Lust und Liebe dann kam das Leben. Peter Nimsch
ganz leise, damit es auch ja niemand hörte, sagte ich: »… na, so das Eine eben …«, nochmals überlegend, ob ich es wagen kann, »… der Sex.«
»Bei dir??? … der Sex?«, Fred verstand die Welt nicht mehr.
»Naja, Anja sagte, oder ich vermute sie so verstanden zu haben, sie sei nicht glücklich, wenn es nur Blümchensex und manchmal etwas mehr gäbe. Aber ich habe doch momentan auch eine schwere Zeit, mit den Auftritten läuft es einfach nicht mehr so, bin laufend unterwegs …, Bandproben und immer auf der Suche nach Muggen, also irgendwas, was ein bissel Kohle einbringt. Ich war einfach immer kaputt. Wir hatten die letzten Monate fast gar keinen Sex mehr, hatte auch keine so richtige Lust auf Anja, irgendwas ist zu Bruch gegangen zwischen uns … einfach still und leise …«
»… Mensch, du kannst einem ja echt leidtun!«
»Und zum Abschalten von den sinnlosen Bemühungen mehr Muggen zu bekommen und den ganzen Beziehungsproblemen habe ich dann oft meine tollen Ballerspiele im Computer gespielt, war echt süchtig danach«, beichtete ich weiter. »Anja war oft stinksauer, selbst wenn sie sich ganz zärtlich nur mit Slip und Strapsen bekleidet auf meinen Schoß setzte, wenn ich gerade spielte …«, sagte ich vollkommen in Gedanken versunken an die vergangene Zeit. »… war ich ganz abwesend, vom Spiel gefesselt, schaute Anja oft gar nicht richtig an und faselte was von nur noch zehn Minuten, dann habe ich gewonnen …, aus den zehn Minuten wurden oft Stunden …«
»Aber dann war es von ihr auch nicht DIE Liebe!«, versuchte mich Fred zu trösten.
»… und du weißt doch, wie ich aufgewachsen bin, bei zwei Frauen, Mutter und Schwester, da war das Thema Sex und alles, was auch nur im Entferntesten damit zu tun hatte, einfach tabu und ich bin bis heute noch oft so verdammt schüchtern und unerfahren in vielen Dingen.«
Freds Augen wurden immer größer und ich versank fast vor Scham, aber irgendwie wollte ich vieles loswerden, was mich schon oft belastet hatte. ›Und viel schlimmer kann es ja heute wirklich nicht mehr werden‹, glaubte ich zumindest noch in diesem Augenblick.
»… und außerdem poppt sich Anja gerade die Seele aus dem Leib, mit einem äußerst potenten Typ, in unserer, besser gesagt: meiner ehemaligen Wohnung. Sie versucht nun krampfhaft, alles, was sie in den letzten Monaten mit mir verpasst zu haben glaubt, in wenigen Stunden nachzuholen. Musste das ganze, von Anja vermisste Sexleben, zum Teil mit anhören, als ich eine gefühlte Ewigkeit auf dich gewartet habe.«
»Komm, Prost Paul, der Abend oder …«, nach einem Blick auf die Uhr, »eher der Morgen, kann nur besser werden.«
Die Katze reichte uns ständig neue Kilkenny … ›Hatten wir überhaupt bestellt?‹ … nach dem vierten Bier kannte Fred fast meine ganze Beziehungskiste der letzten zwei Jahre.
»Komm Alter, mach die Augen auf, vergiss die Tante, war zwar ein heißer Feger, wie ich so raus höre, aber das ist nicht alles, gibt auch andere, du hast was Besseres verdient!« Mit solchen oder ähnlichen Sätzen versuchte mich Fred liebevoll aufzubauen. Aber in meinem Kopf war immer noch Achterbahn angesagt, angefangen von Frust, Hass, Enttäuschung, verschmähter Liebe, Nachtrauern vieler verpasster heißer Gelegenheiten bis hin zu Verachtung. Alle Berge und Täler einer solchen Fahrt machten meine Gehirnwindungen gerade mit.
Als wir uns nach einem weiteren Kilkenny gerade zum Gehen entschlossen hatten, denn Fred musste morgen früh wieder mit seinem Taxi Leipzig erobern, öffnete sich sehr energisch die Eingangstür. Gemeinsam mit dem Geräusch der ersten wieder verkehrenden Straßenbahn des neuen Tages und begleitet vom Heulen der Sirenen eines Rettungswagens betrat eine Lady den Pub.
