Amorphis. Markus Laakso
im In- und Ausland. Später spielte er unter anderem in Folkgruppen mit und schrieb Kammermusik, romantische Klassik, Opern und alles, was dazwischen lag. Bei uns lief auch Ethno aus aller Welt. Wir gingen regelmäßig ins Konzert und meine Eltern gaben oft selber welche. Zuhause lief eigentlich ständig Musik. Irgendwer spielte immer irgendwas. Als Kind war ich auch oft im Studio, denn mein Dad arbeitete bei der Rundfunkgesellschaft im Experimentierstudio für elektronische Musik.“ Snoopy war von ruhigem Naturell, aber experimentierfreudig. Wie Koivusaari war auch er für jeden Unfug zu haben.
„Mein erster Kumpel war der Jussi, der im selben Hochhaus wohnte. Zusammen haben wir allen möglichen Scheiß gebaut, zum Beispiel mit dem Hammer die Flurwände demoliert, von wegen ‚hey guck mal, das geht ja kaputt!‘ Da gingen dann zwei Ferientage drauf, als wir ganz klein mit Hut die Löcher zuspachteln und übermalen durften.“
Rechberger ging in die finnisch-russische Schule in Helsinki-Kannelmäki, wohin er von Martinlaakso aus mit dem Bus fahren musste. Ihm gefiel es dort, auch wenn keine Freunde aus der Nachbarschaft da waren. Die Klassen waren klein, die Atmosphäre locker und der Unterricht exzellent.
„Unsere Familie und unser ganzer Bekanntenkreis waren ausgesprochen links und multikulturell. Wir hatten Freunde aus praktisch jedem Erdteil. Ich denke, dass das der Hauptgrund dafür war, dass meine Eltern mich und meine Schwestern auf eine Spezialschule schickten und es war eine gute Entscheidung. Später hab’ ich bedauert, dass ich nicht bis zum Schluss dageblieben bin. Dort ging’s wesentlich entspannter und toleranter zu als hinterher in Martsari, wo gegenseitiges Verkloppen und Fertigmachen an der Tagesordnung waren“, berichtet Snoopy.
Rechberger gründete seine erste Band schon im Grundschulalter. Sie hieß XEROX. Mit dabei waren zwei Freunde, die ebenfalls auf die Ohrwürmer und die dramatische Optik von KISS abfuhren. Den Namen fanden sie auf einem Kopiergerät. Die Qualität der Instrumente spielte keine Rolle, Feeling und Action dafür umso mehr. Das Equipment von XEROX bestand aus einem Bass, einer Landola-Westerngitarre und ein paar Blechtonnen, die als Schlagzeug dienten. Proberaum war der Katastrophenschutzraum des grünen Blocks im Nachbarhaus der Rechbergers.
„Keine Ahnung, wofür die Tonnen gedacht waren, vielleicht als Wasserbehälter, aber der Bunker war voll von den Dingern. Wir haben sie als Trommeln verwendet, weil wir nichts anderes hatten. Noch nicht mal richtige Drumsticks. Einer schrammelte auf der Landola herum, ein anderer prügelte auf die Fässerbatterie ein. Aber wir waren mit vollem Ernst bei der Sache. Einmal gaben wir ein Konzert für unsere Eltern und Nachbarn. Wir hatten keinen Bassverstärker, also schlossen wir den Bass an einen Kassettenrekorder an, damit es wenigstens so aussah, als hätten wir einen. Mama deutete hinterher an, dass vom Bass nichts zu hören war“, grinst Snoopy.
Mit XEROX war es jedoch vorbei, sobald Rechberger Koivusaari kennenlernte. Der elfjährige Koippari hatte damals schon eine eigene Band. Am Schlagzeug saß Tomi Rautiainen, der im selben Block wohnte. Für den Bass war ein neunjähriger Steppke namens Janne Rättö zuständig, der kaum länger war als sein geliehenes Instrument. Bei den Proben verwendete Rättö noch nicht einmal einen Verstärker, sondern zupfte die Saiten nur der Form halber. Der Sänger war ein Klassenkamerad von Koippari. Die Gruppe hatte sogar ein VHS-Musikvideo aufgenommen, was sich bald im ganzen Block herumsprach. Der Clip endete damit, dass Koivusaari, inspiriert von MÖTLEY CRÜE, eine alte Akustikgitarre zerdepperte.
Im September 1985 besuchte die Truppe – bis auf den Drummer, der mit seinen Eltern im Urlaub war – eine Kinderdisko im Mehrzweckraum des Nachbarblocks. Koivusaari wusste, dass der dort wohnende Rechberger Schlagzeug spielte und eine Band hatte. Persönlich kannten sich die beiden jedoch nicht. Bereits die erste Begegnung trug Früchte: „Als ich Koippari zum ersten Mal bei uns in der Disko traf, stellte sich raus, dass er Gitarre spielte. Wir waren sofort dran, hey, lass uns ’nen Song schreiben! Bei ihm im Keller gab es einen richtigen Proberaum, wo ein paar ältere Jungs ihre Ausrüstung aufgestellt hatten. Ein Schlagzeug und Gitarrenverstärker – der pure Luxus! Wir ließen das Mikrofon von einem Lüftungsrohr baumeln und nahmen das Stück direkt auf Kassette auf. Koippari spielte Gitarre, ich Drums“, berichtet Rechberger.
