Gesundes Gift. Franz Kabelka

Gesundes Gift - Franz Kabelka


Скачать книгу
keinen Fall“, rief sie mit schmerzverzerrtem Gesicht, „davon war nie die Rede!“

      „In Ordnung, kein Problem, Frau Prinz. Es hätte mir nur erspart, mir schriftliche Notizen zu machen. Aber es ist wirklich kein Problem.“

      Sie schob das Aufnahmegerät hinüber, um zu demonstrieren, dass sie nicht daran dachte, im Geheimen mitzuschneiden.

      Rosa Tauner steckte die Nase zur Tür herein und fragte, ob sie etwas bringen dürfe.

      „Nur einen Kamillentee, bitte“, sagte Lotte Prinz.

      „Bitte sehr, bitte gleich“, sagte Rosa und verschwand wieder.

      „Könnten Sie mir eingangs vielleicht erzählen, wieso Sie diese Klinik überhaupt aufgesucht haben? Bis jetzt weiß ich ja nur, dass Sie seither ziemliche Probleme haben …“

      Friedas Stimme klang mitfühlend. Sie hatte von Lotte Prinz’ Leiden durch Emma erfahren und sofort telefonisch Kontakt zu der Litschauerin aufgenommen. Nachdem Dr. Weinzierl, der Chef der Ayurvedaklinik in Adang, Friedas Bitte um ein Interview und eine Besichtigung der Klinik brüsk abgelehnt und sie faktisch hinausgeschmissen hatte, waren Gespräche mit Betroffenen in den Mittelpunkt ihrer Arbeit gerückt.

      Lotte Prinz erklärte, dass ihr Freunde die Klinik empfohlen hätten.

      „Schauen Sie, ich habe schon alles probiert, was die Schulmedizin einem bei rheumatoider Arthritis verordnet. Und das sind ziemliche Hämmer, wie Sie sich vorstellen können: Rheutrop retard zum Beispiel oder Methotrexat, das die Immunabwehr unterbinden soll. Aber die Nebenwirkungen sind bei mir meist stärker gewesen als die versprochene Wirkung. Sogar eine Kältekur hab ich schon ausprobiert, aber die hat nur kurzfristig geholfen. Das Schlimme ist, dass ich immer wieder solche Schübe kriege. Dann schwellen alle Gelenke an und ich kann keinen Finger mehr rühren ohne Schmerzen.“ Sie stöhnte, als überkäme sie gerade wieder ein Schub.

      „Und dann haben Sie sich gedacht: Probier ich halt einmal was anderes. Etwas ohne diese ganzen Nebenwirkungen.“

      „Genau. Also hab ich mich in Adang für eine Kur angemeldet.“

      „Teuer?“

      „Natürlich. Fast dreitausend Euro, für gerade einmal zehn Tage. Und die Krankenkasse zahlt keinen Cent dazu! Aber mir war schon alles wurscht. Hauptsache, es hilft, hab ich mir gedacht, und mein Mann ist losgezogen und hat unsere letzten Spareinlagen abgehoben. Mein Kurtl unterstützt mich ja, wo es nur geht.“

      Frieda nickte so empathisch sie nur konnte.

      „Und dann sind Sie also auf Kur gegangen?“

      „Nein, zuerst musste ich daheim noch eine Entgiftung durchführen.“

      „Eine Entgiftung?“

      „Na ja, eine sogenannte Grundreinigung. Da gab’s eine Woche lang nichts als Reisschleim und Ghee zu futtern. Wissen Sie eh, was Ghee ist?“

      Natürlich wusste Frieda das. Als Gold des Ayurveda bezeichneten wahre Fans die durch langsames Kochen von Butter gewonnene Substanz, der man eine wundersame Wirkung nachsagte.

      „Als ich in die Klinik kam, hat Dr. Weinzierl gleich eine Pulsdiagnose durchgeführt, um meine energetischen Blockaden festzustellen. Dann hat er mir ein Loch in den Bauch gefragt, und nach einer halben Stunde stand fest, dass ich ein reinrassiger Pitta-Typ bin. Das kommt eher selten vor, hat er gemeint, die meisten sind eine Mischform. Na ja, und dann hat er mir halt meinen Ernährungs- und Behandlungsplan aufgeschrieben. Am nächsten Morgen ging es dann los mit den Therapien und Massagen.“

      Der zarte Ansatz eines Lächelns umspielte ihre Lippen.

      „Es ist ja schon witzig, was man da für Leute trifft.“

      „Nämlich?“

      „Wir waren nicht viele, nur elf Leute insgesamt. Aber irgendwie kam ich mir vor wie in einer anderen Welt. In zwei anderen Welten, genau genommen. Die einen waren so … wie soll ich sagen … so verlorene Hippies, denen du schon angesehen hast, dass sie irgendwie überdrüber sind. Die anderen waren eher betuchte Herrschaften. Geschäftsleute und Intellektuelle.“ Sie betonte Intellektuelle, als würde sie ein garstiges Wort verwenden. „Jedenfalls bin ich mir vorgekommen wie die einzige Normale. Wenn Sie wissen, was ich meine.“

      „Natürlich“, bestärkte Frieda sie und nickte kräftig. Jetzt, wo Lotte Prinz in Fahrt gekommen war, wollte sie ihren Redefluss nicht unterbrechen.

