Fahr Far Away: Mit dem Fahrrad von Alaska bis Feuerland. Hans-Joachim Bittner

Fahr Far Away: Mit dem Fahrrad von Alaska bis Feuerland - Hans-Joachim Bittner


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vorgezogen habe. Ja, ich hatte eine schöne Kindheit. Wir lebten mit meiner Oma in einem Haus. Platz gab es im Garten zur Genüge. Dafür fielen die Räumlichkeiten etwas kleiner aus. Ein eigenes Kinderzimmer, wie man es heute kennt, gab es nicht. Ich teilte mir mit meinem zwei Jahre älteren Bruder das Wohnzimmer zum Schlafen. Es war mit zwei Schrankbetten ausgestattet. Mein drei Jahre jüngerer Bruder hatte die Freude, mit im elterlichen Schlafzimmer zu sein.

      Unsere Küche war auch nicht übermäßig groß für eine fünfköpfige Familie. Und dennoch war für Freunde und uns immer noch Platz genug zum Basteln und Spielen.

      Als Jugendliche hatte ich mit Natur oder Sport nicht viel zu tun, da waren Kneipentouren und Rumgammeln angesagt. Mit Volker habe ich dann den Sport und das Reisen entdeckt.

       Volker

      Ich wurde im Mai 1958 in Köln-Fühlingen geboren. Ich lebte mit meinen Eltern und meiner Schwester an einem kleinen Baggersee in der Nähe Kölns. Unser kleines Haus hatte nicht einmal einen Wasseranschluss. Mit einer gusseisernen Pumpe wurde Grundwasser aus dem Boden gepumpt, und jeden Samstag wurde in einer Plastikwanne gebadet.

      Unser Anwesen lag hinter einem militärischen Sperrgebiet. Um in den nächsten Ort zu gelangen, mussten wir einen Kontrollposten passieren. Für uns Kinder war das toll, denn es gab keinen Durchgangsverkehr und viel Platz zum Spielen, einen eigenen Kiesstrand am See und große Wälder. Oft sind wir morgens aus dem Haus und erst abends wieder zurück.

      Mit meinen Eltern bin ich bis zum 16. Lebensjahr immer in den Bayerischen Wald in den Urlaub gefahren. Dort haben wir an einem abgelegenen Bauernhof gezeltet und sind viel gewandert.

      Volker

      1984 habe ich eine Ausbildung zum Sozialpädagogen gemacht und war danach viel im Erlebnissport tätig, zum Beispiel beim Sportklettern. Mit 18 habe ich erste kurze Radreisen begonnen – einmal von Köln bis Oslo. Dabei habe ich mich aber nie sonderlich wohlgefühlt, weil mir jemand fehlte, mit dem ich meine Erlebnisse teilen konnte. Das Alleinreisen hat mir keinen Spaß gemacht.

      1988 habe ich eine therapeutische Zusatzausbildung als Tanz- und Bewegungstherapeut abgeschlossen. Im gleichen Jahr bin ich nach Berchtesgaden gezogen und habe stets viel Ausdauersport betrieben: Marathon und 100 Kilometer-Läufe, Triathlon, Skibergsteigen …

      1992 habe ich Petra kennengelernt. Wir entdeckten unsere Freude an Fernreisen. 1999, rund 20 Jahre nach meiner ersten Radreise, unternahmen wir unseren ersten Fahrradurlaub – und ich war froh, nicht mehr allein reisen zu müssen.

      Ungemütlicher Start bei Schnee-, Graupel- und Regenschauern – erster kleiner Halt nach wenigen Kilometern bei einem Supermarkt in Piding bei Bad Reichenhall.

       Startschuss: Jeden Abend ein Glas Wein musste sein

      Sie leben zusammen, lachen zusammen, freuen sich zusammen ihres Tuns – und haben dabei eine ganz eigene Art gefunden, all das auch gemeinsam zu genießen. Denn hin und wieder steigen Petra und Volker Braun zusammen aus, lassen fast alles hinter sich: ihr Haus, Bad Reichenhall, Deutschland, Europa. Wenn genug zusammen gespart ist, wird kurzum eine Route ausgetüftelt, die Jobs auf Eis gelegt und wenig später losgeradelt: Tausende Kilometer, in bekannte Ecken dieser Erde genauso wie in entlegene, richtig einsame, touristisch unerschlossene. Monate war das Duo schon ohne Unterbrechung unterwegs, einmal zwölf am Stück. Doch was im April 2011 bevorstand, war selbst für die gebürtigen Rheinländer neu: 20 Monate gönnten sie sich für die Route Anchorage (Alaska)-Feuerland (Argentinien/​Chile) und wagten sich 2011 damit in letztlich gut 600 mal mehr, mal weniger exponierte Tage.

