Der Weg in die Verbannung. Liselotte Welskopf-Henrich
war er mit seinen Sprachkenntnissen nicht eingestellt, und wahrscheinlich war auch für den Sprachkundigsten die Beschreibung nicht eben genau gewesen.
Vielleicht hatte der schlaue Indianer ihn sogar mit Absicht genarrt und sich betrunkener gestellt, als er war. Wer kannte sich mit einer Rothaut aus? Vielleicht hatte dieser schmutzige Dakota nur aus The Red herausbringen wollen, wo dieser das Gold zu suchen gedachte.
Vielleicht schlich er mit seiner Kojotenbande schon hinter ihm her.
Verdammt!
Es konnte sein, dass ihm, dem Roten Jim, nicht so viel Zeit für ungestörtes Nachforschen blieb, wie er geglaubt hatte.
Himmel, Hölle und Teufel!
Das gleichmäßige Rauschen des Wassers, das Donnern des Wasserfalls in der echowerfenden Höhle konnten den ruhigsten Menschen in kurzer Zeit unruhig machen.
Vielleicht musste man den Fels anspringen, hinaufspringen bis zu der Stelle, an der sich der ansteigende Höhlenarm verengte und ein Mensch sich rechts und links an den glatten Wänden anstemmen konnte.
Ja, das war eine Möglichkeit.
The Red schlug Feuer und betrachtete im Licht eines glimmenden Spans die Umgebung. Der zuletzt von ihm erwogene Plan erschien ihm auch bei Licht ausführbar. Bei Licht war er am ehesten ausführbar.
Daher benutzte der Mann den verglimmenden Span, um einen größeren, mit Teer beschmierten anzuzünden, den er sich ebenfalls mitgebracht hatte. Er legte diesen an den Felsrand des seichten Bachbettes, das den Hauptgang der Höhle kreuzte, und betrachtete dabei seine Umgebung auch auf mögliche Spuren hin, die der zahnlose Ben oder andere Menschen, die schon hier gewesen sein mochten – zum Beispiel Indianer –, verursacht haben konnten. Aber er entdeckte nichts dergleichen. Der Zahnlose hatte an dieser Stelle entweder kein Feuer gemacht oder keinerlei Reste davon herumliegen lassen.
Erstaunlich schien dem Mann bei Licht, dass das Wasser einen Mann über den Hauptgang der Höhle weg in die Tiefe gerissen hatte. Selbst wenn der herabstürzende Bach einen packte, musste er sich doch hier noch halten können, wenn einer kein zappelndes Baby war.
The Red wurde bei dieser Berechnung sehr zuversichtlich. Er konnte versuchen, zu dem ansteigenden Seitenarm hinaufzuspringen, ohne damit gleich das Leben zu riskieren. Er legte alles ab, was nicht nass werden sollte: Feuerzeug, Pfeife, Tabak.
Dann sprang er hoch, und es gelang ihm tatsächlich, sich in dem ansteigenden Höhlenarm mit Knien, Schultern, Händen und Füßen festzuklemmen. Das eiskalte Wasser floss an seinem Körper herab, überspülte ihm den Kopf, drückte gegen seine Schultern. Er hielt sich krampfhaft fest und suchte sich mit gespreizten Knien so an die Wände anzudrücken, dass er mit einer Hand den Fels würde loslassen können, ohne abzurutschen.
Er musste sich beeilen, denn lange vermochte er in seiner jetzigen Lage nicht auszuhalten.
So ... los ... nun mochte es gelingen!
The Red machte die rechte Hand und den rechten Ellenbogen frei und suchte. Aber die Gewalt des Wassers war groß, und die Finger wurden ihm in der Eiseskälte der unterirdischen Quelle schon steif. Er konnte nicht lange untersuchen, er musste sich auch mit dem rechten Arm wieder einstemmen, um nicht allen Halt zu verlieren.
Da, nun war es doch geschehen.
The Red war mit dem linken Knie ein wenig gerutscht, nur um zwei Zentimeter. Aber das hatte schon genügt, um ihn ganz aus dem Halt zu drängen. Er konnte dem Wasser nicht mehr widerstehen; es drückte ihn aus dem Seitenarm der Höhle hinaus. Er stürzte in den Hauptgang der Höhle, rücklings, prallte auf den Fels und griff um sich, um neuen Halt zu finden.
Das war nicht schwer. Seine Hände fassten den Felsen, und triefend nass erhob er sich, um aus dem seichten Bachbett im Hauptgang der Höhle tastend hinauszukriechen auf trockenen Boden.
Dummes Zeug! Dreckshöhle, verdammte!
Der teerbeschmierte Kienspan war erloschen.
