Auslaufgebiet. Lotte Bromberg

Auslaufgebiet - Lotte Bromberg


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Reaktion, zumindest nicht sichtbar. Ohne Jakob stocherte er in der verschlossenen Seele, selbst beim kriminellen Nachwuchs. Keine Geister mit Schweinedarmaroma, die ihm den Weg wiesen. Vielleicht sollte er seinen suspendierten Freund über die Feuertreppe ins Verhörzimmer schleusen, Geister suchen.

      Oskar sah auf die hängenden Blätter seiner von Jakob geschenkten Topfpflanzen. Wenn die eingingen, wäre sein Freund sauer. Er füllte einen Becher mit Wasser und goß den Untersetzer voll, als die Tür zu seinem Büro aufgerissen wurde.

      »Weißt Du, wo die Kaffeemaschine ist?« Kollege Kühn winkte mit einem Pfund Vakuumkaffee in der Linken.

      Oskar zuckte mit den Schultern, Kühns Blick streifte durch den Raum.

      »Glaubst Du, ich habe sie versteckt?«

      Kühn schwang sich auf Oskars Schreibtisch. »Vielleicht hat Dein Busenfreund sie mitgehen lassen.« Er grinste. »Der unterschlägt ja gern mal was.«

      »Deine Witze waren auch schon mal besser.«

      Kühn zog die Schubladen auf.

      »Da paßt keine Kaffeemaschine rein«, sagte Oskar.

      »Weißt Du schon, daß er nicht zurückkommt, Dein Hagedorn?«

      »Du mußt es ja wissen, Großmaul.«

      »Habe ich direkt von Focke.« Kühns Augen blitzten.

      »Was soll das heißen?«

      Kühn hielt den Kaffee vor die Brust und guckte treuherzig. »Nüscht. Find’s selber raus.« Er hüpfte von der Tischplatte. »Heute Abend sind wir übrigens zum Kegeln, willst Du nicht mal wieder mitkommen?«

      »Nix kegeln, Kühn, erst die Schweinedärme. Hast Du endlich raus, wo sie fehlen?«

      Kühn ging zur offenen Tür. »Sachte, sachte, erst mal die Kaffeemaschine, die Därme laufen ja nicht weg. Ham ja keene Füße.«

      Oskar schlug krachend die Tür hinter ihm zu. Er haßte die Bande für das, was sie mit Jakob machten. Sie waren sich so verdammt sicher, daß sie ihn schon rausgekegelt hatten. Sein Freund war nur noch der Treppenwitz der Kompanie für Neuzugänge. Seine Geister, seine Anfälle, die Verhandlung. Und mit Oskar wollten sie die Kugel schieben wie früher. Luden ihn zu Grillfesten und Geburtstagen ein, teilten jeden Tratsch, als sei nichts gewesen. Aber er war nicht mehr einer aus ihrer Mitte, wenn er das denn je gewesen war.

      Immerhin kam er von den Uniformierten, hatte viel Aufwand betrieben, zur Kripo zu gehören. Vielleicht ertrug er deshalb nicht, wie sich die Gruppe ihrer selbst versicherte, indem sie den Paradiesvogel vom Balkon schubste. Oskar Blum war zwar nur eine gerupfte Saatkrähe mit zu großem Schnabel, aber er konnte sehr laut schimpfen, wenn enges Kleinbürgertum versuchte, Berlins Balkone zu übernehmen.

      Irgendjemand schoß. Jakob nahm Hektor an seine alberne Leine und durchbrach den Wald in Richtung der Schüsse.

      Iris war als Leiche in seine nächtlichen Träume gezogen. Er sah sie wehrlos auf dem Waldboden liegen. Hörte Wildschweine grunzen, Ratten schmatzen, sah einen Marder über ihre Schulter springen und einen Fuchs den erbeuteten Unterarm aus der Gefechtsmitte schleifen.

      Aus diesen Träumen erwachte Jakob schweißgebadet, tapste zum Wasserhahn und spülte sich den üblen Geschmack aus dem Mund. Wer immer das getan hatte, Iris das angetan hatte, dieser jungen Frau in Mini und auf Pumps, sie dort liegen gelassen hatte, ausgeliefert ihren Leichnam an die Bewohner des Grunewaldes, bekäme es ab sofort mit ihm zu tun.

      Auch ohne daß Iris sich bisher zu seinen Geisterfrauen gesellt hatte, hatte ihre Geschichte ihn am Haken. Niemand durfte ungesühnt auf diese Weise ein Leben auslöschen, ein Menschenjunges bloßstellen, preisgeben an die Natur. Und wenn das sein letzter Fall wäre, fallsüchtig, suspendiert, weggestoßen vom Beamtenschoß, diesen Mörder würde Jakob Hagedorn noch finden, a. D. hin oder her.

