Fahr Far Away: Mit dem Fahrrad von Alaska bis Feuerland. Hans-Joachim Bittner

Fahr Far Away: Mit dem Fahrrad von Alaska bis Feuerland - Hans-Joachim Bittner


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      Rund 300 Zeltnächte, mal klirrend kalt, mal glühend heiß, standen den beiden Abenteurern im Mai 2011 bevor.

      Ein festes Budget, konsequent, diszipliniert, enthaltsam zusammengespart, ist auf zwei Jahre ausgelegt. Danach wollten die beiden ganz locker weitersehen und -planen. „Sollten wir zurückkommen, egal wann, suchen wir uns Jobs und kehren ganz schnell zurück in den Alltag.“ Das eigene Haus daheim, in Bad Reichenhall, wurde derweil einem ehemaligen Arbeitskollegen Petras überlassen. Mietfrei, zum Strom, Wasser- und Müll-Selbstkostenpreis. Dafür hielt er es in Schuss.

      Petra und Volker konnten sich zunächst auch vorstellen, nach der (ursprünglichen) Zieldurchfahrt in Ushuaia, weiterzuradeln: Durch Brasilien, dann rüberfliegen nach Afrika, rein in den Senegal, rauf in den Norden des heißen Kontinents und via Spanien zurück in heimische Gefilde. Die Verlängerung hätte womöglich rund acht Monate in Anspruch genommen. Druck, egal welcher Art, waren und sind der Altenpflegerin und dem Sozialpädagogen fremd.

      In Sachen Weltreisen sind die Brauns alte Hasen, haben den Erdball längst umrundet. 70.000 Kilometer rund, nicht nur abgespult. Rechts und links alles wahrgenommen. Was sich während der Reisen daheim so alles abspielt, bekommen sie ohne technischen Schnickschnack nur am Rande mit. Als 2006 die Eishalle in Bad Reichenhall einstürzte und 15 Menschen starben, waren sie gerade in Laos – und erfuhren durch puren Zufall durch eine englischsprachige Zeitung, die in einem Laden plötzlich vor ihnen lag, von diesem Unglück.

       Im Jetzt leben

      Radschild

      Das Paar hat stets einen großen zentralen Reisewunsch in den Satteltaschen: „Gesund bleiben, denn daran hängt alles.“ Schlimmere Krankheiten oder Verletzungen könnten die Braun’schen Pläne abrupt stoppen. An derartige Szenarien verschwendeten sie jedoch keinerlei Gedanken – genauso wenig wie an die Altersvorsorge: „Ich mache mir keinen Kopf um meine Rente“, so Volker, „weil ich im Jetzt lebe und genieße.“ Das einfache, sparsame Leben, oft in völliger Wildnis, meist ohne jeglichen Komfort, ein bisschen Holz zusammengesammelt, um das Essen zuzubereiten … – das ist das, wovon die Brauns nicht nur träumen. Sie tun es. „Unter freiem Himmel schmeckt es doppelt gut“, freuten sie sich zu Beginn auf die Abgeschiedenheit Alaskas. Volker überlegte noch, ob er einen kleinen Campinghocker mitnehmen sollte: „Das wäre reinster Luxus gewesen.“ Jedes noch so geringe Gewicht wollte gut überlegt sein, schließlich musste alles auf dem Rad mitgezogen werden.

      Das Tandem verzichtete auf vieles und vermisste zu Beginn nichts. Nicht ein Buch – der Reiseführer ausgenommen – befand sich in den Taschen. Petra: „Bei so vielen Erlebnissen habe ich gar keine Zeit zum Lesen.“ Alles „wirklich Wichtige“ haben die erfahrenen Globetrotter dabei: eine gute Salbe fürs strapazierte Gesäß („Nach einer Woche spürt man ohnehin nichts mehr“), eine funktionierende Mücken-Abwehr gegen Alaskas Plagegeister, einen MP3-Player („Musik ist wichtig“) und ein Drei-Mann- beziehungsweise Frau-Zelt: „Das gönnten wir uns, weil wir uns nach einem Tag auf dem Sattel richtig ausstrecken wollten“. Und noch etwas war richtig wichtig: „Ein Glas Wein an jedem Abend, das musste einfach sein“. Am liebsten weiß und trocken.

