Auslaufgebiet. Lotte Bromberg

Auslaufgebiet - Lotte Bromberg


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mitten im Einsatz.«

      »Das ist fies.« Er legte Jakob die Hand auf die Schulter. »Hunde haben das auch. Richtig fies.«

      »Na ja, ich stehe ja immer wieder auf«, sagte Jakob, gerührt von der epileptischen Hundegesellschaft.

      »Das spricht für Deinen Charakter.« Thies hatte sein Mitgefühl sortiert und setzte sich wieder in Bewegung. »Aber Krankheit können sie Dir doch nicht zur Last legen.«

      »Sie können.« Und mangelnden Corpsgeist, ein schartiges Wesen, zu viel Bildung und eine Ladung ungebetener Geister, dachte Jakob. »Eine Anklage habe ich auch am Hals.«

      »Scheiße.«

      »Ich soll ein Handy vom Tatort haben mitgehen lassen.«

      »Unterschlagung von Beweismitteln, heißt das so? Wollen sie Dich denn überhaupt noch bei der Kripo? Vielleicht fällst Du mal in einen Verdächtigen oder eine Waffe.«

      »So richtig wollten die mich nie.«

      »Willst Du nicht ein Praktikum bei mir machen? Klingt schon sehr nach Richtungswechsel. Du könntest Dich auf Bullenhunde spezialisieren.«

      Bißchen viele Wendemanöver für unsortierte Hirne. Jakob sah sich umgeben von wuselnden Hunden. Fiele er hin, warteten sie, bis er wieder zu sich kam. Ganz ohne Feuerwehr. »Bei der Kripo gibt’s kaum Hunde«, sagte er. »Zu viele Überstunden, kaputte Beziehungen.« Außerdem würde dort niemand seine Tiere Kollegenschwein Hagedorn anvertrauen. Na ja, fast niemand.

      »Dann nimmst Du die der Staatsanwälte, Richter, Rechtsmediziner.« Er deutete auf Jakobs zerknautschte Wanderschuhe. »Gehen kannst Du schon, den Rest bringe ich Dir bei.«

      »Wenn meine Gerichtsverhandlung übel ausgeht, komme ich darauf zurück.« Jakob Hagedorn gehörte auf die Fährten von Leichen, nicht von Hunden. Mußte Mörder finden, Türen öffnen, Fenster schließen. Ordnung wiederherstellen. Der Rest war Beigabe. Gute Bücher, schöne Frauen, zwitschernde Natur, Berliner sein, Kumpel sein, alles nichts ohne die Toten. Selbst mit epileptischem Chaos im Hirn. Mal davon abgesehen, daß er sich vor Gericht wehren mußte, um nicht als vorbestrafter Exkriminaler in irgendeinem Rattenloch zu landen. Wo er den Rest seines Lebens die Rachsucht des Polizeicorps mit Schnaps runterspülen und meckernden Geistern geleerte Flaschen an die übersinnlichen Köpfe werfen würde. »Ich hänge schon sehr an meinem Beruf. Und beweisen, daß ich nicht nur auf die Nase fallen kann, muß ich auch.«

      »Umso mehr tut es mir leid, daß ich Dir nicht helfen kann. Was hat sie hier gemacht ohne Hund?«

      »Sie ist wahrscheinlich gejoggt.«

      »Dann geh zu Hacke. Sie sieht knackig aus.«

      Jakob sah ihn fragend an.

      »Mehr Kommentar gibt’s nicht. Der Förster macht uns das Leben schwer und Waldarbeiter Hacke steht unter seinem persönlichen Schutz.«

      »Aber das ist doch hier Auslaufgebiet.«

      »Das wir gewerblich nutzen und also dafür bezahlen sollen.«

      »Um durch den Wald zu laufen, spinnt der?«

      »Morgen geht Hacke Amseln schießen. Der Mann ist ein Faktotum, aber Vorsicht, er geht nie ohne geladene Knarre aus. Laut Buschtrommel hat er mal ein paar Semester Forstwirtschaft studiert und ist dann abgerutscht. Unser Förster soll ihn aus der Gosse geschleift und zu seinem Holzfäller gemacht haben. Ich sage Dir, wo Du ihn findest. Und wenn die Frau gelaufen ist, wo man sie gefunden hat, dann müßte meine Kollegin Marie sie kennen. Die benutzt den Pfad hinterm Reitweg.«

      »Weicht sie Dir aus?«

      Thies grinste. »Sie spannt am Wochenende ihre eigenen Hunde vor einen Trainingswagen und brettert durchs Auslaufgebiet. Ein Ridgeback und ein Rottweiler aus dem Tierschutz, dahinter vier spanische Straßenhunde.«

      »Da läuft man ungern quer.«

      Thies lachte. »Man hört sie von weitem Kommandos brüllen.«

      »Und wie erkenne ich sie werktags?«

      »Nach Feierabend geht sie zum Essen. Ich gebe Dir die Adresse.«

      Oskar plumpste in den Drehstuhl, rieb sich die Augen und gähnte. Wieder hatte er seine halbe Schicht mit den schweigenden mutmaßlichen Doppelmördern verbracht. Nicht mal fremdsprachige Verwünschungen gönnten sie ihm. Aber der Alte hatte nach den Hunden gefragt. Die Drogen, die Waffen, der Doppelmord, aber er fragte nach den Kötern. Ein Kollege mit tunesischem Vater war sich immerhin sicher, er hätte einen ägyptischen Akzent. Na ja, höhnisch gelacht hatte der Alte.