      Seit dem Gespräch mit Thies träumte er auch von wilden Jagden durchs Unterholz, Balgereien und Schnuppereien. Allerdings war er kein gutbezahlter zweibeiniger Rudelführer, sondern zupfte mit den Zähnen Bordercollies am Halsfell, legte auffordernd eine Vorderpfote auf Boxers Schultern, hechelte und hampelte, hob das Bein und stob mit der Nase durch altes Laub.

      Jakob seufzte. Es ging schon wieder los, er nahm auch diesen Fall viel zu persönlich. Nicht nur war die entstellte Leiche ihm auf den Rücken geknüpft, sein unerzogenes Gehirn pfiff wie üblich auf die Ich-Welt-Grenze und ließ dieses Mal Berliner Hunde alle Schranken passieren.

      Seine Sinne nahmen Fahrt auf. Uringeruch zog ihn wie an einer Schnur. Kaum zu glauben, wo überall Rüden hinpinkelten. Neulich wollte er ein Pöttchen für Gretes Fensterbank kaufen, hob die auf dem Bürgersteig ausgestellte Pflanze hoch, senkte die Nase in die Blütenpracht und roch einen alten Rüden mit Prostataproblem.

      Bei einem mitternächtlichen Telefonat mit Hanna konnte er hören, wie sie sich ihr Frühstückstoast bestrich. Nein, nicht nur das Kratzen des Messers auf der Butter, er hörte auch den von der Messerspitze ins Glas zurücktropfenden Honig.

      Als sie sich beschwerte, er habe nicht zugehört, erwähnte er seine neuen Canidenlauscher. Er verstand ja, daß sie ihm kein Wort glaubte und Verwünschungen ausstieß, daß ihr Herz sie an so einen Spinner kettete. Als er sich kleinlaut entschuldigte, erklärte sie ihn spöttisch zur neuen Jesusfigur und sich zu seinem Gott bekehrt.

      Aber letzte Nacht hatte sie nicht angerufen. Er war ein epileptischer Exkriminaler und Neucanide. Ausgestoßen und unverstanden. Sogar von Hanna, die gerade ihre Berliner Sammlung an Schrullen in den USA ergänzte. Jakob haderte mit Bildern gutaussehender Amerikaner. Aber die waren ja alle übergewichtig.

      Hanna, die Toten, ihre Geister, Iris’ Leichnam, die Hunde jetzt, jeder trampelte in seinem Hirn herum, ohne ihn zu fragen. In Berlin, der Stadt mit dem wurschtigsten Verhältnis zu Müll, Rotz und Pisse, die Sinne eines Hundes zu entwickeln, grenzte an Körperverletzung. Da wurde jeder Aufenthalt im Wald, trotz Wildschwein- und Mäusearoma, zur reinsten Erholung, selbst wenn geschossen wurde und er einen Mörder suchte.

      Jakob und Hektor kamen zu einer kleinen Lichtung, an deren Rand ein Pickup stand, auf der Pritsche breitbeinig ein Mann in grüner Kleidung, der tatsächlich auf Amseln schoß.

      »Was tun Sie da, zum Teufel?«, fragte Jakob.

      Waldarbeiter Hacke drehte sich um, ohne die Waffe zu senken. Er zielte abwechselnd auf den großen Mann und seinen kleinen Hund. Sein Hosenlatz stand offen. So jemand könnte eine Leiche nachts im Wald zurücklassen, damit Tiere sie zerfleischen. »Geht Sie das was an?«, blaffte er.

      »Sie haben kein Recht, Amseln zu töten.«

      Hacke sprang vom Pickup. »Ich bin vom Forstamt, ich darf hier alles.« Dicht vor Jakob blieb er stehen und sah verächtlich auf Hektor hinab. »Und wer sind Sie?«

      Vorsicht Jakob, wenn Du zurück willst zur Kripo. »Zu Besuch. Ich führe den Hund einer Freundin aus.« Das Gesicht des Mannes wurde dunkler. Zu viel Alkohol, Sonne, Druck im Blut. Oder alles zusammen. Frischluft schien nicht jedem gut zu tun.

      »Dann mischen Sie sich nicht in Berliner Angelegenheiten und gehen Sie zurück auf die ausgewiesenen Wanderwege.«

      »Würden sich mehr Leute einmischen, geschähe nicht so viel Schlimmes.« Jakob versuchte einen kullerigen Blick.

      »Wovon reden Sie?«

      »Na, die Leiche. Wenn nicht alle so abgestumpft wären, hätte man den Mord vielleicht verhindern können«, sagte Jakob so treuherzig auswärts, wie er konnte.

      »Jetzt ist sie also schon ermordet worden, sieh an. Da wissen Sie mehr als ich. Und immerhin ist das mein Wald.«

      Typisches Mißverständnis des Berliner Öffentlichen Dienstes. »Und warum schießen Sie auf Amseln?«

      »Ratten, sonst nix.« Hacke warf sein Gewehr durch das offene Beifahrerfenster in den Pickup.

      »Wenn Sie es sagen.«


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