Der Weg in die Verbannung. Liselotte Welskopf-Henrich

Der Weg in die Verbannung - Liselotte Welskopf-Henrich


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Seitenarme dieser verdammten und gottverlassenen Höhle gab, warum nicht auch drei oder vier? Der Rote Jim machte sich auf die Suche und streifte durch den Wald. Seine Perücke hatte er wieder aufgesetzt.

      Bis zum Abend hatte er nichts gefunden, was seiner Aufmerksamkeit wert gewesen wäre. Die monatealten Spuren des indianischen Zeltdorfes, das am Südhang auf einer Lichtung gestanden hatte, interessierten ihn nicht. Er wusste, wohin der Trupp der Oglala, der hier den Winter verbracht hatte, im Frühling gezogen war. Südwärts zum Pferdebach war diese Jagdabteilung gewandert, die sich die »Bärenbande« nannte. Das war in jenen Tagen gewesen, als der Rote Jim mit Ben überraschend in der Höhle zusammentraf. Von diesem Indianertrupp befürchtete The Red nichts. Er glaubte nicht, dass die Bärenbande mitten im Sommer, mitten in der Hoffnung auf die bevorstehenden großen Herbstjagden auf Büffel, ihr jetziges Standquartier am Pferdebach mit Weibern und Kindern verlassen würde. Aber es war möglich, dass andere Stammesabteilungen in die Gegend kamen, in der sich The Red umhertrieb. Die Black Hills waren altes Jagdgebiet der Dakota, und jeder Weiße musste sich hier in Acht nehmen.

      Jim übte auch weiterhin bei jedem Schritt die größte Vorsicht. Als die Sonne sank, kletterte er auf einen hohen Baum, nicht weit entfernt von dem früheren indianischen Zeltplatz, und überschaute wieder den Wald und die Prärie, die er mehr und mehr als sein Reich betrachtete.

      So vergingen dieser Tag und die folgenden Tage. Red Jim lebte verborgen und suchte, was er nicht fand. Er jagte nicht, sondern nährte sich nur von seinem Vorrat und von Getier, das er greifen konnte, ohne Spuren zu verursachen. Dazu gehörten auch Fische aus dem Bach, der im Innern des Berges entsprang und dann den Waldhang auf der Südwestseite hinabsprudelte. Es waren schon viele Wochen vergangen, als der Mann wieder einmal am Ufer dieses Baches eine Regenbogenforelle roh gefrühstückt hatte.

      Dieses Frühstück sättigte ihn und gab ihm vom Magen her ein Gefühl des Befriedigtseins, das er schon lange nicht mehr empfunden hatte. Im Gegenteil, manchmal beschlich ihn eine dumpfe Angst, dass er bei seiner vergeblichen Suche noch verrückt werden müsse. Jeden Tag von früh bis spät auf jeden Tritt und Handgriff aufmerken; jeden Tag von früh bis spät das Gleiche denken: Gold – Höhle – Wasser – Indianer; jeden Morgen mit neuer Hoffnung beginnen und jeden Abend mit wachsender Enttäuschung eine Etappe der Suche abschließen; ein solches Leben konnte auf die Dauer auch einen Starken mürbe machen.

      The Red musste sich einmal eine Stunde Ruhe gönnen und genau nachdenken. Er hatte nach dem guten Frühstück die Empfindung, dass ihn eine Ruhepause und ein paar wohlabgewogene Gedanken vielleicht weiterbringen würden als eine erneute wochenlange nervöse Suche. So schlich er sich bachabwärts zu dem Fluss, der sich wie ein Band um den Fuß des Bergstocks zog. Auf dem Geröll, das sich an den Ufern streckenweise angesammelt hatte, konnte er sich leicht fortbewegen, ohne Spuren zu verursachen, und er genoss diese relative Freiheit.

      Schön war der Tag.

      Er setzte sich hin und blinzelte gegen die Sonnenstrahlen, die durch die Bäume spielten. Dabei begann er nachzudenken.

      Der zahnlose Ben hatte im Frühjahr von irgendwoher eine Nachricht gehabt, dass es in den Höhlengängen an dieser Bergseite Gold gäbe. Woher die Nachricht kam, hatte er nicht gestanden. The Red war im Frühling auf gut Glück und weil er gehört hatte, dass es hier verzweigte Höhlengänge gab, einmal in die Gegend gekommen. Die vagen Gerüchte, dass man in den Black Hills Gold finden könne, hatten ihn hergetrieben. Aber weder Ben noch Jim hatten bei ihrer Suche im Frühjahr Erfolg gehabt, und Jim hatte den Zahnlosen energisch und endgültig aus diesem Revier vertrieben. Als Jim sich dann bei den Baracken und Lagern der Bauarbeiter und Jäger an der geplanten Strecke der neuen Pacificbahn sehen ließ, schwirrten dort neue Gerüchte über Goldvorkommen in den Black Hills umher. Eine Dakotaabteilung, die Bärenbande, sollte darüber Näheres wissen. Ein Goldkorn von erstaunlicher Größe befand sich angeblich im Besitz dieser Indianer, die in den Augen des Roten Jim unwissend und nichtsnutzig und nur zur Plage der weißen Waldläufer und Präriejäger erfunden waren. Jim hatte sich auf den Weg zu der Bärenbande gemacht, den Häuptling mit allerhand Schlichen zu einem Becher Brandy überredet und bei dieser Gelegenheit Wortfetzen und Andeutungen zu hören bekommen, mit denen, wie sich zeigte, nicht viel anzufangen war. Vielleicht hatte der angetrunkene Rote auch noch Verstand genug gehabt, um Jim absichtlich zu belügen. Diese Befürchtung kehrte in dem misstrauischen Mann immer wieder. Wer kannte einen Indianer ganz? Jedenfalls klappte die Angelegenheit nicht so, wie Jim gerechnet hatte. Er sagte auf seinen vollen Magen und an seinem sonnigen Platz ohne Hast und wie zur Erholung alle Flüche auf, die er in seinem Räuberleben gelernt hatte, und dachte dann wieder nach.

