Geschichten eines Geistreisenden. Axel Kruse
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Geschichten eines Geistreisenden
oder
Neues aus Joaquins Bar
© 2015 Axel Kruse
© 2016 Begedia Verlag
Umschlaggestaltung: Harald Giersche
Lektorat und ebook-Bearbeitung: Harald Giersche
ISBN: 978-3-95777-074-5 (epub)
Für meine Mutter,
bleib so, wie Du bist!
Vorwort
Axel Kruse hat unlängst in Stockholm den Literaturnobelpreis entgegen genommen. Sie wissen das nicht, haben noch nie davon gehört? Dann befinden wir uns anscheinend nicht in derselben Zeitebene. Macht ja nichts! Vielleicht begegnen wir uns irgendwo in einer anderen Dimension, Parallelwelt oder dergleichen. Darauf muss man bei Axel Kruse immer gefasst sein. Mit seinem Roman »Neues aus Joaquins Bar« erweist er sich einmal mehr als Meister der Zeitreisen und Zeitsprünge. Wie in seinem preisgekrönten Werk »Seitwärts in die Zeit« wird man auch in seinem neuen Buch in eine ganz eigene Welt entführt. Nach einem bodenständigen Anfang durchdringt zunehmend Science Fiction den Handlungsablauf. Dabei werden seine Protagonisten immer wieder mit ungewöhnlichen, ja skurrilen Situationen konfrontiert. Rätselhaft entfaltet sich die Handlung und es werden jede Menge Fragen aufgeworfen auf die es keine plausiblen Antworten zu geben scheint. Die Story nimmt ungewöhnliche Wendungen, was für eine Vielzahl von Spannungselementen sorgt. Und dazwischen immer wieder die Bar mit Joaquins abstrusen Verschwörungstheorien.
Im Plot verstecken sich autobiographische Erlebnisse des Autors. Ob Daten, Orte des Geschehens, Personen oder Handlungsweisen, es schimmert an vielen Stellen latent etwas Axel Kruse durch die Zeilen. Dabei lernt man unausweichlich die Gegend um Essen und Kettwig näher kennen. Aber man erahnt auch dessen Schulalltag bei dem die meisten der Leser sich sicherlich an ihre eigene Schulzeit erinnern werden – Stichwort Hausaufgaben.
Darüber hinaus werden aber auch essentielle Fragen unserer Zeit behandelt, wobei der Autor zu den Themen Pazifismus, Nationalsozialismus, Antifaschismus, Ökologie und auch zum aktuellen Problem der Situation von Flüchtlingen Stellung bezieht.
Alles in allem bietet »Neues aus Joaquins Bar« ein unterhaltsames und zum Nachdenken anregendes Lesevergnügen, welches den Horizont erweitert und die Gedanken auf eine Reise ins Unbekannte schickt.
Dr. Sven Edmund Reiter, Güstrow
Wiedersehen
Alle zwei Jahre findet bei uns in Essen-Kettwig an unserer alten Schule, dem Theodor-Heuss-Gymnasium, am ersten Samstag im September ein Ehemaligentreffen statt. Es ist regelmäßig schlecht besucht, will meinen, aus meinem Jahrgang, der seinerzeit sicherlich so an die hundert Leute zählte, sind nur fünf bis zehn anwesend. Schlechte Quote also, trotzdem versuche ich immer dabei zu sein. Warum? Ich weiß es selber nicht so genau, einen wirklich engen Kontakt zu meinen Mitschülern hatte ich weder damals noch heute, aber irgendwie zieht es mich doch hin.
So auch dieses Mal. Die Anzahl der anwesenden damaligen Mitstreiter war auch dieses Jahr überschaubar, aber ich hatte Glück, ein alter Kumpel, den ich bereits seit mehr als zwanzig Jahren aus den Augen verloren hatte, hatte den Weg nach Kettwig gefunden. Wir setzten uns etwas abseits und klönten rum, später dann, als der amtierende Direktor gegen zweiundzwanzig Uhr einfach das Licht ausschaltete, um die Gäste hinauszukomplimentieren und die Schule endlich abschließen zu können, schlug ich vor, den Abend in Joaquins Bar ausklingen zu lassen.
»Joaquins Bar?«, fragte er irritiert. »Kenne ich gar nicht, ist die neu in Kettwig?«
Ich kam mir grandios in der Rolle des allwissenden Gastgebers vor. »Nein, nicht neu, aber ein Insidertipp, du wirst erstaunt sein.« So folgte er meiner Führung. Unser Weg führte uns von unserer alten Schule durch Kettwigs wunderschöne Altstadt in Richtung des Marktplatzes und der Kirche, die wir zur Hälfte umrundeten und uns noch einen Blick vom Aussichtspunkt über den Kettwiger Stausee gönnten, bevor wir die Kirchtreppe hinabstiegen und dann ... aber das wissen Sie ja, mehr darf ich nicht verraten, Joaquin liebt Diskretion und handverlesene Gäste.
