Amorphis. Markus Laakso
dem kleinen Kreis, der sowas hörte. Dieselben Leute hingen auch im Lepakko rum. Zwischen den Bands herrschte keine Konkurrenz, dazu waren es zu wenige.“
Ein Höhepunkt für VIOLENT SOLUTION war der Auftritt im Vorprogramm von VIRAGO im Jugendzentrum Kauniainen anno 1990. Die Thrasher aus Helsinki hatten gerade erst ein Proberaum- und ein Studiodemo veröffentlicht, aber Drummer Jussi war der Bruder von STONE-Gitarrist Roope Latvala.
„Das war ein Riesending! Vor dem Gig tuschelten wir uns zu, ey guck mal, da ist Roopes Bruder! Die hatten geile Jackson-Gitarren und konnten höllisch gut spielen. War auch ein Haufen Leute da“, erinnert sich Snoopy.
Da VIOLENT SOLUTION keine nennenswerte Fanbasis hatte, war ihr größter Live-Hit der SODOM-Klassiker Remember The Fallen – der einzige Coversong, den die Band je gespielt hatte. Es kam gut an, einen Song im Programm zu haben, den wenigstens ein Teil der Zuhörer kannte. Krönender Abschluss der Bandgeschichte war der Auftritt beim Hardcore Holocaust IV Club im Lepakko als Vorband von TODAY’S WASTE, RYTMIHÄIRIÖ sowie ENTOMBED, die soeben ihr monumentales Debüt Left Hand Path (1990) veröffentlicht hatten.
Beim Lepakko handelte es sich um ein ehemaliges Farbenlager im Helsinkier Stadtteil Ruoholahti. Ab 1967 diente das Gebäude obdachlosen Alkoholikern als Unterkunft, bis die Stadtverwaltung es im Sommer 1979 räumen ließ. Zwei Monate später wurde es von Aktivisten und dem zwecks Förderung der Livemusik gegründeten Verein Elmu besetzt. Ziel der Aktion war die Gründung eines alternativen Rockclubs, und schon bald fanden im labyrinthähnlichen Lepakko sowohl Konzerte statt als auch Theateraufführungen und Workshops. Hinzu kamen Proberäume, ein Studio sowie Zeitschriften- und Buchverlage.
Bis das legendäre Gebäude Ende 1999 dem Neubau einer Versicherungsgesellschaft weichen musste, war es das Mekka der Metalfans. Da es hier im Gegensatz zu den etablierteren Clubs keine Altersbeschränkung gab, kamen auch Jugendliche in den Genuss der regelmäßig stattfindenden Konzerte. Die Gesichter waren die gleichen wie in den Jugendzentren und am Heavy-Kiosk. Hardcore Holocaust war ein Clubkonzept, bei dem ein bekannter Hauptact zusammen mit mehreren kleineren finnischen Vorgruppen auftrat. Im Zuge von Thrashgrößen wie ANTHRAX hatten Headbanging und Stagediving im ansonsten eher für reserviertes Publikumsverhalten bekannten Finnland Einzug gehalten. Die Gigs im Lepakko waren intensiv und wild – hier war Rockmusik noch mit Abenteuer verbunden.
Die Jungs von VIOLENT SOLUTION waren Feuer und Flamme angesichts des kommenden Gigs, waren sie doch bereits Fans von ENTOMBED gewesen, als diese noch NIHILIST hießen. Die Mitglieder beider Bands standen bereits im Vorfeld miteinander in Kontakt und vereinbarten, dass Sänger Lars Göran „LG“ Petrov und Schlagzeuger Nicke Andersson bei Esa übernachten könnten. Dieser wohnte noch bei seinen Eltern; die Familie war kurz zuvor in eine Doppelhaushälfte im Süden das an Haaga angrenzenden Stadtteils Kaarela umgezogen. Die Finnen empfingen ihre schwedischen Kollegen mit großem Hallo am Helsinkier Hauptbahnhof. Man machte sich gegenseitig bekannt, und schon ging es zum Ort des späteren Geschehens, wo auch Koivusaari hinzustieß. Traditionsgemäß war reichlich Alkohol im Spiel, sowohl seitens der Künstler als auch des Publikums. Stark angeheitert war auch Nachwuchs-Rockreporter Nalle Österman, der selbst Schlagzeug spielte und mit den auftretenden Bands befreundetet war.
„Nalle schlief schon vor dem Auftritt von VIOLENT SOLUTION backstage ein. Er war halt so. Auch im Jugendzentrum hatte er immer einen im Tee und zog sich Fastfood rein“, erinnert sich Koivusaari. „Wir fesselten ihn mit Klebeband an seinen Stuhl und befestigten an dem Stuhl auch noch einen Weihnachtsbaum. Wir trauten unseren Augen nicht, als in seiner Konzertkritik im nächsten Rumba stand, dass VIOLENT SOLUTION grottenschlecht waren! Der Kerl war eingepennt und ich hab’ ihn eigenhändig an den Stuhl gefesselt, sodass er den Gig mit Sicherheit nicht gesehen hat.“
Snoopy bestätigt: „Ich sehe noch lebhaft vor mir, wie Nalle da lag, mitsamt dem Stuhl umgefallen. Ich hab’ bei der Fesselaktion selber mitgemacht. Aber sagen wir mal so, wenn ich im Suff eingepennt wär und man mich am Stuhl festgeklebt hätte, hätte ich den Gig auch verrissen. Insofern no hard feelings.“
Koivusaaris Erinnerung an die Rezension ist nicht ganz korrekt, denn Österman gab im Text zu, VIOLENT SOLUTION nicht gesehen zu haben, aber „dem Hörensagen nach habe ich nichts verpasst.“ Hinterher fuhr die ganze Truppe zu den Holopainens nach Hause. Da Esas Eltern daheim waren, wurde nicht mehr groß gefeiert, aber immerhin spielte LG ein bisschen auf dem Klavier.