      Was sollte er jetzt unternehmen? Entweder er musste weitersuchen, und das schien ihm nicht vielversprechend, oder er musste sich noch einmal an die Bärenbande, besonders an ihren Häuptling, heranmachen, der auf alle Fälle etwas zu wissen schien. Vielleicht hätte er nicht so schnell aus dem Zelt dieses Mannes verschwinden sollen, als er die Andeutungen gehört hatte. Aber sie schienen ihm damals fürs Erste zu genügen – was sich leider als ein Irrtum herausgestellt hatte –, und außerdem war Jim von dem Argwohn geplagt worden, dass Lauscher um das Zelt schlichen und ihm an den Kragen gehen würden, sobald er wirklich etwas erfahren hatte. Darum war er so schnell wie möglich, mitten in der Nacht, aus den Zelten der Bärenbande ausgerückt.

      Man sollte eben nie so voreilig und auf bloße Befürchtungen und Kombinationen hin reagieren. Nun saß er da wie ein dummer und erfolgloser Kerl.

      Dabei konnte es nicht bleiben! Er musste etwas unternehmen, um seinen Fehler zu korrigieren. Ein Goldkorn so groß wie eine Haselnuss sollte sich bei der Bärenbande befinden. Verflucht und zugenäht! Und er, der Rote Jim, lief hier herum, ohne die Fährte zu den Goldvorkommen zu haben.

      Während der Mann so dasaß und nachdachte, mit sich selbst unzufrieden und über die Zufälle, die ihm nicht günstig waren, verärgert, heftete sich sein Blick unwillkürlich auf eine sandige Stelle im Fluss, die ihm gefiel. Er hätte dort gern gebadet, aber das erschien ihm zu gefährlich. Beim Baden wurde man wehrlos. Die Büchse musste man ablegen, die Munition – nein, er wollte auf dieses Vergnügen verzichten. Aber die sandige Stelle gefiel ihm. In vielen Farben schillerte das zerriebene Gestein unter dem klar dahinfließenden Wasser. An solchen Stellen pflegte man am Sacramento in Kalifornien den Sand zu sieben, um die Goldkörnchen auszuscheiden.

      Red Jim erhob sich und ging vorsichtig über das Geröll, bis zu der sandigen Stelle hin. Er kämpfte mit sich, aber dann gab er sich selbst nach, bückte sich und ließ Sand durch seine Finger rieseln. Er wollte sich nicht eingestehen, dass sein Herz in heftigen Stößen klopfte und das Blut durch die Pulse jagte. Seine Schläfenader war angeschwollen. Leise rieselte der Sand durch seine Finger. Sein Blick war stechend darauf gerichtet, wie eine Lanzenspitze, die das Ziel sucht.

      Ah!

      Red Jim setzte sich auf den rundgewaschenen Felsblock, in dessen Schutz der Sand angeschwemmt war. Er blickte in seine Hand, die er ein wenig zusammengebogen hatte, wie ein Mensch, der mit der Hand Wasser zum Trinken schöpfen will. Zwischen zwei Fingern hatte sich ein winziges Goldkorn festgeklemmt. Ein winziges Sandkorn, ein Staubkorn aus purem Gold! Der Mann starrte unentwegt darauf. Er wusste selbst nicht, wie lange er so saß, unbeweglich, von seinem Fund festgehalten wie ein Stück Eisen von einem Magneten.

      Endlich ließ er das Körnchen in seine Brusttasche fallen. Gold! Es stand damit fest, dass sich auch auf dieser Seite des Bergstocks Gold finden ließ, nicht nur auf der Nordseite, von der schon so viel gemunkelt wurde. Er, der Rote Jim, hatte den Anfang zu seinem neuen Leben gefunden. Die Phantasiebilder gaukelten vor seinem inneren Auge; er schloss die Lider, um sie ganz zu genießen.

      Da drang irgend etwas an sein Ohr, was ihn störte. Er war sofort ganz wach, horchte und öffnete die Augen.

      Was er gehört hatte, wurde ihm nachträglich klar. Ein Pferd hatte auf der Prärie gewiehert. Es konnte sich um wilde Pferde handeln oder um gezähmte, um indianische Reiter oder um Weiße. Wenn Jim jetzt noch von Glück sprechen wollte, dann nur von dem, dass er Büchse und Proviant bei sich trug und sein Versteck geräumt hatte. Er war voll beweglich, ganz unabhängig.

      Soweit es die äußerste Vorsicht erlaubte, schlich er sich vom Fluss weg und durch den Wald zu einem Baum, der


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