Amorphis. Markus Laakso
finsterer, tonnenschwerer und tief herunter gestimmter Grabessound wurde später von zahlreichen Bands nachgeahmt. Wer ein Demo haben wollte, schickte eine Leerkassette und Rückporto. Der Aufnahme lagen ein Textblatt, eine Kopie des Kassettencovers und ein paar Flyer bei. Der Hauptzweck des Demos bestand darin, schnell etwas zu veröffentlichen und Gigs an Land zu ziehen. Schon bald winkten die Bühnen der Jugendclubs.
Die ersten Konzerte der Band dauerten keine halbe Stunde. Mangels Material kam es vor, dass dasselbe Stück während eines Gigs zweimal gespielt wurde. Das Repertoire umfasste auch zwei Coverversionen: Chapel Of Ghouls von MORBID ANGEL und BOLT THROWERs World Eater, letzteres gebrummt von Koivusaari. Die eigenen Songs entstanden aus Riffideen und Torsos, die im Proberaum zusammengeschustert wurden. Die Musik stammte überwiegend von Koivusaari, die Texte von Ahlroth. An den Arrangements wurde so lange gefeilt, bis alle Mitglieder zufrieden waren. Die Gruppe probte in der Schule von Martinlaakso, zuerst im Musikzimmer und später im „Studio“, einem kleinen Raum mit schallisolierten Wänden.
„In der Schule probten zwei Bands. Die andere bestand aus Kids, die Musik als Schwerpunktfach hatten. Sie coverten HEART, notengetreu und hübsch gesungen. Ich hab da selber mal reingeschnuppert, zu der Zeit, als ich bei ACCELERATE ausgestiegen war und nur zu zweit mit Rytkönen spielte. Die gingen allerdings etwas anders an die Musik heran als ich: Sie spielten nach Noten und ich nach Gehör“, erinnert sich Koivusaari und fährt fort: „Und dann war da unser Trauerspiel. Der Musiklehrer kam zwischendurch gucken, wie wir mit totaler Hingabe bei Kerzenlicht mit tief runtergestimmten Gitarren Vulgar Necrolatry abzogen und dazu moshten. Er schüttelte nur den Kopf sagte: ‚Aus der Scheiße wird nie was. Ich tu mir das nicht nochmal an. Macht, was ihr wollt!‘ Danach konnten wir in Ruhe unser Ding durchziehen. Das war schon sehr geil.“
Dass ihre Musik von Autoritäten und Mainstream gehasst und zurückgewiesen wurde, zeigte den Bandmitgliedern, dass sie auf dem richtigen Weg waren. Nun brannten sie erst recht darauf, sich auf ihre Berufung zu konzentrieren und dem Rest der Welt den Mittelfinger zu zeigen. ABHORRENCE demonstrierten ihr Können auch auf einem der Nachwuchswettbewerbe, die Anfang der Neunziger des Öfteren stattfanden. Zur Überraschung aller kam die Band trotz harscher Kritik in die zweite Runde. Die Jury notierte ihre Bemerkungen auf einem Bogen Papier, den die Gruppe hinterher mit nach Hause nehmen durfte:
– Krasser Gesang, sehr effektiv. Aber ob der Sänger in ein paar Jahren überhaupt noch eine Stimme hat?
– Man hat das Gefühl, das Haareschütteln sei das Wichtigste. Ein mystischer Ritus, der auch woanders stattfinden könnte. Mit Rock hat das nicht viel zu tun.
– Teilweise sehr beeindruckend, geht heftig zur Sache – aber vielleicht ein bisschen zu eintönig?
– Was genau ist eure Message?
– Effiziente Truppe mit der richtigen Einstellung.
Koivusaari und Kolehmainen erinnern sich, dass in der Jury mindestens der als Radioreporter und allgegenwärtige Szenefigur bekannte Jone Nikula sowie Kimmo Helistö – Kommunalpolitiker, Produzent, Musiker und Unternehmer – saßen, außerdem „irgend’ne Kulturtante“, die vermutete, dass Kolehmainens Stimme in zehn Jahren wie Froschgequake klingen würde.
Als Belohnung für das Erreichen der zweiten Runde durften ABHORRENCE bei einem Open-Air-Konzert auftreten, das am letzten Schultag des Sommers 1990 auf dem Helsinkier Bahnhofsplatz stattfand. Die Passanten rieben sich verwundert die Augen angesichts der headbangenden Teenager, die mitten am Tag im Stadtzentrum bleischweren Death Metal von sich gaben. Zur Freude der Band sorgten die umliegenden Gebäude für ein weitreichendes Echo. Die frühe Uhrzeit war für sie nichts Besonderes, da auch die Konzerte in den Jugendzentren zwischen 12 und 17 Uhr stattfanden.
Auch wenn nicht jeder Gig ein Spitzenerfolg war, tat sich an der Demofront einiges. Drummer Heikkinen hatte die Kassette fleißig in diversen Zines und über sein großes Kontaktnetz angepriesen. In der Folge trudelten so viele Bestellungen ein, dass Koivusaari und Ahlroth täglich stundenlang zu tun hatten.