„Wir fuhren tierisch auf ENTOMBED ab, deswegen war das alles äußerst genial. Die Jungs waren keine Stars, sondern froh darüber, irgendwo privat übernachten und sich das teure Hotel sparen zu können“, berichtet Snoopy. „Die haben mit ihren Gigs damals auch nicht die große Kohle gemacht. Nette Leute im Übrigen. Später waren wir mit denen in Amerika auf Tour, was lustig war, weil wir uns schon ewig kannten.“
Trotz des Eifers von Holopainen, Rechberger und Konsorten schlief VIOLENT SOLUTION schließlich ein, weil die Sache einfach nicht mehr genug Spaß machte. Außerhalb der Musik machte sich eine gewisse Frustration breit und der Geschmack wandelte sich mehr in Richtung Death Metal, wie schon bei Koivusaari ein Jahr zuvor.
„Ich war zuerst voll der Thrash-Fan“, berichtet Holopainen. „Ich hörte KREATOR und NUCLEAR ASSAULT. MORBID ANGELs Altars Of Madness (1989) war vom Stil her ’ne Kombination aus Thrash und Death und übertraf alles bisher Dagewesene. Damit entdeckte ich auch Earache als Label. Kurz danach erschien Symphonies Of Sickness (1989) von CARCASS und haute mich völlig aus den Socken. Auch BOLT THROWERs Realm Of Chaos – Slaves To Darkness (1989) war die absolute Härte – und natürlich Left Hand Path von ENTOMBED. Das waren dermaßen bahnbrechende Neuheiten, dass ich zum Death-Metal-Fan wurde.“
Für Snoopy waren SEPULTURA der Auslöser. Diese spielten zwar Thrash, waren aber von Ansatz und Gesangsstil her deutlich brutaler als NUCLEAR ASSAULT, ANTHRAX, METALLICA & Co. Gleichzeitig fühlte er sich immer mehr zum Schlagzeug hingezogen, und es nervte zusehends, zu den Proben bis nach Klaukkala fahren zu müssen. Kurz: Er sah wenig Sinn darin, bei VIOLENT SOLUTION weiterzumachen.
„Die Sache lag so, dass wir damals auf praktisch alles abfuhren, solange es Death Metal war. Ich hatte ja schon als Kind Schlagzeug gespielt, und das war für mich immer noch das Geilste. Gitarre machte auch Spaß, spiele ich heute noch, aber ich wollte mich mehr auf die Drums konzentrieren. Ich verkaufte Gitarre und Amp, und mein Dad kaufte mir ’n Schlagzeug. Selber hatte ich nicht das Geld dafür. Damit hatte auch die Singerei endlich ein Ende“, kommentiert Snoopy. Thrash und Speed waren somit out, und VIOLENT SOLUTION wurde im Herbst 1990 endgültig begraben. Der Hunger war immer noch da, aber Esa und Snoopy wollten sich mit härteren Waffen verwirklichen. Sie gründeten eine Death-Metal-Band und gaben ihr den Namen AMORPHIS.
4. ABHORRENCE – „ENDLICH HATTEN WIR DAS GEFÜHL, ZUR RECHTEN ZEIT AM RECHTEN ORT ZU SEIN“
WÄHREND VIOLENT SOLUTION mit Esa Holopainen weiter dem Thrash frönten, konzentrierte sich Tomi Koivusaari nach seinem Ausstieg darauf, eine der ersten Death-Metal-Bands Finnlands aufzubauen, nach Auffassung vieler sogar die erste überhaupt. Die von Koivusaari und Bassist Jussi „Juice“ Ahlroth im Herbst 1989 gegründete Gruppe fing als UNHOLY FURY an, taufte sich aber bald in ABHORRENCE um. Ihre Mitglieder wurden aus dem Freundeskreis rekrutiert. Die wenigen Death-Metal-Fans von Martinlaakso kannten sich untereinander persönlich oder zumindest dem Namen nach; Drummer Kimmo Heikkinen war ein gemeinsamer Freund der beiden und Sänger Jukka Kolehmainen wie auch Gitarrist Kalle Mattsson hatten zuvor mit Ahlroth zusammen bei REBIRTH gespielt. Mattsson war es auch gewesen, der Koivusaari seinerzeit bei ACCELERATE ersetzt hatte. Die erste Probe von ABHORRENCE fand im Dezember 1989 statt. Die Musiker waren damals 15–17 Jahre alt.
„Meine Bandkarriere begann aus Versehen“, berichtet Growler Kolehmainen. „In meinem Freundeskreis gab es viele Typen, die eigene Bands hatten, unter anderem auch