Im Januar trug Natasha Rot. Manfred Eisner

Im Januar trug Natasha Rot - Manfred Eisner


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Familie hatten nur sehr wenig Kleidung aus Oberschlesien mitgebracht, denn während eines Fliegerangriffs der Russen war einer ihrer Treckwagen getroffen worden und verloren gegangen. Er besaß deswegen nur die Kleidung, die er gerade trug. Eines Tages erschien Jupp und schenkte ihm Hemd, Stiefel, eine Hose und eine warme Jacke. Weiß der Teufel, woher er sie hatte, jedenfalls war Opa ihm sehr dankbar. Jupp bemerkte nur, wie eben Nili: ‚Du sollst sie mit Gesundheit tragen.‘ Etwas später – Opa war Sattler, fand rasch Arbeit und verdiente sein Brot im benachbarten Dorf – revanchierte er sich bei Jupp und schenkte ihm neue Kleidung. Als Jupp ihm um den Hals fiel und sich bedankte, erinnerte sich Opa an damals und wiederholte seinen Satz: ‚Du sollst sie mit Gesundheit tragen.‘ Jupps Antwort war eben: ‚Und du sollst auch gesund und sehr lange leben, um es mit mir zu genießen!‘“

      Als Georgios ihnen die Karaffe mit dem köstlichen roten Kamares, den Korb mit dem gegrilltem Skordropsomo – Knobibrot – und ein Schälchen Tsatsiki an den Tisch bringt, füllt Waldi die Gläser und sie prosten sich mit dem hier angebrachten „Yamas“ zu. „Was muss heute unbedingt weg, Georgios?“, fragt Melanie mit einem Lächeln.

      Der antwortet: „Meine Frau Marita kann für euch unsere spezielle Piatella Syrtaki vorbereiten.“

      „Erzähl, Georgios, was kommt da alles auf uns zu?“

      „Also, da wären Lammkoteletts, gebratene Putenleber, Suvlaki, knuspriges Gyros und Souzuki, dazu Tomatenreis, Tsatsiki und Bauernsalat.“

      „Mann, das ist ja viel zu üppig“, stöhnt Nili.

      „Ich mach euch nur zwei Portionen, die teilt ihr drei euch dann, endaksie?“

      „Warum müsst ihr Griechen immer im Taxi herumfahren?“, kolportiert Waldi grinsend.

      „Dummkopf!“, witzelt Nili. „Das heißt ‚in Ordnung‘ auf Griechisch. Stimmt’s, Georgios?“

      „Ne!“, antwortet dieser wieder grinsend.

      „Wieso nicht?“, fragt Nili pikiert.

      „Weil auf Griechisch ‚ne‘ wiederum ‚ja‘ bedeutet!“, triumphiert Waldi.

      Während sie sich die schmackhaften Zutaten des Haustellers schmecken lassen, fragt Waldi: „Also nun mal im Ernst. Wo drückt der Schuh, Melanie?“

      Abwechselnd erzählen Melanie und Nili von Thomas Greve, seinem Melanie gegenüber geäußerten Verdacht – allerdings ohne Erwähnung des betroffenen Firmennamens – und seinem plötzlichen und eigenartigen Verschwinden. Waldi hört geduldig zu. Dann folgt eine kurze Stille.

      Nachdem sie aufgegessen haben, fragt Waldi plötzlich: „Melanie, weißt du, wo dieser Thomas wohnt?“

      „Also nicht auswendig, aber wir haben natürlich seine Anschrift im Büro.“

      „Was haltet ihr davon, wenn wir mal hinfahren, um zu sehen, ob wir Näheres erfahren?“

      Nachdem Waldi die Rechnung beglichen hat, steigen sie in seinen Passat und fahren zuerst in die Steuerkanzlei. Melanie kommt bald mit der Adresse wieder. „Es ist in der Hofstraße, in Gaarden Süd. Er hat eine Wohnung im ersten Stock.“

      Obwohl der Stadtteil nicht den besten Ruf genießt, ist es in der Hofstraße auffallend ruhig, als sie vor dem hellen Klinkergebäude ankommen. Waldi findet eine Parklücke und sie steigen aus. An der Klingeltafel werden sie sofort fündig: „T. Greve“. Niemand reagiert auf das wiederholte Läuten. Sie haben Glück, weil gerade eine ältere Frau mit ihrem kleinen Pudel aus der Haustür kommt. Sie blickt das Trio misstrauisch an, als sie das Gebäude betreten wollen, ist aber beruhigt, als Nili ihren Ausweis zeigt. „Zu wem wollen Sie?“, fragt sie neugierig.

      „Ist alles in Ordnung, liebe Frau, gehen Sie nur ruhig spazieren. Guten Abend!“, entgegnet Waldi kurz angebunden.