       Tausche Alltag gegen Zeit

      Alles Materielle steht für beide in keiner Relation zum Zeitfaktor: „Für uns der größte Luxus. Wir nehmen uns die Zeit, leisten uns diesen Luxus. Es ist sagenhaft, sie letztlich geschenkt zu bekommen. Die Zeit. Wir tauschen Acht-Stunden-Arbeitstage gegen 15-Stunden-Erlebnistage.“

      Bei all der Abenteuerlust leugnen Volker und Petra nicht, schon auch echte Leidenschaft für die Heimat, das Zuhause entwickeln zu können: Das eigene Bett, der heimische Herd, arbeiten, kurz Alltag. „Dinge, die wir nach einer Reise sehr genießen.“

       Südamerika

      Deutschland: Zelten, schlafen und kochen bei Temperaturen unter null Grad.

       Startschwierigkeiten: Nach elf Tagen wäre die Reise beinahe zu Ende gewesen

      Am 13. April 2011 verabschiedeten sich Petra und Volker bei Schneetreiben und Temperaturen um die drei Grad von ihren Freunden, dem kleinen Häuschen in Bad Reichenhall und den vielen kleinen Annehmlichkeiten des Alltags. „Die ersten Tage waren reine Quälerei, und die 50 Kilogramm schweren Räder nicht leicht zu händeln. Jeder noch so kleine Hügel kostete uns unheimlich viel Kraft. Die Gelenke schmerzten, Petra hatte erhebliche Knieprobleme. Und ich habe mich gefragt, was wir hier überhaupt machen.“

      Die ersten drei Länder durchquerte das Rad-Duo überwiegend auf Flussradwegen: Saalach, Inn, Donau, Moldau, Elbe, Saale, Werra, Fulda, Lahn, Rhein. „Mit Freunden haben wir uns in Rammenau bei Dresden und in Fulda getroffen. So waren wir der Heimat immer noch nah.“

       Petras Kopf hält 120 Kilogramm stand

      Ein zweifelhaftes Vergnügen.

      Am 24. April schien die gerade erst begonnene Reise ein vorzeitiges und vor allem frühes Ende zu nehmen: Auf einem kleinen gewundenen Radweg an der Elbe rutschte Petra in einer Schlammpfütze mit dem Vorderrad weg, stürzte und kam unmittelbar vor Volker zum Liegen. Der konnte nicht mehr bremsen und rauschte mit voller Wucht über den Kopf seiner Frau. Der Helm fing glücklicherweise einen Großteil des Aufpralls ab – und so kam es bei Petra, einem Wunder gleich, lediglich zu ein paar Stauchungen, Prellungen und Hautabschürfungen. Schließlich donnerten rund 120 Kilogramm (Rad mit Gepäck und Volker) über ihren Kopf. Ein Ereignis, das schlimmste Folgen hätte nach sich ziehen können.

      Am 11. Mai erreichten die beiden nach 1.950 Kilometern Leutesdorf in der Nähe Neuwieds (Rheinland-Pfalz). „Bei Petras Eltern konnten wir erst mal pausieren, da der Arzt bei ihrem Knie eine Schleimbeutelentzündung diagnostiziert und Ruhe verordnet hatte. Das warme Bett nach zuvor permanent feuchten Zeltnächten – nasskalte Flusstäler und Nachttemperaturen bis zu minus vier Grad – haben wir sehr genossen.“

       Glück am Mount McKinley

      Alaska: Traumstraße zwischen Jasper und Banff.

      „Am 21. Mai sind wir dann nach Anchorage geflogen, am 23. Mai begann mit dem Radelstart in der größten Stadt Alaskas unser eigentliches Abenteuer.“ Doch statt sofort den Süden anzupeilen, bewegten sie sich zunächst in nordöstliche Richtung mit Ziel Denali-Nationalpark und Mount McKinley, 6.194 Meter hoch, Nordamerikas Berg-König. „Nur selten hat man klare Sicht auf sein Massiv – wir hatten fünf Tage lang Glück.“ Vom kleinen Ort Talkeetna (Bedeutung: „Ort, wo am Fluss Nahrung gelagert wird“/​Anm. d. Autors) schauten die zwei Reichenhaller auf die schneebedeckten Flanken und endlosen Gletscher über den Susitna River. Ein einmaliger Ausblick nur 100 Meter vom Zeltplatz entfernt. Temperaturen bis 27 Grad luden zum Baden in den Seen ein, was mangels Dusche doppelt gut tat. „Vor rund zwei Wochen war hier


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