Im Bann der bitteren Blätter. Manfred Eisner

Im Bann der bitteren Blätter - Manfred Eisner


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den dort registrierten Asylantragsteller Mustafa Mbili, 23 Jahre alt, aus Uganda stammend, identifiziert, der sich gelegentlich und meist heimlich, da unerlaubt, als Sonnenbrillen- und Billigschmuckverkäufer in der Stadt herumtrieb und dabei schon einige Male aufgegriffen worden war. Dagegen ist es den Behörden bisher nicht gelungen, die Identität seiner gelegentlich mit ihm beobachteten Begleiterin auszumachen, weil die von ihnen gemachten Fotos zu keinem Ergebnis führten.

      Nachdem Mbili gezahlt hat, brechen die beiden auf. Unauffällig werden sie von einem Zivilfahnder, der am Zeitungsstand gewartet hat, bis zu dem Bahnsteig verfolgt, von dem aus in wenigen Minuten der Pendlerzug nach Kiel abfahren wird. Nach einem kurzen Blick auf die Armbanduhr trinkt Waldi seinen Milchkaffee aus und legt ein paar Euromünzen auf den Tisch. Dann steckt er die Pfeife in die Tasche, faltet seine Zeitung zusammen und schlendert gemächlich aus dem Restaurant in die gleiche Richtung wie seine beiden Vorgänger. Zahlreiche jugendliche Gymnasiasten und Studenten warten inzwischen am Bahnsteig auf die Einfahrt des Zuges. Als dieser kurz drauf zum Stillstand kommt, huschen sie eiligst durch die Waggontüren auf der Suche nach ihren bevorzugten Sitzplätzen. Mit Blickkontakt zum Kollegen, der am Zuganfang einsteigt, geht Waldi gemächlich bis zum letzten Waggon, nachdem er sich vergewissert hat, dass sowohl der Afrikaner als auch seine Begleiterin in getrennte Zugabteile eingestiegen sind. Unauffällig setzt er sich in die hinterste Abteilreihe und bemerkt sogleich sehr zufrieden, dass der kahlköpfige und berüchtigte Dealer Drogenmatti soeben an ihm vorbeikommt und in den nächsten Waggon weitergeht. Ihm folgt auf dem Fuß ein Waldi bisher unbekannter dunkelhaariger Mann mittleren Alters, sehr dünn und von kleinerer Statur. Als sich der Zug in Bewegung setzt und aus dem Bahnhof fährt, greift Waldi in die Jackentasche, holt sein Handy heraus und sendet eine vorbereitete SMS. Dann wählt er eine Nummer und spricht rasch einige kurze Worte in den Apparat. Schließlich beobachtet er befriedigt, dass die Antennenanzeige auf seinem Display verschwindet und kein verfügbares Netz mehr angezeigt wird.

      „So ’ne Scheiße!“, lässt ein frustrierter Tablet-User verlauten, als nahezu gleichzeitig sein Bild einfriert und dann die Ankündigung „Sie sind mit keinem Netzwerk verbunden“ auf dem Display erscheint. Noch bevor der Zug an der nächsten Haltestelle in Bad Schwartau ankommt, quietschen plötzlich die Bremsen und er hält abrupt auf offener Strecke. Als wären sie vom Himmel herabgefallen, postieren sich schwer bewaffnete Polizisten des Sondereinsatzkommandos an sämtlichen Waggontüren. Eine Stimme ertönt durch die Lautsprecher: „Achtung, Achtung. Hier spricht die Polizei. Dies ist eine Personenkontrolle. Bitte bewahren Sie Ruhe und bleiben Sie unbedingt auf Ihren Plätzen sitzen. Halten Sie Ihre Fahrkarten und Ausweispapiere zur Kontrolle durch unsere Beamten bereit. Ich wiederhole.“ Eine weibliche Stimme wiederholt die Ansage nun auch in englischer und französischer Sprache. Je drei Beamte in schusssicheren Westen mit der weißen Aufschrift „POLIZEI“ kommen in jeden Waggon, der jeweils erste mit einer Maschinenpistole im Anschlag. Die beiden anderen kontrollieren die Ausweise der Reisenden. Ihnen folgt ein Kontrolleur der Deutschen Bahn, der die Fahrkarten überprüft. Diejenigen Personen, die sich nicht ausweisen oder keinen gültigen Fahrausweis vorweisen können – und es sind einige davon betroffen –, werden höflich, aber bestimmt gebeten, zur vorderen Waggonplattform zu gehen. Dort verlassen die Schwarzfahrer den Zug durch die linke Tür und werden in einem improvisierten, auf dem Nebengleis stehenden Bürowaggon registriert. Jene, die sich nicht ausweisen können, verlassen den Zug durch die rechte Waggontür. Letztere, davon einige bereits in Handschellen, steigen in die neben dem Gleis stehenden Polizeibusse und werden unter scharfer Bewachung ins Polizeipräsidium nach Kiel gebracht. Die ganze Operation hat keine zehn Minuten gedauert und der Zug kann schließlich seine Fahrt fortsetzen. Mit Genugtuung beobachtet Waldi von seinem Fenster aus, dass sich alle „seine“ Zielpersonen unter den Abgeführten befinden. Während der Aktion ist er auf seinem Platz sitzen geblieben. Als er sieht, dass sein Handy wieder am Netz ist, wählt er erneut eine Nummer an. „Hat alles wie am Schnürchen geklappt, diesmal haben wir die schrägen Vögel im Käfig!“

      Als der Zug im Bad Schwartauer Bahnhof anhält, steigt er aus und schlendert zum Parkplatz, wo sein unauffälliger alter Variant Kombi schon seit einigen Stunden geduldig auf ihn wartet. Belustigt steckt er das Knöllchen, das ihm unter dem Scheibenwischer im Wind entgegenflattert, in die Tasche. „Geht auf Geschäftsspesen“, ulkt er und fährt los.