      Sie gehen die Treppe hinauf in den ersten Stock. Nili, die als Erste da ist, stutzt, weil sie, gerade als sie an die Wohnungstür klopfen will, bemerkt, dass diese nur angelehnt ist. Mit fragendem Blick wendet sie sich an Waldi, der bereits das Einbruchsdezernat auf seinem Handy herbeiruft. „Warten oder hineingehen?“, fragt sie.

      „Besser nicht hineingehen. Wir warten lieber, bis die KTU die Spuren gesichert hat.“

      Es dauert nicht lange, bis zwei Polizeiwagen eintreffen. „Hallo, herzlichen Glückwunsch zum Vize-Dezernatsleiter, geschätzter Herr Erster Kriminalhauptkommissar Mohr!“ Oberkommissar Richard Lattermann vom Einbruchsdezernat in der Blumenstraße begrüßt Waldi.

      Dieser bedankt sich, stellt Nili und Melanie vor und erklärt dann nur kurz, weshalb sie hier sind. „Hat sich ja schnell rumgesprochen, das von meiner Beförderung“, sinniert er.

      Lindemann grient. „Wir sind ja die Polizei, wir wissen alles!“

      Es dauert eine Weile, bis die KTU-Beamtin ihnen signalisiert, dass sie eintreten dürfen. Sie reicht ihnen blaue Plastiküberzüge für die Schuhe und Handschuhe. Thomas ist in der Zweizimmerwohnung nicht zu sehen, aber alles ist durchwühlt worden, sämtlich Schränke, die Kommode und der Küchenschrank sind geöffnet und der Inhalt liegt verstreut auf dem Fußboden. Daunenbettdecke, Kissen und Matratze wurden aufgeschlitzt. „Die Burschen müssen einen Schlüssel gehabt haben oder Greve hat ihnen selbst die Tür geöffnet. Von ihm aber oder von einem Kampf keine Spur. Danach haben sie jedoch ganze Arbeit geleistet. Die Festplatte des PCs neben dem Schreibtisch haben sie offensichtlich ausgebaut und mitgehen lassen. Was mögen die Einbrecher wohl noch gesucht haben?“, fragt OK Lattermann. „Reichtümer waren hier wohl kaum zu finden!“

      „Wissen wir leider nicht, wir waren nur wegen der unentschuldigten Abwesenheit meines Mitarbeiters Thomas beunruhigt“, erklärt Melanie, „und meine beiden Freunde waren so nett, mich hierher zu begleiten, um nachzusehen.“

      „Ist er das?“, fragt Lattermann und zeigt auf ein Familienfoto, das in einem Rahmen mit zertrümmertem Glas auf dem Boden liegt.

      „Ja“, bestätigt Nili, „das ist Thomas Greve mit seinen Eltern und seiner Schwester Swantje. Ich kenne die Familie seit meiner Kindheit.“

      „Alter?“

      „Geboren 1972, genau wie ich, wir waren in derselben Schulklasse.“

      „Na gut, wir geben zunächst eine interne Vermisstenfahndung aus. Wenn das nichts bringt, können wir immer noch an die Öffentlichkeit gehen. Ihr geht jetzt am besten schön nach Hause, wir versiegeln erst einmal den Tatort.“

      Sie verabschieden sich von OK Lattermann und sitzen einige Minuten danach wieder in Waldis Passat.

      „Was mag Thomas passiert sein?“, fragt Melanie, nun ernsthaft besorgt.

      „Könnte irgendjemand in eurer Kanzlei etwas von seinem Verdacht mitbekommen haben?“, fragt Nili.

      „Wie meinst du das?“, will Waldi wissen.

      „Ich glaube, wir müssen Waldi ins Vertrauen ziehen, Melanie“, meint Nili. „Natürlich nur ganz privat. Offiziell sollten wir ja als Beamte von der ganzen Sache gar nichts erfahren. Aber es ist allein deine Entscheidung.“

      „Wenn mein Vater das erfährt, dann reißt er mir die Ohren ab!“

      „Er muss es ja nicht erfahren. Du lässt bei deiner Erzählung ihm gegenüber Waldi komplett aus dem Spiel, okay? Dass du es mit mir besprechen wolltest, weiß er ja. Und das hier haben nur wir beide eben entdeckt und mussten die Polizei wegen des Einbruchs benachrichtigen.“

      Melanie überlegt, dann sagt sie: „Also gut. Aber ihr beiden müsst mir heiligst versprechen, dass diese Geschichte streng unter uns bleibt und keineswegs zu irgendwelchen Polizeiaktionen führt!“

      Nachdem Nili und Waldi Melanie ihr Schweigen zugesichert haben, erläutert Melanie ihnen den Sachverhalt etwas eingehender.

      „Es handelt sich also um einen größeren Mandanten der Kanzlei, der mehrere Unternehmen im In- und Ausland besitzt, die auch geschäftlich miteinander vernetzt sind und dabei irgendwie mauscheln?“, argwöhnt Nili.

      „Ja,


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