Wie im Gleichklang bewegten sich die Köpfe aller männlichen Gäste hin zu ihr, oder treffender gesagt zu dieser Erscheinung. Ihre Aura brachte nicht nur alle Gläser im nächtlichen Pub zum Klingen. Neugierig schaute sie sich im Raum um, als suche sie jemanden. Immer wieder glitten ihre Augen über die Gäste, aber sie schien die gesuchte Person nicht finden zu können. Wie in Zeitlupe setzte meine linke Hand das leere Bierglas auf den Tresen, hob sich, bestimmt angefeuert durch fünf Kilkenny und zeigte einladend auf den freien Barhocker neben mir. Ich konnte meinen Mut selbst nicht fassen und ein kurzer Blick zu Fred zeigte mir nur sein grinsendes Gesicht. Ich versuchte sie anzulächeln, was mir bestimmt nicht so gut gelang, da mein Verstand meinen Mut nicht begreifen wollte.
Als die Erscheinung sanft zu mir zurücklächelte, bekam mein offener Mund heute zum zweiten Mal Erstarrungszustände, die sich aber diesmal zum Glück schneller wieder lockerten. ›Was passiert hier?‹ Ich konnte nicht fassen, was da mit blonden langen Haaren, Beinen bis zum Himmel und einem Rock, der eigentlich mehr ein schmaler Gürtel war, immer näher kam.
An den Spuren, die ihre High-Heel-Absätze auf der Karli selbst in den harten Granitplatten hinterlassen haben mussten, konnte man bestimmt den Weg ihrer letzten Stunden verfolgen. Als sie mir fast schon gegenüberstand, konnte ich dank der langsam dünner werdenden Rauchwand zwischen uns auch Brüste erkennen, die in jedem ›Wünsch-dir-was-Quiz‹ den ersten Platz mit Abstand erreicht hätten. Unter ihrer Bluse trug sie nichts, und ich erahnte Brustwarzen von ungeahnter Größe, deren leicht erigierte Spitzen sich sanft im seidigen Blusenstoff abzeichneten …
… mein Atem ging in Hecheln über, im ganzen Pub waren mittlerweile sämtliche – also auch die weiblichen – Blicke nur noch auf SIE gerichtet, die Zeit blieb stehen und aus ihren Mund kamen mit einer leicht angerauten, sehr erotischen Stimme nur diese vier Worte; »… ist hier noch frei? …«
Wenn ich nicht im selben Moment Freds aufmunternden und bestimmt bewundernd gemeinten heftigen Hieb in meiner rechten Seite verspürt hätte, hätte ich bestimmt nichts herausgebracht.
»… jaaaa …«, lallte ich nur dämlich.
Langsam wandten sich die Blicke der anderen Gäste wieder von der Erscheinung ab. Aus dem ersten Kampf war ich offensichtlich als Sieger hervorgegangen. Zum Glück halfen mir Fred und Klein- Paul, dessen freudiges Zucken ich plötzlich verspürte, mich aus meiner Erstarrung zu befreien.
Ganz locker kam es aus Freds Mund, »Hi, darf ich vorstellen, das ist mein bester Kumpel Paul und ich bin der Fred.«
»Claudia, aber sagt einfach Claudi zu mir«, kam es gehaucht zurück. »War hier eigentlich vor einer Stunde mit einem Typen verabredet, aber irgendwie habe ich die Zeit verrammelt. Habe es nicht so mit der Pünktlichkeit …«
Jetzt erinnerte ich mich auch an den auffallend gut aussehenden Typen, für mich ein richtig doofer Schönling, der die ganze Zeit ein paar Hocker weiter am Tresen gesessen und ganz oft auf seine Uhr geschaut, aber irgendwann den Pub wieder verlassen hatte.
»War das so ein gutaussehender Typ, halblange schwarze Haare, Designerbrille und ausgefallene Klamotten, mit dem du verabredest warst? Der sah aus, als wenn er ganz leicht geschminkt war, irgendwie anders als die glatten Typen, die nachts auf Beutesuche durch die Kneipen tigern…«, kamen erste Worte, während sich meine Erstarrung langsam weiter zu lösen begann, über meine Lippen.
»Der saß vor einer Stunde noch hier am Tresen, ist dann aber verschwunden.«
»Kann er gewesen sein«, hauchte Claudi zurück, »Aber wer nicht auf mich warten kann, hat mich auch nicht verdient! – Und was machst du hier? Fred kenne ich flüchtig vom Sehen, aber dich habe ich hier noch nie gesehen.«
»Bin seit langem mal wieder im Süden von Leipzig unterwegs, coole Gegend ist die Karli geworden«, kam es nun schon wieder etwas normaler von mir zurück.
»War heute ein nicht so schöner Tag für mich …«
Fred stieg gleich ein: »Musste mich ein bissel um meinen besten Kumpel kümmern, für ihn fängt heute ein neues Leben an.«
»Neues Leben …«, hauchte Claudi, »… habe ich auch schon oft versucht, aber irgendwann habe ich mit dem Zählen aufgehört …«
»Auch schon so viel Pech gehabt wie ich? Haha … haha …«, kam es von Fred. »Davon kann ich ein Lied singen. Aber bei Paul hat es mich heute total überrascht, ist einfach so vor wenigen Stunden vor die Tür gesetzt worden. Den müssen wir ein bissel aufbauen.«
»Ach