Als die schmalzige Ballade im Kasten war, nahmen die beiden das Tape frohen Mutes mit hinüber in den Partykeller und steckten es in die Anlage. Das eigene Stück in der Disko zu hören, war Balsam für das Selbstbewusstsein. Auch beim Publikum kam die Nummer gut an. Obwohl die Nachwuchsrocker vor Stolz fast platzten, verlangte die Aktion Stillschweigen: Der Schlagzeuger von Koivusaaris Band sollte nichts von dessen musikalischen Abwegen erfahren. Das Stück hieß Sleeping Boys.
„Als ich mit dem Musikmachen anfing, war Rambo angesagt und für mich gab’s nur Metal. An irgendwelche Nebeneffekte dachte ich noch gar nicht. Ich erinnere mich lebhaft daran, wie unser frisch aufgenommener Song da in der Disko lief und die Mädels anfingen, Blues zu tanzen. Viele sagen, dass sie mit der Musik angefangen hätten, um Frauen zu beeindrucken. Das lag uns zwar fern, aber in dem Moment wurde mir der Zusammenhang klar“, grinst Koippari. Nach diesem denkwürdigen Tag war das Duo jahrelang unzertrennlich. Da Koivusaaris Band bereits einen Schlagzeuger hatte, wurde Rechberger als Sänger engagiert. Die Band nannte sich THE ANIMALS.
„Die Musik von THE ANIMALS ist schwer einzuordnen“, so Koivusaari. „Wir schrieben von Anfang an eigene Songs, die Heavy Metal darstellen sollten. Ich hörte ACCEPT und W.A.S.P., Snoopy BON JOVI und EUROPE. Unsere Mucke war irgendwo dazwischen. Eine Band von kleinen Jungs, die sich wie wilde Rocker fühlten, mit Texten à la ‚I miss you‘. Ziemlich grauenhafter Müll. Keiner konnte richtig spielen, alle hatten es sich selbst beigebracht.“
Die Motivation war jedoch gewaltig. Die Truppe probte fleißig im Bombenkeller von Koipparis Block. Die Nachbarn beschwerten sich regelmäßig über den Krach, aber die Band hatte einen einflussreichen Verbündeten: Ein älteres Mitglied des Hausverwaltungsbeirats stellte sein altes Schlagzeug zur freien Verfügung. Als THE ANIMALS besser wurden und mehr Stücke beieinander hatten, fingen sie an, in den umliegenden Kellern Konzerte zu geben. Der Eintritt kostete meist 50 Penni (knapp 10 Cent) und hinterher gab es Bonbons für die Band. „Zu den Kellergigs kamen sogar ein paar ältere Kids, die uns unterstützten. Das gab uns Selbstvertrauen. Wir legten damals einfach los, ohne Hemmungen oder Selbstkritik. Ein bisschen nervös waren wir zwar, aber es war ziemlich geil“, schildert Koippari. Als es mit der Musik ernster wurde, änderte sich der Freundeskreis allmählich: die Mitmusiker blieben, der Rest verschwand aus dem Blickfeld. Koivusaari und Rechberger probten voller Eifer täglich nach der Schule. Jeweils einer von beiden kam mit seinem Gitarrencombo zum anderen, und es ging voller Kreativität ans Songschreiben. Oft schauten sich die beiden zur Inspiration Konzertvideos diverser Metalbands an.
„Klar waren wir damals schon davon überzeugt, dass das unsere Mission ist. Erst kürzlich traf ich übrigens eine alte Schulkameradin von mir. Sie hatte noch ihr altes Freundealbum, in das ich in der fünften Klasse geschrieben hab, dass ich später Rockmusiker werde. Ich wollte nie Feuerwehrmann oder Polizist werden. Entweder Fußballer oder Musiker“, konstatiert Koippari. Die Band lernte allmählich neue Tricks, zum Beispiel wie man einen Verzerrer simuliert: Die älteren Jungs rieten dazu, ein Stück Plastikrohr auf den 10W-Kombiverstärker zu stellen, sodass es beim Spielen vibrierte.
„Wir waren begeistert: ‚Boa, das klingt ja richtig echt!‘“, erinnert sich Koippari. „So war das damals. Lustige Zeit.“ Als nach diversen Kellergigs das Repertoire und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten groß genug waren, fasste die Band die umliegenden Schulen ins Auge. Um ihren Kalender zu füllen, marschierten die Musiker persönlich zu den jeweiligen Musiklehrerinnen oder -lehrern und fragten, ob sie auftreten dürften. Meist war die Antwort positiv. THE ANIMALS spielten in diversen Schulen rund um Martinlaakso, Myyrmäki, Vaskivuori und Kivimäki. Das Publikum war verhältnismäßig groß, denn die Auftritte fanden tagsüber statt und waren für die Schulklassen Pflichtprogramm. „Im Lehrerzimmer kriegten wir immer grünes Licht und die Kids hatten sicher auch nichts dagegen, an ’nem Dienstagmorgen was anderes geboten zu kriegen als Unterricht. Wir hatten uns von VAN HALEN die Luftsprünge abgeguckt. Bei den Älteren und den Lehrern mag das gewisses Amüsement ausgelöst haben. Unsere Gigs weckten zwar keine Hysterie, aber einige fanden’s bestimmt ganz gut“, erinnert sich Snoopy. „Natürlich gab’s auch immer welche, die es absolut scheiße