      Die Fingerabdrücke waren nicht registriert. Jetzt versuchten die Kollegen, über die DNA Personalien zu klären, die Ergebnisse dauerten.

      In Ermangelung von Namen hatten sie die Drei nach Alter durchnumeriert. Inoffiziell gaben sie ihnen Spitznamen. Als Einser thronte Ali-Baba, das offensichtliche Sippenoberhaupt. Der Shishafreund und Linoleumrotzer, die Nummer Zwei, hieß Ziege. Der Dreier mit Resten von Pubertätsduft in der Kleidung, dem Oskar gerade in der Hoffnung, das wackeligste Glied in der Kette hielte das Schweigegelübde nicht durch, stundenlang redend gegenüber gesessen hatte, hieß Fiffi, weil er eine goldene Halskette trug, dick wie die Halsbänder seiner Bullterrier. So was hatte die Grunewalder Frauenleiche auch getragen. Kein für Waldtiere bekömmliches Statussymbol, sie hatten es ihr unversehrt gelassen. Iris Gerber hatte den für Kriminaler unerschwinglichen Schmuck mit Dollar bezahlt, aber der Dreier? Viel zu dick wirkte sie an dem schmächtigen Kerl. Vielleicht war sie seine Belohnung? Doppelmord als Einstiegspreis in die testosterongesteuerte Gruppe. Oskar seufzte. Zu seiner flaumigen Zeit sprang man dafür rückwärts vom Fünf-Meter-Brett oder entriß einer Omi die Handtasche.

      Es ging um eine außergewöhnlich unappetitliche Tat. Zwei Leichen auf einem Weddinger Hinterhofmüllhaufen. Ohne Goldkette und dicke Uhren. Hagere Männer, die sich sehr ähnlich sahen, in einfachen Pullovern, schlichten Jeans, mit schwieligen Händen. Jemand hatte sie mit Blutergüssen übersät, ihnen Finger gebrochen und Zähne ausgeschlagen, dem Älteren die Ohrringe ausgerissen, dem Jüngeren eine Schulter ausgekugelt. Viel Arbeit für den schmalen Fiffi, zu viel allein.

      Gestorben waren die Zwei an gezielten Stichen in Leber und Milz. Ausgeblutet in den Müll. Zum Schluß hatte der Täter sie mit Schweinedärmen zugekippt. Liebesgabe von muslimischen Glaubensbrüdern? Sonst hätte es schlichter Müll auch getan.

      Kaum vorstellbar, daß all das in dem engen Hinterhof unbeobachtet geblieben war. Sie putzten Klinken, aber keiner hatte etwas gesehen, nichts gehört, nicht da gewesen, noch nie da gewesen. Die Opfer kannte auch niemand, selbstverständlich.

      Oskar stand ächzend auf und öffnete das Fenster. Den Geruch des modernden Gedärms hatte er erst einmal in der Nase. Sah schon sehr nach Bandenkriminalität aus. Keine Ahnung, wer es da auf wen abgesehen hatte. Irgendwie arabisch, wenn er sich an das Gezeter erinnerte. Er stützte sich auf die Fensterbank und füllte seine Lungen mit abgasgeschwängertem Sauerstoff.

      Und das alles in seiner Stadt. Berlin wurde immer mehr zur Volksbühne für die ganze Welt. Und Oskar als Beleuchter. Manchmal warf er ein paar schlechte Schauspieler von den Brettern oder machte einfach bis zum nächsten Akt das Licht aus. Wer produziert sich schon im Dunkeln.

      Aber kaum knipste er es wieder an, war die Bühne rappelvoll. Wie die Kakerlaken. Immer neue Gesichter, andere Sprachen. Geld, Haß, beleidigter Glaube, Sex und Gewalt, das blieb. Und niemand, mit dem man vernünftig reden konnte. Die Kollegen schoben mit gesenkten Köpfen durch die Schichten. Bloß nicht auffallen, Fehler machen, selbst nicht unter Gedärm landen. Ihm fehlte der Galgenhumor mit Jakob über den graubärtigen Regisseur in seiner fernen Wolke und dessen beschissenes Drehbuch.

      Gut, daß er Jakob für den Grunewald rekrutiert hatte. Das Arabische war noch zu viel für den Rekonvaleszenten, aber die halbverdaute Iris Gerber aus östlichen Kleinbürgerverhältnissen schaffte er. Und Oskar konnte sich der Wand der Drei zuwenden.

      Fiffi war schon die richtige Stelle. Sah sich immer nach seinen Kumpeln um, wich zurück, wenn Oskar an ihm vorbeiging. Er mußte nur dessen weichen Kern


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