Obwohl Joaquin ja recht konservativ in seinen Werten ist, hat er eine Neuerung eingeführt. Die Tür zum Gastraum hat jetzt einen automatischen Schließmechanismus. Allerdings ist dies kein gewöhnlicher, sondern ein althergebrachter. Er besteht aus einem etwa schädelgroßen Stein, und einem simplen Seilsystem, das über Rollen an der Tür zur Wand geführt wird. Sobald jemand die Tür öffnet, wird der Stein nach oben gezogen und sobald die Tür losgelassen wird, zieht die Schwerkraft den Stein wieder nach unten und die Tür wird geschlossen. An sich nichts Ungewöhnliches, in alten Zeiten muss so ein Mechanismus weit verbreitet gewesen sein. Neu war hier jedoch, dass der Stein, wie bereits erwähnt etwa schädelgroß, in grün angestrichen war. Er war außerdem mit Augen versehen worden. Sah man nicht so genau hin, dann glich er verblüffend dem Kopf eines dieser Rosswell-Aliens, Sie wissen schon, was ich meine.
Der Gastraum war vollkommen leer. Thomas, mein Freund, blickte sich um und sah mich an. Sein Gesichtsausdruck sprach Bände. Ich reagierte sofort. »Wir sind etwas früh, hier geht es erst zu später Stunde richtig los, warte es ab.«
Er nickte. Noch schien ich in seinen Augen vertrauenswürdig zu sein. Wir setzten uns an die Bar, warteten ein wenig und schon stürzte Joaquin herein. Er hatte sich hinten im Lagerraum aufgehalten. Als er mich erblickte, hellten sich seine Gesichtszüge sofort auf. Er brauchte nicht lange, dann standen zwei Bier vor uns auf dem Tresen.
»Du hast einen neuen Türschließer«, wagte ich anzumerken. Neutral genug, so dass er sich nicht beleidigt fühlen konnte.
Er nickte eifrig. »Ja, kolossale Erwerbung meinerseits, nicht wahr? So wissen sie immer, wo sie einkehren können!«
Irritiert blickte Thomas ihn an. »Wer?«, fragte er und gab Joaquin damit sein Stichwort.
»Na, die Aliens natürlich. Ist schon schwer für sie, hier bei uns eine adäquate Kneipe zu finden.« Mit diesen Worten eilte er hinfort, um gerade neu angekommene Gäste zu begrüßen.
Thomas sah mich völlig perplex an, der Abend versprach interessant zu werden.
»Nun erzähl mal, wie es dir so ergangen ist«, fragte ich ihn, hatte doch fast ausschließlich ich bislang unsere Unterhaltung bestritten, er hatte noch so gut wie gar nichts erzählt.
Er nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas, sah noch einmal hinein und sagte dann: »Willst du das wirklich wissen?« Theatralisch, ja, ich weiß, aber genauso hat es sich zugetragen.
Ich nickte. »Was hast du denn nach der Schulzeit gemacht? Ich meine, nachdem wir uns aus den Augen verloren hatten. Dass du direkt im Anschluss Maschinenbau studiert hast, weiß ich ja noch.« Irgendwie hatten damals alle, na ja, recht viele aus meinem Bekanntenkreis, Maschinenbau studiert. Ging mir vollkommen ab, aber solche Menschen muss es ja auch geben.
»Bist du schon einmal gestorben?«, fragte er mich unvermittelt.
Völlig verblüfft ob dieser Frage, verschluckte ich mich an meinem Bier und hustete erst einmal meine Kehle wieder frei. »Natürlich nicht«, antwortete ich dann. Was wollte er mir erzählen?
Die erste Wiederholung
»Ich schon«, erwiderte er und nahm noch einen tiefen Schluck aus seinem Glas, bevor er begann:
Es war an einem Septembertag, ein Montag. Ich hatte den ganzen Tag über im Büro bereits so einen Druck auf der Brust, schrieb es dem Wetter zu. Habe ich auch meinem Kollegen gesagt, der schaute mich nur kurz an und meinte dann, dass das Wetter doch genauso sei wie immer, keine Schwüle, eher kühl. Ich dachte noch bei mir: Der kriegt mal wieder gar nichts mit, aber weit gefehlt.
Auf der Fahrt nach Hause wurde es schlimmer, als ich dann endlich mein Zuhause erreichte, war es kaum noch zum Aushalten. Ich legte mich kurz auf die Couch im Wohnzimmer, das brachte aber auch keine Linderung. Weder meine Frau noch eines meiner Kinder war anwesend, so überlegte ich alleine, was denn zu tun sei. Zum Arzt fahren? Die Praxis war um diese Uhrzeit