Lust und Liebe dann kam das Leben. Peter Nimsch

Lust und Liebe dann kam das Leben - Peter Nimsch


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wiederum einer halben Stunde, die Zeitspanne kannten wir ja schon, hatten wir alles in meiner neuen Bleibe, das Wort Wohnung war bestimmt für die nächsten Monate aus meinem Wortschatz gestrichen.

      »Bis in zwei Stunden, dann hole ich dich ab und wir ziehen um die Häuser!«, rief Fred und polterte laut pfeifend die Treppen hinab.

      Ich suchte mal wieder nach meinem Handy, da ja Fred in zwei Stunden wieder hier auftauchen wollte und ich dazu eine aktuelle Zeitangabe benötigte. So oft ich auch drückte, alles blieb schwarz auf dem Display und so viel Großzügigkeit, mir auch noch ein Ladekabel mit einzupacken, konnte ich ja nun wirklich nicht von Anja erwarten. Langsam schlich ich zu dem Scheiterhaufen meines Lebens in das größere Zimmer, wo Fred und ich die Reste vom Vorleben bzw. meine Startpakete in neue Abenteuer aufgeschichtet hatten. Als ich aus dem Fenster sah, erkannte ich genau gegenüber eine große öffentliche Normaluhr, ihre Zeiger zeigten die zehnte Stunde. Ich legte spontan für mich fest, 24 Uhr beginnt ein neues Leben.

      Ich konnte noch nie die Menschen verstehen, die ihren Urlaub schon für das nächste Jahr planen. Hier hatte ich mal wieder einen handfesten Beweis für meine Theorie, innerhalb von nur vier Stunden hatte sich meine kleine heile Welt total auf den Kopf gestellt. Auch Klein-Paul war auf dem Weg zu meiner alten Wohnung noch siegesbewusst mit geschwollener Brust gewesen, als ich den 24-armigen Kerzenleuchter im Fenster erblickt hatte, aber jetzt war er verschwunden. Ich hoffte, dass ich ihn wenigstens beim Pinkeln wieder finden konnte.

      ›Ein einfach schräger Tag bis jetzt, aber es kann ja nur besser werden‹, versuchte ich mir Mut zu zusprechen. Ich, Paul, saß in meiner Höhle und starrte auf unverputzte Höhlenwände. ›Werde erst einmal eine Bestandsaufnahme machen in diesem Loch, anders kann man es nicht bezeichnen‹, bevor Fred mich zu einer ersten Tour auf die Karli abholen wollte.

      ›Liebe Anja, ich danke Dir von ganzem Herzen und wünsche dir die Pest an den Hals!‹, und noch andere ausgefallene Wünsche gingen mir für meine Ehemalige, ›wow, klingt echt gut‹, durch den Kopf, währenddessen ich wie ein Häuflein Elend dahockte und die Reste meines vorherigen Lebens anstarrte. ›Du vögelst dir gerade die Seele aus dem Leib und ich kann nicht mal den Putz von den Wänden fressen, da es ja hier keinen gibt.‹

      Mir wurde schon nach den ersten Schritten durch meine Ausbauhöhle klar, warum diese so billig in der Miete war und Anjas liebe Freundin diese nicht mehr wollte. Irgendjemand hatte – ich vermutete, Marias schräge Bekanntschaften – versucht, dieses Loch in einen bewohnbaren Zustand zu bekommen, hatte aber irgendwann verzweifelt aufgehört, wie ich bei einem Blick in das Toilettenbecken feststellen musste. Bestimmt die letzte frustrierte Handlung, bevor diese Typen fluchtartig die sogenannte Wohnung verlassen hatten. Im Toilettenbecken lag ein großer Fladen, der sich bis in den Abfluss erstrecke. Nur dieser Fladen war nicht braun und stank auch nicht, er war grau und hart, wie ich beim Betasten mit den in der Ecke lümmelnden Resten einer Klobürste feststellen konnte. Es war steinharter Mörtel. Bestimmt war es der Rest von dem Mörtel, mit dem Maria und ihre Typen versucht hatten, die in der ganzen Wohnung schon frei gehackten Fenster, welche sicher irgendwann ausgetauscht werden sollten, wieder abzudichten, sodass sie nicht befürchten musste, im Winter zu erfrieren und bei Herbststürmen durch die Wohnung geweht zu werden.

      Klein-Paul meldete sich wieder mal und ich merkte, dass ich eigentlich die Toilette benutzen sollte, aber die war ja zugemörtelt. Mit gutem Zureden, dass es gleich so weit wäre und er seinen zweiten Verwendungszweck schnellst möglich ausführen können würde, machte ich mich auf die Suche nach etwas, was man als Bohrer oder Stemmeisen verwenden konnte. Beim Suchen stellte ich fest, dass meine Höhle gar nicht so verkehrt war: ein großes Zimmer von ungefähr zwanzig Quadratmetern und zwei kleinere.

