Im Januar trug Natasha Rot. Manfred Eisner
Sie, Sascha?“
„Bin ausnahmsweise einverstanden.“
„Also nicht vollkommen überzeugt, Breiholz?“, hakt Harmsen nach.
„Im Prinzip ist es ja unser Fall, nicht wahr? Wir sehen es gar nicht gern, wenn sich das LKA so mir nichts, dir nichts in unsere Ermittlungen einmischt. Aber Hauptkommissarin Masal ist schon okay, Herr Oberstaatsanwalt, wird schon schiefgehen!“
„Also gut, ich rufe sofort bei KOR Heidenreich an.“
„Entschuldigen Sie, Herr Oberstaatsanwalt“, wirft Steffi ein, „Nili hat mir erzählt, dass sie Anfang des Jahres vorübergehend in die 22 versetzt worden ist, weil es dort besonders klafft!“
Hinrich Harmsen verkneift sich gerade noch eine ärgerliche Bemerkung. „So, also zu KOR Friedrichs. Mm, dann rufe ich eben dort an. Danke für den Hinweis, das ist mir wohl entgangen.“
Nili stöbert auf ihrem PC im Online-Portal des Handelsregisters Schleswig-Holstein und sucht nach den Namen der größten und bedeutendsten Unternehmensgruppen im Lande, vorwiegend jene, die mit ihrem Hauptsitz in der Landeshauptstadt registriert sind.
„Wozu willst du das wissen?“, fragt Kollegin Anne Engel, als sie ihr über die Schulter sieht und ihr den frisch gefüllten Kaffeebecher hinstellt.
„Ach, Anne, ich bin da in etwas Eigenartiges verwickelt worden und wollte mich nur mal ein wenig informieren.“ Um sicherzugehen, wählt sie die Telefonnummer des Handelsregisters im Schloss Gottorf in Schleswig. Nach längerer Hin-und-her-Fragerei landet sie schließlich bei einer Frau Irmgard Walter. Diese gibt ihr die gewünschten Informationen und führt sie durch den Datendschungel, sodass sie am Ende mit einer Liste von zehn möglichen Kandidaten dasteht. Sie kopiert die Liste und speichert sie auf ihrem Laptop. Dann greift sie zur nächsten Akte vom Stapel der unerledigten Fälle. Ein krasser Fall von Kreditkartenbetrug. Da die Sachlage eindeutig ist und die der Polizei bestens bekannten Täter zweifelsfrei durch Aufnahmen der Videokamera am Geldautomaten der Holsteinischen Bank erkannt wurden und diese auch geständig sind, geht die Akte zur weiteren Bearbeitung und Erhebung der Anklage an die Staatsanwaltschaft. „Wenigstens ein Erfolgserlebnis!“, stöhnt Nili. „Mich ärgern immer noch die gewissenlosen Täter mit ihrem miesen Enkeltrick. Ich würde liebend gern mal so ’ner Type für fünf Minuten im Dunkeln begegnen!“
„Solche Rachegelüste hätte ich bei dir gar nicht vermutet!“, kontert Anne.
„Hast ja recht, aber allein bei dem Gedanken geht einem doch sozusagen das Messer in der Tasche auf, oder?“
„Mensch, Nili, denk doch nur auf die ominösen Kaffeefahrten, da geht es den ahnungslosen Rentnern auch mies, wenn sie zunächst mit dem Versprechen auf ‚den Hauptgewinn‘ geködert und dann mit dem Kauf von nutzlosem Tand geprellt werden. Ich hab hier gerade wieder so einen Fall. Aber diesmal kaufen wir uns die Typen. Wir haben nämlich einen plietschen Teilnehmer, der Anzeige erstattet hat und auch als Zeuge auftritt. Und taugliche Beweise haben wir ebenfalls, denn er hat das Ganze mit seiner versteckten Videokamera aufgezeichnet. Der Inhaber des Busunternehmens und der Herr Verkaufsleiter werden vor Gericht ganz schön schwitzen!“
Ohne an die Tür zu klopfen, stürmt Dezernatsleiter Hajo Friedrichs ins Büro. Beide Damen sehen überrascht auf, denn ein solcher Besuch ist eher selten. „Guten Tag, die Damen!“ Friedrichs erscheint etwas atemlos und gestresst.
„Guten Tag, Herr Kriminaloberrat.“
„Frau Masal, der Herr Oberstaatsanwalt Harmsen hat mich soeben angerufen und darum gebeten, Sie möchten zwecks einer Sonderaufgabe für einige Tage der Bezirkskriminalinspektion in der Blumenstraße beistehen. Ich bin naturgemäß von dieser Maßnahme keineswegs begeistert, denn Sie haben sich hier in den paar Tagen schon gut eingearbeitet und, wie ich sehen kann, ist der Aktenstapel erfreulicherweise etwas kleiner geworden. Ich würde es also sehr begrüßen, wenn Sie so rasch wie möglich wieder an diesen Schreibtisch zurückkehren könnten. Melden Sie sich bitte gleich morgen früh bei Herrn Kriminalrat Harald Sierck in der Blumenstraße. Schönen Tag noch!“
„Hat man die Familie Greve bereits informiert?“, fragt Nili die Besprechungsrunde mit den Kriminaloberkommissaren Steffi Hink und Sascha Breiholz im Amtszimmer von Kriminalrat Harald Sierck.
