Im Januar trug Natasha Rot. Manfred Eisner

Im Januar trug Natasha Rot - Manfred Eisner


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begrüßt den Gast, selbstverständlich mit seinem Namen, eine auffallend hübsche junge Frau in kurzer Dienstmädchenkleidung und nimmt ihm die Garderobe ab. Sie öffnet die Zugangstür zum Salon und geleitet ihn weiter zur Empfangsdame. Natasha, in ihrem aparten, hauteng anliegenden roten Hosenanzug, der die vollbusige Silhouette vorteilhaft betont, begrüßt den Gast. „Guten Abend, Herr Doktor Allwardt. Nett, dass Sie uns wieder einmal beehren.“

      „Ich habe heute eigentlich eine Verabredung mit Ihrem Herrn Tiedemann“, erwidert der etwas kahle, endsechzigjährige Anwalt, der, offensichtlich etwas nervös geworden, seine vergoldete Brille auf der knolligen Nase zurechtrückt und überrascht ist, als Natasha ihn zu einem der Tische im nur mäßig beleuchteten Lokal führt. Auf diesem wie auch auf allen weiteren Tischen lauert eine Flasche kostbaren Champagners im Eiskübel auf den Besucher.

      „Ich weiß, Herr Doktor. Der Chef rief vor fünf Minuten an und informierte mich darüber. Er bittet Sie um Entschuldigung, er werde sich um etwa eine halbe Stunde verspäten, und instruierte mich, Ihnen diese Wartezeit so kurzweilig wie möglich zu versüßen. Darf ich Ihnen Champagner servieren lassen?“

      „Nein, danke, sehr lieb gemeint, Frau Natasha, aber ich muss noch fahren. Lieber einen schönen starken Mokka und ein Mineralwasser, wenn es sein darf.“ Jan Allwardt schaut sich im Salon um. Rund die Hälfte der Tische ist mit Pärchen besetzt, an einigen sitzen sogar mehrere Damen zwischen den Herren. Leise und gediegene Musik untermalt die typische Szenerie dieses einschlägigen Amüsierlokals der gehobenen Klasse. Zwei Paare bewegen sich eng umschlungen auf der Tanzfläche zum Rhythmus der Melodie.

      „Hallo, guten Abend! Ich heiße Svetlana und bringe Ihnen den Kaffee“, sagt die auffällig junge und gut aussehende weibliche Erscheinung, die sich weit zu dem Anwalt hinüberbeugt, sodass er gezwungenermaßen ihren wohlgeformten Busen im großzügig dekolletierten goldenen Lamee-Kleid bewundert.

      „Danke, sehr freundlich“, stammelt der Rechtsanwalt, durch diesen tiefen Einblick etwas verunsichert.

      „Darf ich Ihnen ein wenig Gesellschaft leisten?“, fragt Svetlana und nutzt die Situation rasch aus, indem sie neben ihm auf dem engen Sofa Platz nimmt. Dann legt sie lässig eine Hand zwischen seine Hosenbeine, die andere um seinen Kopf und dreht diesen langsam zu sich herum. Mit einem tiefen Blick in seine Augen schnurrt sie wie ein Kätzchen in ihrem russisch gefärbten Akzent: „Lädst du mich zu einem Schampanski ein?“

      Dr. Jan Allwardt ist von Haus aus das, was man hierzulande einen „droegen Knaken“ – einen „trockenen Knochen“ – bezeichnet, folglich ziemlich humorlos und rigide. Schon seit vielen Jahren betreut er juristisch seinen fast gleichaltrigen Mandanten Jochen Tiedemann Senior und amtiert zugleich als Justiziar für dessen Unternehmensgruppe, die Jochen Tiedemann Holding GmbH und Co. KG. Aus der anfänglichen kleinen Spedition, mit der der Unternehmensgründer, der Vater des jetzigen Seniors, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg mit einem ausrangierten US-Army-Truck seine Firma aus den Kriegsruinen emporbrachte, ist inzwischen ein beachtliches Konglomerat aus sowohl eigenen als auch Beteiligungen an weiteren Firmen entwachsen, das selbst der Justiziar nicht mehr gänzlich übersehen kann, da zudem einige davon vom benachbartem europäischen Ausland aus operieren.

      Die von ihm als enthemmt empfundenen Annäherungsversuche dieses äußerst verführerisch wirkenden weiblichen Wesens – wie er die gegenwärtige Situation mit seinem kühlen Juristenverstand analysiert – bringen ihn in eine bizarre Zwickmühle. Einerseits regen sich in ihm die erstaunlicherweise durch das von Svetlana entfachte Feuer entzündeten Reste seiner Libido, die er seit dem Tode seiner Ehefrau von fünf Jahren als gleichzeitig mit dieser für beerdigt geglaubt hat, andererseits aber betrachtet er seine jetzige Anwesenheit aus doch sehr ernstem Anlass – eine berufliche Aufgabe also, die man doch keinesfalls mit etwaigen Amüsements vermengen dürfe.

      Gerade als er angestrengt überlegt, wie er den verlockenden Avancen seiner neben ihm sitzenden Circe begegnen soll, kommt ihm die rettende Angel in Gestalt des Etablissement-Inhabers, Jochen Tiedemann Junior, zu Hilfe. „Ist schon gut, Svetlana, du kannst gehen, ich übernehme unseren Gast.“

      Wortlos erhebt sich die Angesprochene, allerdings mit deutlich verkniffener Miene.