Aber The Red hatte sich nicht verletzt, nichts gebrochen, den Schädel nicht angeschlagen. Er war ganz bei Sinnen. Ein wenig fror er, und der Rücken tat ihm vom Aufprall weh, aber damit beschäftigte sich sein Bewusstsein kaum.
Er wollte den Versuch wiederholen.
Zunächst gönnte er sich ein Pfeifchen, um wieder ganz zur Ruhe zu kommen. Er überlegte, ob er noch einen Span riskieren solle, kam davon aber ab, da er sich jetzt auch im Dunkeln zurechtzufinden dachte.
Ein zweites Mal stellte er sich an den verhältnismäßig günstigen Platz, von dem aus er auch das erste Mal den Sprung gewagt hatte. Wieder schnellte er sich empor, kam sogar um eine Handbreit höher als das erste Mal und klemmte sich wieder fest. Diesmal zögerte er nicht, sofort weiterzutasten. Seine gespreizten Knie hielten ihn fest; er legte alle seine wilde Kraft hinein. Den Atem anhaltend, schob er sich, vom Wasser vollständig überspült, ein Stückchen höher und noch ein kleines Stück. Ein Toben der Freude erfüllte ihn. Er kam weiter!
Der Seitenarm der Höhle verengte sich, wurde aber flacher. Der Mann gewann ohne Schwierigkeit, in schnellem Tempo, einen ganzen Meter.
Er musste haushalten mit der Luft, die er vorher tief eingeatmet hatte, denn das Wasser füllte hier den engen Höhlengang aus; der Mann konnte nicht atmen.
Der Seitenarm der Höhle wurde wieder steiler. Fast senkrecht ging es hinauf, und das Wasser hatte dadurch doppelte Gewalt. Mit verzweifelter Anstrengung versuchte The Red, sich dieser Gewalt entgegen weiter aufwärtszuschieben. Es gelang ihm noch, etwa dreißig Zentimeter Höhe zu gewinnen, aber dann steckte er hoffnungslos fest. Seine Schultern und Hüften waren zu breit, um durch den engen Höhlenarm weiter hindurchzukommen. Mit wütender Anstrengung versuchte er sich zu strecken, voranzuschieben.
Es war vergeblich.
Die Luft ging ihm aus. Wasser drang ihm in Nase und Mund. Er begann Wasser zu schlucken. Die Besinnung verließ ihn, und er wusste nicht mehr, was mit ihm geschah.
Als er wieder zu sich kam, spürte er zunächst nur Schmerzen. Seine Sinne, mit Ausnahme des Schmerzempfindens, funktionierten noch nicht. Er sah nichts, er hörte nichts, er schmeckte nichts, aber es tat ihm alles weh. Es dauerte sogar geraume Weile, bis er sich wieder bewusst wurde, der Rote Jim zu sein.
Der Rote Jim!
Als ihm dieses Bewusstsein seiner selbst von neuem dämmerte, konnte er den zweiten Gedanken fassen, dass ihm irgendein Unglück geschehen war. Irgendein Unglück ...
Er versuchte, sich zu rühren. Die Finger konnte er bewegen, und er spürte jetzt, dass sie nass waren. Die Augen musste er aufmachen. Er war ein Waldläufer und Präriejäger, und er musste die Augen aufmachen, jawohl. Mühsam zog er die Lider hoch. Sein Schädel brummte und schmerzte abscheulich.
Um ihn war es dunkel. Es rauschte um ihn. Entweder rauschte es ihm in den Ohren, oder ...
… oder Wasser rauschte.
Wasser!
Mit einem Schlage wurde dem Roten Jim wieder klar, was geschehen war. Sobald er das Wort »Wasser« denken konnte, war es, als ob überhaupt ein Schleier, der über seinem Gedächtnis gelegen hatte, weggezogen worden sei.
Wo befand er sich jetzt? Das musste er zunächst feststellen.
Aber nicht nur der Schädel, auch Schulter, Rücken, Kreuz, Arme und Beine schmerzten ihn heftig. Vorsichtig versuchte er ein Glied nach dem anderen zu rühren und den Kopf zu drehen.
Es schien, dass er keinen Knochen gebrochen hatte. Beulen hatte er davongetragen, Prellungen. Was hieß das schon! Damit konnte er leicht fertig werden.
Aber wo befand er sich?
Seine immer noch schlecht funktionierenden Augen nahmen einen vagen Lichtschimmer wahr. Oder hatte er Halluzinationen? Sein Schädel und sein Gehirn schienen mehr abbekommen zu haben, als er beim Erwachen geglaubt hatte. Vielleicht hatte er eine Gehirnerschütterung.
Schlecht war ihm jedenfalls. Er erbrach sich, und dabei wurde ihm schwindelig, und er fiel wieder