Am Zauberfluss. Ulrich Meyer-Doerpinghaus
Arbeitsgemeinschaft, sondern sie leben auch zusammen, wie Sulpiz bezeugt: »Wir lebten zu jener Zeit eigentlich nur mit Schlegel und seiner Frau, wir sahen sie alle Tage und oft mehr als einmal.«31 Während Bertram und die Brüder Boisserée rastlos den Erwerb der Bilder vorantreiben, arbeitet Schlegel am Konzept der Sammlung. Er besucht die wichtigsten privaten Kunstsammler der Stadt, wie den früheren Rektor der Universität, Ferdinand Franz Wallraf, oder den Wein- und Tabakhändler Jakob Johann Nepomuk Lyversberg und vertieft im Gespräch sein kunstgeschichtliches Wissen. Seine Erkenntnisse vermittelt er anschließend seinen drei Freunden, denen er, wie schon in Paris, auch hier Privatvorlesungen erteilt. Dabei ermahnt er sie, die Bilder nicht einfach zu horten, sondern der Sammlungstätigkeit wissenschaftliche Prinzipien zugrunde zu legen.
Die Schlegels wohnten schon einige Monate am Rhein, als sich Friedrich erneut auf Reisen begab. Er wollte seinen älteren Bruder August Wilhelm besuchen, der mit der Schriftstellerin Germaine de Staël auf Schloss Coppet am Genfer See lebte. Schlegels Wanderung führte ihn dabei auch durch das Rheintal zwischen Koblenz und Bingen. Die Eindrücke, die er hier empfing, inspirierten ihn zu einem Text über das Rheintal, dessen Wirkung nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Man kann diesen als eine Art Ursprungsmanifest der Rheinromantik lesen, auch wenn der Begriff selbst darin noch nicht vorkommt. Deshalb erscheint es lohnenswert, Schlegels Gedanken an dieser Stelle genauer zu folgen: »Bei dem freundlichen Bonn fängt die eigentlich schöne Rheingegend an; eine reich geschmückte Flur, die sich wie eine große Schlucht zwischen Hügeln und Bergen eine Tagereise lang hinaufzieht bis an den Einfluß der Mosel bei Koblenz; von da bis St. Goar und Bingen wird das Tal immer enger, die Felsen schroffer, und die Gegend wilder.«
In Kenntnis der Ressentiments, die Georg Forster und andere Deutsche dem Rheintal bis dahin entgegengebracht hatten, setzt Schlegel, der die Provokation liebt, einen deutlichen Kontrapunkt: »Und hier ist der Rhein am schönsten.« Mit dem Begriff des »Schönen« steht Schlegel bereits mitten in der ästhetischen Debatte seiner Zeit, der gelehrten Diskussion darüber, was eigentlich schön sei. Entsprechend schärft er seine Position: »Für mich sind nur die Gegenden schön, welche man gewöhnlich rauh und wild nennt; denn nur diese sind erhaben, nur erhabene Gegenden können schön sein, nur diese erregen den Gedanken der Natur.«32 Warum ist das so? Schlegel antwortet: weil aus einer solchen Landschaft etwas spreche, das über ihren äußeren Schein hinausweise, nämlich »das Eine und Unbegreifliche« oder, wenn man so will, »das Göttliche in der Natur«.33 Noch mehr aber vermag die Natur den Menschen zu ergreifen, wenn die Kultur hinzutritt. Und das ist beim Rheintal der Fall: »Nichts aber vermag den Eindruck so zu verschönern und zu verstärken, als die Spuren menschlicher Kühnheit an den Ruinen der Natur, kühne Burgen auf wilden Felsen.« Beides zusammen, die Natur und die Kultur, machen das Rheintal in Schlegels Wahrnehmung zu einem Kunstwerk: »Überall belebt durch die geschäftigen Ufer, immer neu durch die Windungen des Stroms, und bedeutend verziert durch die kühnen, am Abhange hervorragenden Bruchstücke alter Burgen, scheint diese Gegend mehr ein in sich geschlossenes Gemälde und überlegtes Kunstwerk eines bildenden Geistes.«
Im Angesicht der Natur hält der Wanderer am Rhein ähnlich inne wie der Betrachter eines mittelalterlichen Gemäldes im Musée Napoléon. Und kaum hat er das getan, da verwandelt sich das Gemälde schon in ein Gedicht: »Der alte vaterländische Strom erscheint uns nun wie ein mächtiger Strom naturverkündender Dichtkunst.«34 Hier spielt Schlegel an auf sein romantisches Ideal der »progressiven Universalpoesie«, die »Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen« kann.35
Dieses Ideal sieht Schlegel sich direkt vor seinen Augen entfalten: Das Rheintal changiert von der Natur zur Kunst, vom Gemälde zum Gedicht – das romantische Ideal entfaltet sich als Wirklichkeit vor den Sinnen des Wanderers. Das berührt ihn so sehr, dass er angesichts dieser »Quelle der Begeisterung« ausruft: »Ich wähle dich, o Rhein!« Diese Worte stehen zu Beginn der Verse, mit denen Schlegel seine Rheinbegeisterung auf den Punkt bringt: »Ich wähle dich, o Rhein, der du mit Sausen / Hinwogst durch enger Felsen hohe Schranken / Wo Burgen hoch am Abhang auf sich ranken / Ans Herz den Wandrer greift ein ahnend Grausen.«36
