC FROST -Coverband namens KERAVAN KYLMÄT, bei denen zufällig Arnkil sang. Gitarrist war der später als Drummer von KYYRIA und HIM bekannte Mika „Gas Lipstick“ Karppinen. Der zweite Auftritt war beim Hardcore-Holocaust-Club im Lepakko mit THERION und TERVEET KÄDET.

      ABHORRENCE (von links): Arnkil, Ahlroth, Kolehmainen, Koivusaari und Mattsson.

      Im Gegenzug hatten CADAVER versprochen, dem Quintett aus Vantaa einen Gig in Norwegen zu verschaffen. Gitarrist Anders Odden und der singende Schlagzeuger Ole Bjerkebakke hielten Wort: Am 28. 09. 1990 traten CADAVER und ABHORRENCE im Vorprogramm von DARKTHRONE im Osloer Club Bootleg auf. DARKTHRONE hatten zu jenem Zeitpunkt vier Death-Metal-Demos veröffentlicht und ihr Debüt Soulside Journey aufgenommen, das jedoch noch nicht das Licht der Welt erblickt hatte. Später entwickelte sich die Band zu einem der bedeutendsten Bannerträger des norwegischen Black Metal.

      Während ABHORRENCE spielten, wich das Publikum plötzlich zur Seite und gab den Weg frei für zwei Horrorgestalten in Corpsepaint. Unter den halb zerfetzten schwarzen Klamotten und den aus Netzstrumpfhosen fabrizierten Ärmeln blitzte Metall hervor. Anstatt zu moshen oder einfach nur herumzustehen, warfen sie sich in dämonische Posen und warfen drohende Blicke in Richtung Bühne.

      „Ich traute mich gar nicht, die anzugucken, während wir unser DEATH-Programm abspulten. Die sahen gefährlich aus!“, erinnert sich Koivusaari.

      Nach dem unangenehmen Auftritt wurde die Band von einem norwegischen Fernsehteam interviewt. Ole von CADAVER verkündete, dass nach dem Set von DARKTHRONE bei deren Kumpels zuhause eine Afterparty steigen würde. „Die Jungs von DARKTHRONE waren genauso schmächtige Bürschchen wie wir. So um die 16 rum. Die Band war nichts Besonderes, aber das Logo blieb mir im Gedächtnis. Im Publikum waren vielleicht 40 Leute.“ Nach der Show erschien das diabolische Duo backstage. Mit zerlaufener Schminke sahen die beiden noch böser aus als vorher. Zu jener Zeit verwendeten nur sehr wenige Bands Corpsepaint, und wenn, dann nur auf der Bühne. Den finnischen Gästen schlug das Herz bis zum Hals. Ole stellte die beiden vor.

      ABHORRENCE in Orivesi.

      Es handelte sich ausgerechnet um besagte Kumpels, bei denen die Party stattfinden sollte: Per „Dead“ Ohlin und Øystein „Euronymous“ Aarseth von der Band MAYHEM. Der zweifelhafte Ruf dieser Truppe war bis nach Finnland vorgedrungen, obwohl sie erst drei Demos und die EP Deathcrush (1987) veröffentlicht hatte. Zwar flirtete auch manche finnische Band mit dem Satanismus, aber diese jungen Herren schienen mit vollem Ernst dabei zu sein. Euronymous galt als Anführer der norwegischen Black-Metal-Bewegung und Initiator von Kirchenbrandstiftungen und sonstigen Radikalmaßnahmen . Von Dead hieß es, er sei davon überzeugt, ein Totengeist aus einer anderen Welt zu sein, und halte seine Umgebung für nichts als einen Traum. Der esoterische Sänger hatte die Angewohnheit, seine Bühnenklamotten vor Auftritten tagelang in der Erde zu vergraben und sich auf der Bühne dadurch in Stimmung zu bringen, dass er aus einer Plastiktüte inhalierte, in der eine tote Krähe lag. Er wollte nicht nur aussehen, klingen, stinken und sich anfühlen wie ein Toter – er wollte tot sein. Nun saß er also in voller Kriegsbemalung bei ABHORRENCE im Hinterzimmer und warf sein Messer gegen die Wand.

      Nach langer Zugfahrt erreichte die Gesellschaft schließlich das Hauptquartier von MAYHEM, ein zweistöckiges Bauernhaus in Kråkstad, in dem die Band wohnte und probte. Mit dabei waren diverse weitere norwegische Szenefiguren, unter anderem Jon „Metalion“ Kristiansen, angesehener Herausgeber des Slayer Mag. Der 22-jährige Euronymous verhielt sich den Finnen gegenüber höflich und gastfreundlich. In bester Stimmung unterhielt er sich mit ihnen über alles Mögliche von Metal bis Religion und spielte den Gästen keine verrauschten Demos vor, sondern das neue Album von Steve Vai.

      Der ein Jahr jüngere Dead war ein bizarrerer Fall. Der introvertierte Künstler


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