„Bisher nicht, Frau Masal. Wir erhielten ja erst gestern am späten Nachmittag die letzte Bestätigung über die Identität des Toten, übrigens anhand der von Ihnen übergebenen Haarbürste. Nochmals besten Dank dafür!“
„Der arme Thomas.“ Nili seufzt. „Irgendein Hinweis auf den Tatort oder das Motiv?“
„Negativ. Fällt dir etwas dazu ein?“, fragt Sascha.
Nili sinniert. „Nun ja, es steht fest, dass er bei der Silvesterfeier in der Halle 400 anwesend war. Das beweist der Ticketabriss. Irgendjemand verabreichte ihm dort die K. O.-Tropfen und er muss danach irgendwie aus der Halle verschleppt worden sein. Da gemäß Obduktionsbericht der Leichnam keinerlei Spuren von Misshandlung aufweist“, sie deutet auf die Akte auf dem Besprechungstisch, die man ihr anfänglich zur Durchsicht gegeben hatte, „muss man Thomas unmittelbar zur Tötungsstelle geführt haben. Wir müssten versuchen, Zeugen der Veranstaltung zu finden, um sie zu befragen. Irgendjemand muss ihn ja dort beim Essen, Tanzen oder beim Verlassen des Lokals gesehen haben. Der Tatort kann – schon aus Zeitgründen – nicht allzu weit vom Leichenfundort entfernt gewesen sein.“
„Da bringst du mich gerade auf eine Idee“, sagt Steffi und öffnet ihren Laptop. „Ich habe mir die Fotos der Silvesterfete, die ich von Anja Sieberth erhalten habe, noch nicht genauer angesehen. Ach so, Chef, dabei erinnere ich mich an ein Versprechen, das ich Anja als Gegenleistung für die Fotos geben musste.“
„Und das wäre?“, fragt Sierck. „Nun ja, dass sie von mir als Erste irgendwelche Neuigkeiten über den Fall erfährt.“
„Zeigen Sie uns erst einmal die Bilder, dann werden wir ja sehen!“
Eine nach der anderen erscheinen die Aufnahmen, die der Fotograf Andreas Maler auf der Silvesterfeier geschossen hat, auf dem Bildschirm. „Halt! Noch mal zurück, das letzte Foto!“, ruft Nili. „Der dort, an der Bar, der sich gerade umdreht. Das ist Thomas!“
„Bist du sicher?“, fragt Sascha.
„Hundertpro!“
„Mach das Bild mal größer!“
„Sieh mal einer an, das könnte vielleicht der Ort sein, an dem man ihm das Zeug ins Glas geschüttet hat!“ Der Kriminalrat kommt auf Touren. „Gleich am Montag in Erfahrung bringen, wer der Barmann da auf dem Foto ist und ob dieser was bemerkt haben könnte! Vielleicht führt uns das irgendwie zum Tatort.“
„Aber immer noch nicht zum Motiv, oder?“, bremst Sascha die Begeisterung seines Chefs.
„Auch da könnten wir jetzt vielleicht etwas weiterkommen“, meint Nili, „da wir ziemlich bestimmt davon ausgehen können, dass der oder die Täter es zweifelsohne und ganz gezielt auf Thomas Greve abgesehen haben. War es Rache? Hat Thomas etwas gewusst oder entdeckt? Vielleicht sogar versucht, jemanden mit diesem Wissen zu erpressen? Immerhin arbeitete er in einer Steuerberaterkanzlei, da könnte er ja an sensible Informationen gelangt sein!“
„Siehe da, kaum eine Woche lang im Wirtschaftsdezernat, und schon hat unsere Nili frisches Blut geleckt!“, witzelt Sascha.
„Lassen Sie’s mal gut sein, Breiholz! Frau Masal liegt mit ihrer Vermutung vielleicht gar nicht so weit weg von der ‚causam mortis‘. Greves Hinrichtung erweckt jedenfalls den Anschein einer gezielten Tat. Man wollte ihn und sein Wissen – darauf deutet auch der Einbruch in seiner Wohnung – offensichtlich aus der Welt schaffen. Und das erhebt die Frage: Was war es genau? Buchstäblich darauf müssen wir uns in den nächsten Tagen intensiv konzentrieren, Leute!“
„Da Sie gerade die Wohnung erwähnen, Herr Kriminalrat, ich würde mich dort gern noch einmal umsehen.“
„Was willst du denn da noch finden, Nili? Die KTU hat doch alles genauestens unter die Lupe