Was begründet das »ahnend Grausen«? Es ist die Ahnung vom Verlust einer besseren, größeren Vergangenheit. An dieser Stelle schlägt Schlegel als erster den Ton einer patriotischen Sichtweise des Rheins an – ein Topos, der später von seinen Landsleuten noch oft aufgegriffen und variiert werden sollte. Schlegel begegnet am Rhein einer großen deutschen Vergangenheit, was ihm die Gegenwart um so geringer erscheinen lässt. Diese hat für ihn nur noch den »Charakter der Nullität«, er konstatiert eine »gänzliche Unfähigkeit zur Religion, […] die absolute Erstorbenheit der höhern Organe. Tiefer kann der Mensch nun nicht sinken; das ist nicht möglich.«37 Das von den Franzosen besetzte Rheinland aber erinnert Schlegel an das Mittelalter: »Nirgends werden die Erinnerungen an das, was die Deutschen einst waren, und was sie sein könnten, so wach, als am Rheine.«38
Der Philosoph vermochte aber auch in Köln nicht Wurzeln zu schlagen. Es fehlte ihm an geistiger Anregung. Da es in der Stadt keine Gelehrtenzirkel und Salons gab, lernte Schlegel nur wenige anregende Gesprächspartner kennen. Dorothea konnte die Situation ihres Mannes nicht mit ansehen. Sie klagte über »die ängstliche Ungewißheit seiner Lage, die Einsamkeit und die große Abgestorbenheit zu Kölln«, die »seinem Geiste und seinem Gemüthe drückend, und seinen Werken schädlich werden müßen«.39 Es kam hinzu, dass auch hier Schlegels berufliche Entwicklung zu einem holprigen Unterfangen geriet. Anstelle der Universität, die die Franzosen im Jahr 1798 geschlossen hatten, wurde eine »Zentralschule« eingerichtet, an der Schlegel Literaturgeschichte lehrte. Die Schule fiel aber bald weiteren Reformen zum Opfer. Schlegel überbrückte die Zeit bis zur Einrichtung einer neuen höheren Schule mit Privatvorlesungen. Als ihm aber an dieser Einrichtung ein Gehalt angeboten wurde, das er als unangemessen empfand, schlug er die bereits erfolgte Ernennung zum Lehrer wieder aus, um sich nur noch den Privatvorlesungen zu widmen. Fortan sahen sich die Schlegels nach einem neuen Wohnsitz um. Es war der Bruder August Wilhelm, der ihnen behilflich wurde: Er vermittelte seinem Bruder eine Stelle als Sekretär am kaiserlichen Hof in Wien. Damit war Friedrich endlich im Besitz der lang ersehnten festen Anstellung. Nachdem die Schlegels in Köln noch zum katholischen Glauben konvertiert waren, zogen sie im Jahr 1808 nach Wien.
Bertram und die Brüder Boisserée bedauerten den Weggang der Schlegels zutiefst. Die Gemeinschaft hatte ihren Mittelpunkt verloren, die schöpferische Atmosphäre, die den Freundeskreis verbunden hatte, war unwiederbringlich. Es kam hinzu, dass die drei Kaufmannssöhne zur Kenntnis nehmen mussten, dass es im fremd besetzten Köln an einem öffentlichen Publikum fehlte, das ihrer Sammlung die gewünschte Beachtung geschenkt hätte. So zogen sie im Jahr 1810 mit ihren inzwischen über 200 Gemälden nach Heidelberg weiter, einem der wichtigsten romantischen Zentren jener Zeit. Bertram und den Boisserée gelang es hier, die Gemälde, die zuvor stets in Privatwohnungen aufbewahrt worden waren, erstmals öffentlich auszustellen. Dies war, wenn man die Gründung entsprechender Häuser in Berlin und München mit bedenkt, die Geburt des öffentlichen Museums in Deutschland. Im Jahr 1827, nach einem Stuttgarter Intermezzo, verkauften Bertram und die Boisserées die Sammlung an den bayerischen König Ludwig I., der sie in den Kernbestand der »Alten Pinakothek« einbrachte.
In dieser Zeit verfiel Sulpiz Boisserée noch auf ein weiteres Vorhaben: den Weiterbau und die Vollendung des Kölner Doms. Damit wagte er sich zweifellos an eine Herkulesaufgabe. Es war kein Geringerer als Goethe, der von der »Unausführbarkeit eines so ungeheuren Unternehmens« sprach und wie eine Kassandra warnte, man sehe »das Mährchen vom Thurm zu Babel an den Ufern des Rheins verwirklicht«.40 Davon ließ sich Boisserée aber nicht schrecken. Inspiration für seine Bemühungen lieh er sich von seinem Lehrmeister Schlegel, der den Weiterbau des Kölner Doms nachdrücklich gefordert hatte. Und so arbeitete Boisserée unermüdlich an dem Projekt, seitdem Schlegel aus Köln fortgezogen war. Er spürte alte Baupläne in Archiven und Bibliotheken auf und beschäftigte mehrere Zeichner, Restauratoren und Kupferstecher, mit denen er die Planungen zum Weiterbau des Doms vorantrieb. Zugleich bemühte sich Boisserée, die preußischen Behörden von seinem Vorhaben zu überzeugen und Mittel von privaten Geldgebern einzuwerben. Ein wichtiger Fortschritt war erreicht, als es ihm gelang, den preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm von der Notwendigkeit des Weiterbaus zu überzeugen – der junge Mann soll daraufhin drei Nächte nicht geschlafen haben. Als dieser im Jahr