      „Und lass mir bitte meinen Bourbon on the Rocks herbringen, ja? Danke dir. Guten Abend, sehr geehrter Herr Doktor“, wendet er sich anschließend dem Besucher zu, reicht ihm die Hand und setzt sich ihm gegenüber in einen Sessel.

      „Guten Abend, lieber Jochen. Da habt ihr mich ja mit einer verführerischen Schlange bedacht. Die wäre sicher eine Sünde wert“, entfährt es dem aus der Puste gekommenen Rechtsanwalt.

      „Hierzu fällt mir ein alter Witz ein, geschätzter Herr Doktor: Wenn Adam und Eva im Paradies Chinesen gewesen wären, was wäre passiert, als die Schlange sie mit dem verbotenen Apfel in Versuchung bringen wollte?“

      Dr. Allwardt ist ratlos. „Tut mir leid, da muss ich passen.“

      „Ganz einfach, Herr Doktor: Die Chinesen hätten den Apfel verschmäht und dafür die Schlange verspeist!“ Jochen Tiedemann Junior grinst. „Aber nun im Ernst: Was verschafft mir die Ehre?“

      Rasch verschwindet der Anflug eines Lächelns aus Allwardts Gesicht, das er sich nur höflichkeitshalber abgetrotzt hat. „Tja, ich bat um diese Unterredung auf Bitten deines Vaters, mein Junge. Er ist ziemlich besorgt und hat mich deshalb angewiesen, dieses Gespräch mit dir zu führen. Dabei erwähnte er – allerdings nur oberflächlich – den anscheinenden Versuch eines angestellten Sachbearbeiters eurer Steuerberatungskanzlei, die Tiedemann Holding etwas tiefer auszukundschaften, als es für einen solch beauftragen redlichen Dienstleister gang und gäbe ist. Unter uns gesagt, Jochen, finde ich allerdings die Tatsache äußerst unangenehm, dass besagter übereifriger Angestellter der Kanzlei Westphal inzwischen anscheinend von der Erdoberfläche verschwunden ist, was viel Staub aufgewirbelt hat, weil die Polizei jetzt nach dem Vermissten fahndet. Wenn du erlaubst, habe ich hierzu zwei Fragen: Erstens: Wie seid ihr überhaupt auf den Verdacht gegen diesen – wie heißt er noch mal, hm?“, er nimmt einen Zettel aus der Jackentasche und liest aus diesem vor: „Thomas Greve, gekommen? Und zweitens: Hast du oder hat einer deiner Leute eventuell etwas mit seinem plötzlichen Verschwinden zu tun?“

      Jochen Tiedemann nimmt einen großen Schluck aus seinem Glas Bourbon, das sein Barkeeper inzwischen an den Tisch gebracht hat. „Nun, sehr geehrter Herr Doktor, zunächst teilen Sie bitte meinem Vater mit, er brauche sich bitte keine Sorgen mehr wegen des Ausspionierungsversuchs dieses Herrn Greve zu machen. Diese Angelegenheit habe ich inzwischen persönlich und einvernehmlich mit diesem Herrn geklärt. Ja, auch ich habe danach aus den Medien etwas von seinem Verschwinden erfahren, versichere Ihnen allerdings, dass weder ich noch einer ‚meiner Leute‘ – wie soeben von Ihnen angedeutet – irgendetwas hiermit zu tun haben. Und wie wir ihm auf die Schliche gekommen sind? Nun ja, es war einer unserer Informanten, der uns darüber in Kenntnis setzte. Sie begreifen doch, Verehrter, in der heutigen Geschäftswelt ist das Wissen über so viel wie möglich ein unentbehrliches Werkzeug zum Erfolg.“

      Dr. Allwardt trinkt einen Schluck von seinem Mokka, der allerdings inzwischen kalt und bitter geworden ist. Mit angewidertem Gesichtsausdruck schickt er einen Schluck Wasser hinterher.

      „Darf ich Ihnen noch einen Kaffee bringen lassen, Herr Doktor?“

      „Nein, mein lieber Jochen, nicht nötig. Also kann ich demnach den Herrn Papa in dieser Angelegenheit beruhigen, ja?“

      „Durchaus, Herr Doktor.“

      „Nun gut. Aber ich habe noch eine eigene Bemerkung auf dem Herzen, Jochen. Wenn ich mich hier umschaue – und du weißt ja, dass ich dieses Lokal gelegentlich besuche –, konnte ich allerdings bemerken, dass mir deine Animierdamen doch sehr jung – fast wollte ich sagen zu jung – erscheinen. Bist du auch sicher, dass hier keine minderjährigen Damen am Werk sind? Ich müsste dich ernsthaft warnen, wenn dies der Fall sein sollte. Mach dich nicht unglücklich, die heutige Justiz versteht keinen Spaß, und du weißt ja, der uns besonders wohlgesinnte Richter, Herr Doktor Habekost, steht kurz vor dem Ruhestand. Niemand weiß, wer sein Nachfolger wird. Und mit unserem Oberstaatsanwalt Harmsen ist sowieso nicht zu scherzen, denn er ist ein unbestechlicher Beamter. Also hüte


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