      „Zuerst hat mir die Kur auch rundum getaugt“, erklärte Lotte, „allein schon das Fasten hat meine Beschwerden gemildert, und erst recht diese Massagen mit Kräutern und Öl. Aber am dritten Tag hab ich einen Ausschlag bekommen. Erst im Gesicht und dann am ganzen Körper. Es hat höllisch gejuckt. Ich bin natürlich gleich zu Dr. Weinzierl und habe ihm gezeigt, wie ich ausschaue. Und was glauben Sie, hat er gesagt?“

      „Keine Ahnung.“

      „,Gratuliere!‘ ,hat er gesagt. ,Ich gratuliere Ihnen, offensichtlich hat der Ausleitungsprozess bereits begonnen.‘ ,Aber ich halte das nicht aus, Herr Doktor‘ ,habe ich gejammert, ,Sie müssen mir was verschreiben!‘ ,Das ist das Ama‘ ,hat er gesagt, ,die Schlacken. Die arbeiten sich jetzt heraus. Weil Sie halt so viele Medikamente geschluckt haben während der letzten Jahre. Da müssen wir jetzt einfach durch, Frau Prinz.‘ Wir ist gut, hab ich mir gedacht, aber probierst es halt noch einen Tag lang. In der Nacht hab ich kein Auge zugetan, und am nächsten Tag ist das Jucken so arg geworden, dass ich keine Massage mehr ausgehalten habe. Dabei hat die Therapeutin eh schon von sich aus die Kräuterbehandlung abgesetzt, als sie gesehen hat, wie ich ausgeschaut hab. Also bin ich wieder zum Doktor gepilgert. Diesmal hat er mir doch ein Rezept ausgestellt: Fenistil ist draufgestanden. In der Apotheke hat mich die Apothekerin gleich gefragt: ,Kommen S’ aus der Klinik?‘ ,Ja‘ ,sag ich, ‚wieso?‘ ,Na, da sind S’ nicht die Erste, die mit so einem Ausschlag zu uns kommt‘ ,sagt sie., Aber ich bezweifle, dass es Ihnen helfen wird. Probieren S’ lieber das.‘ Und sie gibt mir stattdessen ein homöopathisches Mittel, den Namen hab ich vergessen. ,Werden S’ sehen, das hilft‘ ,hat Sie mir versichert, ‚ich hab es schon vielen Klienten aus der Klinik gegeben.‘ Ich hab mich furchtbar gefreut und brav die Globuli geschluckt, aber der Juckreiz ist um keinen Deut besser geworden. Ich wollte ja wirklich da durch, das können Sie mir glauben, weil’s doch wichtig ist, wegen der Ausleitung und so. Aber am Ende waren meine Arme und Beine total zerkratzt, und wenn mich nur einer angegriffen hat, hab ich laut geschrien. Da hab ich meinen Kurtl angerufen und gesagt:, Kurtl, bitte komm und hol mich ab, sonst fahr ich noch aus der Haut.‘ Und das war keine bloße Redensart in dem Moment, das können S’ mir glauben! Ich hab so geflennt am Telefon, dass der Kurtl alles stehen und liegen gelassen hat und gleich ins Auto gestiegen ist. Wir sind dann nach St. Pölten hinunter ins Krankenhaus, und dort haben sie mich erst einmal ordentlich zusammengeschissen. Wie könne man nur so dumm sein und sich bei meinem Krankheitsbild das ganze Glumpert auf die Haut schmieren lassen, hat der junge Arzt in der Ambulanz gemeint. Das würde ja schon bei Gesunden oft allergische Reaktionen auslösen, weil unsereins diese Öle und Kräuter halt einfach nicht gewöhnt sei. Gar nicht zu reden davon, dass die Zusammensetzung von dem Zeug oft nicht geklärt sei und dass es in den Herkunftsländern keine Standards dafür gäbe, die eingehalten werden müssen. Das pure Gift halt., Aber der Dr. Weinzierl ist doch auch Arzt‘ ,hab ich mich verteidigt, ,ein Arzt wird mir doch nichts Schlechtes verschreiben!‘ Da hat der junge Mann nur die Augenbrauen nach oben gezogen und mir Cortison verschrieben. Schon nach einem Tag war der Ausschlag weg, komplett. Gott sei Dank, kann ich nur sagen. Sie können mir glauben: Ich war knapp davor, mir was anzutun!“

      Lotte Prinz hatte sich richtig in Rage geredet und musste jetzt erst einmal gehörig durchschnaufen. Vorsichtig schlürfend nahm sie einen Schluck von dem Kamillentee, den ihr Rosa gerade mit einem aufmunternden Lächeln serviert hatte.

      „Und … und haben Sie mit der Klinik noch einmal Kontakt aufgenommen?“, fragte Frieda in die Stille hinein.

      „Ja, zwei Wochen später. Weil der Kurtl gemeint hat, dass wir uns das nicht gefallen lassen dürfen. Also hab ich mich hingesetzt und dem Dr. Weinzierl einen


Скачать книгу