„Wir überspielten jeden Tag Kassetten und brachten sie zur Post. Die Sache lief so, dass ich zum Beispiel das Demo von NIHILIST bestellte und bekam. Mit im Umschlag waren Flyer von anderen Bands, die ich kopierte und wiederum unseren eigenen Kassetten beilegte. Es war einfach so, dass wir alle im selben Boot saßen und uns gegenseitig auf coole Bands aufmerksam machten“, referiert Koivusaari.
Ahlroth schätzte in einem Interview mit Axe Fanzine im Jahr 1990, dass von dem Demo alleine in den ersten vier Monaten rund 300 Stück in alle Welt gegangen waren. Koivusaari verschickte seiner Erinnerung nach eigenhändig mehrere hundert Kopien, was einen gewissen Rückschluss auf die Nachfrage zulässt, da der Großteil des Versands nicht von ihm oder Ahlroth erledigt wurde, sondern von Heikkinen. Dieser beschrieb seinen Alltag gegenüber dem französischen Peardrop-Zine noch im selben Jahr wie folgt: „Ich tu nichts außer Briefe, Interviews und Kassettenanfragen beantworten, Musik hören, proben, auftreten, Bücher und Zines lesen, mein eigenes Zine machen, Freunde treffen und fernsehen.“
Das ABHORRENCE-Demo wurde auch von anderen hilfsbereiten Tradern weiterverbreitet, darunter Luxi Lahtinen. Bald darauf fand Koivusaari in der Post einen Brief von Steve O’Bannon, einem Amerikaner, der gerade eine Plattenfirma namens Seraphic Decay Records gegründet hatte. O’Bannon war von Vulgar Necrolatry äußerst angetan. Er schrieb, dass er Koivusaaris Adresse von Lahtinen erhalten habe und der Band einen Vertrag über die Veröffentlichung einer 7“-EP anbieten wolle. Die Auflage wäre limitiert, und falls alle Exemplare über den Ladentisch gehen sollten, ließe sich auch über eine LP oder zumindest ein Mini-Album diskutieren – frei und ohne gegenseitige Verpflichtung. Die Band konnte es kaum glauben.
„Wir hatten gerade ein Demo gemacht, wochenends waren Gigs und alle waren happy“, denkt Koivusaari zurück. „Klar waren wir hin und weg, als uns eine amerikanische Firma einen Deal anbot. Und nicht mal direkt eine LP haben wollte. Das klingt jetzt sicher doof, aber wir überlegten ernsthaft, ob wir wirklich ein Album machen sollten, falls wir es angeboten bekämen, oder ob das zu kommerziell wäre. EPs, Singles und Demos waren okay, weil wir nie daran dachten, Geld zu machen oder von der Musik zu leben. Musik war einfach unsere Welt. Wir unterschrieben den Vertrag, der auf eine Seite passte, und versprachen damit dem Label ein auf eigene Kosten aufgenommenes Band, für das wir als Gegenstück 50 Stück der fertigen Pressung erhalten würden.“ Für Seraphic Decay sprach auch, dass sie bereits diverse andere angesehene UG-Bands mit ähnlichen Verträgen für sich gewonnen hatte, unter anderem INCANTATION, IMMOLATION, MORTICIAN und die Turkuer Kollegen XYSMA und DISGRACE. Vom 30.06. bis zum 04. 07. 1990 waren ABHORRENCE in Timo Tolkkis TTT-Studio, um die Songs für die dreizehnminütige EP aufzunehmen. Sie trug schlicht den Namen der Band und begann mit einem Intro aus Kirchenglocken, Synthesizerteppich und unheilschwangeren Growls, gefolgt von den Songs Pestilential Mists, Holy Laws Of Pain, Caught In A Vortex und Disintegration Of Flesh. Das Cover und das neue Logo zeichnete Lahtinen. Es entsprach der typischen Death-Metal-Ästhetik seiner Zeit: Totenschädel, Eiter, Würmer und „Kloakenbazillen“. Die Soundlandschaft war klarer und weniger dumpf als auf dem Demo. Die Gitarren waren brachial verzerrt, der Bass in den tieferen Regionen des Stereomixes deutlich auszumachen, die abwechslungsreichen Drums sorgten für Akzente und Kolehmainens Todesröcheln für kalte Schauer. Die Spieltechnik war noch ein gutes Stück von der Perfektion entfernt, aber das Songmaterial hatte Qualität und einen eigenen Touch.
„Wir hatten die Gitarren zweieinhalb Ganztonschritte tiefer gestimmt, aber wir verwendeten Neunersaiten, weil wir nicht auf die Idee kamen, dickere zu kaufen. Wenn ich die Klampfe mit den Saiten nach unten hielt, hingen sie durch wie Wäscheleinen. Unser Gitarren-Setup bestand aus einem alten Fender-Basscombo, einem winzigen Marshall-Amp und einem Metal-Charger-Distortionpedal. Damals war es eine Art Regel, dass der Sound scheiße sein musste. Tolkki raffte das nicht. Er hatte gerade ein sauteures Multieffekt-Rack mit zig bunten Lämpchen angeschafft“, erzählt Koivusaari.
Die Band wollte ihre eigenen Geräte verwenden, Tolkki dagegen seine teuren Neuheiten. Er versicherte, dass auch auf diesen der richtigen Sound zu finden sei, und begann, nach diesem zu suchen. Stunden vergingen, und Tolkkis Oberlippe begann wieder einmal zu zittern. „Warum in aller Welt ist euch