      Dazu gab es eine Küche, wo sogar noch ein alter E-Herd dahinvegetierte und eine Toilette, die aber seit Wochen Ruhetag hatte. Leider kein Bad, aber da würde mir bestimmt, was einfallen. In allen Zimmern baumelten zum Glück die romantischen Notleuchten – ein Draht, eine Fassung und eine natürlich vollkommen verdreckte Glühbirne. Auch in den restlichen Zimmern waren teilweise schon Löcher in den Putz gehackt, umgeben von Tapetenresten aller bisher in der Menschheitsgeschichte beliebten Stilrichtungen. ›Bestimmt feierten noch vor Kurzem, wo jetzt die frei gehackten Löcher waren, Schimmelpilze ihre Erweiterungspartys.‹ In einem von den beiden kleineren Zimmern, das ich mir schon als Ruheraum auserwählt hatte, türmte sich in der Mitte ein Sandhaufen. ›Da ich kein Bett mitbekommen hatte, brauchte ich wenigstens nicht auf den harten Dielen zu nächtigen‹, bei diesem Gedanken wurde mir bewusst, dass sich langsam mein Humor leise zurückmeldete.

      Klein-Paul schnürte sich immer mehr die Luft ab, da mein Druck in der Blase immer größer wurde. Aber es war einfach nichts aufzutreiben, was als Brecheisen verwendbar gewesen wäre. Mit eiligen Schritten ging ich zur Toilette zurück, in der Hoffnung, dass wenigstens das Waschbecken einen Abfluss hatte. Freudig begrüßte mich Klein-Paul und unter Hochgenuss entleerte ich mich und stellte erleichtert fest, dass hier keine Verstopfung vorlag. Auch war es ein schönes Waschbecken. Ich hatte mit meinem nicht enden wollenden Urinstrahl SCHEISSE in den Dreck geschrieben und dabei kam ein wunderschönes graziles Muster zum Vorschein. Als mein Blick nach dem Entleeren meiner Blase zum Spiegel wanderte, oder besser gesagt, was mal wieder ein Spiegel werden wollte, entdeckte ich einen angeklebten Zettel.

       Hallo Paul, willkommen im neuen Heim. Ich weiß, dass Du jetzt gerade nicht gut drauf bist, da Anja meine Freundin ist und ich demzufolge schon seit Längerem von Deinem Auftauchen vor diesem Spiegel ahnte.

       Wenn Du hier bleiben willst, und davon gehe ich bei Deinen finanziellen Verhältnissen aus, überweise einfach regelmäßig auf folgendes Bankkonto, siehe Rückseite, die Miete und Du kann hier bestimmt ewig hausen.

       Gruß und Trost-Kuss Maria

       P.S. Ich hoffe, Du hast bessere Nerven und mehr Elan als ich und kriegst die Bude bewohnbar.

      Was kann das hier kosten, eigentlich müsste man ja hier noch etwas rauskriegen und ich riss neugierig den Zettel vom Spiegel, neben der Bankverbindung stand 150 Euro. Ist bitte pünktlich am vierten jedes Monats zu überweisen. Pünktlich war dick unterstrichen, Maria konnte einfach nicht verleugnen, dass sie seit Jahren als Lehrerin tätig war und immer eine erzieherische Note mit einfloss, solange ich sie kannte.

      Langsam fand ich mich zurecht und ging zielgerichtet zum größeren Zimmer, aus dessen Fenster ich die Uhr auf der Straße erkennen konnte, weil ich wissen wollte, wie spät es war. ›Noch eine Stunde Zeit, bis Fred hier aufschlagen wird‹, dachte ich mir, griff mein Handy und wollte mir, da sich langsam ein Hungergefühl breitmachte, eine Pizza bestellen. Nur hatte ich leider vergessen, dass das Handy leer war und mich statt Anja nur eine schwarze glänzende Oberfläche anlachte.

      ›Ich brauche dringend ein Ladekabel!‹ Erstens hatte ich Hunger und zweitens sollte mich Anja auf keinen Fall mehr begrüßen, wenn mein Handy wieder Strom hatte.

      Drei wichtige Vorhaben für die nächste Stunde, ›Handy aufladen, Hintergrundbild sofort wechseln und Pizza bestellen!‹ Die Toilette hatte jetzt, aus rein biologischen Gesetzmäßigkeiten, etwas länger Zeit, da ich gerade pinkeln war und ich zur Not auch noch das restliche schöne Muster des Waschbeckens beim nächsten biologischen Bedürfnis freilegen konnte. Da diese Ruine von einem Haus bewohnt war, versuchte ich mein Glück zwecks Ladekabel mal an der benachbarten Wohnungstür. Stefan Friedrich stand auf einem mit einer Reißzwecke befestigten Schildchen. Nach zweimaligem Klingeln öffnete ein dürrer Typ im Bademantel.

      »Hi, ich bin dein neuer Nachbar Paul«, sagte ich und blickte in große erstaunte Augen eines ungefähr 35-jährigen, mittelgroßen, sehr dünnen Typen mit einer wirren Frisur, ähnlich meiner. Erst jetzt merkte ich, worauf sie starrten, mein blutgetränktes Weihnachtsduft-Toilettenpapier hatte sich langsam von meinem Unterschenkel gelöst und schlängelte sich vergnügt über die ganze Etage bis in meine Höhle zurück.

      »Kleinen Unfall beim Einzug gehabt«, log ich spontan entschuldigend.

      Stefan lachte: »Sieht aber nicht gut aus«, als sein Blick das blutdurchtränkte Weihnachtsduft-Toilettenpapier bestaunte.

      »Hat schon aufgehört zu


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