      13. April: Zeitdruckfreier Start an einem Mittwoch: Die mit Gepäck je 50 Kilo schweren Bikes warteten startklar vor der Haustür. Über Österreich ging’s zunächst nach Tschechien, denn „da waren wir noch nicht, und Prag interessierte uns einfach“. Petra unterstrich die Freiheit, die sie sich mit ihrem Volker geschaffen hatte. Vor vielen Jahren. Nach der Goldenen Stadt kam Dresden dran, Fulda als Zwischenstation, dann Leutesdorf bei Neuwied. Der letzte Besuch bei Petras Eltern und Geschwistern, das letzte „Hallo“ vor der großen Überfahrt.

      21. Mai, kurz vor Elf: Aufruf für den Flug ab Frankfurt am Main, Hessen, Deutschland. Nach Anchorage (Alaska, USA). Nonstop. Neun Stunden sitzen, ausharren, Adrenalin, Vorfreude, der Kopf voller Gedanken, Querbeet.

       Reset-Taste für das Neustart-Leben

      Die Räder blitzblank geputzt ging’s am 23. Mai 2011 in Anchorage los – die Sonne strahlte und freute sich mit Petra und Volker.

      Am „Ankerplatz“ (Anchorage) schlugen sie keine Wurzeln. „Großstädte gehören nicht unbedingt zu den Dingen, die wir lieben.“ Sofort ging’s auf die Räder, voll bepackt, schwere Pedaltritte, Sitzfleisch bildend. Entlang der nordamerikanischen Rocky Mountains, dann Mittelamerika, einmal durch, später runter, in den Südkontinent, fast bis ans sagenumwobene Kap Hoorn. 20 Monate, fast 29.000 Kilometer, in 14 Ländern. Ohne Druckspur: „Und sollten wir das alles nicht schaffen, geht die Welt nicht unter“, sprachen sie’s vorab Petras Gemüt entsprechend aus: „Wir lassen es auf uns zukommen.“ Mut bewiesen die beiden. Mehrfach. Respekt gebührt so viel Courage, zunächst geplante 730 Tage alles hinter sich zu lassen, ja, dieses Zeitfenster auszusteigen. Das Leben auf zwei Räder und ein geräumiges Zelt runterzufahren. Es ist mehr, als nur die Reset-Taste zu drücken: „Dafür sind die Erlebnisse zu einzigartig, fürs Leben.“ Neustart-Leben.

      Das Reise-Gen hatte sie während der ersten gemeinsamen Unternehmungen Ende der 90er-Jahre gepackt. Monatelange Touren in die unterschiedlichsten Regionen des Erdballs brachten die Brauns aus Bad Reichenhall mit vergleichslosen Eindrücken hinter sich: Endlose Weiten des nordamerikanischen Kontinents, tropische Hitze-Rekorde Südostasiens oder die lange Strecke vom südlichsten Oberbayern ans Nordkap (Norwegen) und zurück. Europa war längst abgegrast, bei Volker oft Irland: „Das war mir irgendwann aber doch zu kalt und zu nass“. Preisgünstig, unabhängig, bleiben wo man will … – für Petra und Volker längst unverzichtbare Unabhängigkeiten.

       Kartoffeläcker ade

      Die letzten Tage daheim.

      Volker, der Kölner, und die in Neuwied geborene Petra verlegten ihren Wohnort unabhängig voneinander ins Berchtesgadener Land: „Hier ist es einfach schöner als auf den rheinländischen Kartoffeläckern.“ 1990 lernten sie sich kennen, zwei Jahre später lieben. Und nach eher „normalen Rucksack-Reisen“ entdeckten sie erst 1999 ihre Leidenschaft: Auf dem Rad die Welt erleben. Buchautor Tilmann Waldthaler kurbelte mit seiner „Äqua-Tour“ vor allem bei Petra die Lust aufs Intensiv-Ausleben kräftig mit an. Was folgte, war nicht mehr zu bändigende Abenteuerlust.

      „Eine positive Einstellung zu dem, was man tut“, Volker muss nicht überlegen, um die wichtigste Eigenschaft zu nennen, derartige Touren zu wagen und damit die eigenen Träume zu leben. Auch Wagnisse, da ein Rad kaum Schutz bietet: Die Zwei waren jedem Wetter, unzählbaren Gefahren im mitunter chaotischen Verkehrsgeschehen, in den Nächten jeglichen Launen der Natur und einer permanent wechselnden Tierwelt ausgesetzt. „Das machte es gerade so spannend“, vier Augen beginnen zu glänzen. Und obwohl natürlich auch stets gefährliche Krankheiten lauerten, Volker erwischte schon zweimal die Malaria, konnten sie sich bislang kaum vorstellen, ihrem Reisedrang irgendwann abtrünnig zu werden.

      


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