      Hauptkommissar Boie Hansen ruft alle Mitarbeiter seiner Dienststelle in Oldenmoor zusammen. Er hat den Lautsprecher seines Telefons auf volle Lautstärke gestellt, denn Waldi Mohr ist gerade an der Strippe und berichtet ausführlich von der gestrigen so erfolgreich abgelaufenen Aktion: „Also, liebe Kollegen, Ihr ahnt ja gar nicht, wer uns da alles ins Netz geraten ist. Aufgrund eures wertvollen Hinweises auf den letzten Standort von Ralph Westphals Fahrrad hatten wir dieses Tag und Nacht observiert. Nachdem es tatsächlich von einem der Bandenmitglieder entwendet wurde, konnten wir diesen Typen verfolgen und haben nach und nach herausgefunden, wer alles zu dem Drogenvertriebsring gehört, wie sie operieren und wo sie sich eingenistet haben. Neben den beiden Dealern, dem aus Uganda stammenden Mustafa Mbili und seiner reizenden – wahrscheinlich palästinensischen – Komplizin Habiba Massud, die sich übrigens hier schon fast zwei Jahre lang illegal aufhält, konnten wir in einer konzertierten Aktion von LKA und SEK gleichzeitig mit der Verhaftungsaktion in der Bahn deren Räuberhöhle stürmen und ausräuchern: Satte 40 Kilo reines Kokain, dazu fast noch einmal so viel bereits gestreckte Koksportionsbriefchen, mehrere Plastikbeutel voller Chrystal- und Extasypillen und weiß der Geier was noch für’n Düwelstüch haben wir da gefunden und sichergestellt. Dazu ein Arsenal an Waffen und Munition. Schließlich sage und schreibe fast 200.000 Euro in bar! Macht einen Schwarzmarktwert von summa summarum etwa 10 Millionen Euro. Unglaublich! Aber nicht nur das: Im Zug verhaftete das SEK neben den beiden Dealern und einigen anderen bereits gesuchten dunklen Gestalten deren Boss Matti Lohse, alias Drogenmatti, zusammen mit einem Lateinamerikaner, wir vermuten zwar aus Kolumbien, der aber bis dato das Maul nicht aufmacht, vorgibt, weder Englisch noch Deutsch zu verstehen, und so tut, als wisse er von nichts. Nur eigenartig, dass wir in seinem Zimmer im Eurotel seinen – wie eine Eilanfrage bei den spanischen Kollegen heute ergab – gefälschten spanischen Pass auf den Namen Alejandro Vazques, dazu rund 10.800 US-Dollar und einen geladenen achtunddreißiger Colt – selbstredend ohne dazugehörigen Waffenschein – vorfanden. Und im sogenannten Labor der Drogenhütte konnten wir als Gratisbeigabe zwei üble Galgenvögel festnehmen, die uns bisher immer wieder entwischt sind: Juri Wolkow und Alexei Shirjajev. Nach dem Letzteren wird wegen Totschlags in einer Disco in Travemünde gefahndet. Die gesamte Bande wurde dem Untersuchungsrichter vorgeführt und befindet sich in Untersuchungshaft. Ach ja, auch für euch wohl eine gute Nachricht: In einer der Garagen der Gangstervilla stand ein nagelneuer schwarzer Golf GTI – diesmal mit einem niederländischen Kennzeichen. Die KTU untersucht ihn gerade, aber ich bin mir ziemlich sicher, es handelt sich um den neulich sicherlich von diesen beiden Russen aus dem Autohaus Scholz entwendeten Wagen. Ich habe euch schon die Fotos der beiden Tunichtgute gemailt, vielleicht kann euer wackerer Motorrad-Willi sie identifizieren. Freut mich, war ’n toller Erfolg, und nochmals vielen Dank für das Mitdenken. Hab zum Schluss noch ’ne Frage: Neulich, bei einem Telefonat mit der Kollegin Masal, erfuhr ich nebenbei, dass sie perfekt Spanisch und auch Iwrith spricht. Wir könnten wieder einmal ihre Hilfe gut gebrauchen, um diesen Vazques zum Reden zu bringen. Auch müssen wir noch von Frau Massud einiges mehr erfahren, sicher ginge dies auf Hebräisch flotter. Wäre nett, wenn Kollegin Masal uns helfen und mich bald zurückrufen könnte. Also, das war’s dann auch für heute. Ende der Durchsage.“

      Boie Hansen legt auf. „’ne ganze Menge auf einmal!“, meint er trocken.

      Dann herrscht für eine kurze Weile betretene Stille im Raum, alle denken erst einmal über die Informationsflut nach, die soeben über sie hereingebrochen ist.

      Das schrille Läuten des Telefons lässt sie aufhorchen. Auf ein Kopfzeichen Boie Hansens geht Hauke an den Apparat. „Polizeikommissariat Oldenmoor, Oberkommissar Steffens, wie kann ich Ihnen helfen?“

      „Moin! Hier spricht Oberbrandmeister Per Petersen von der Feuerwehr Leitstelle Elmshorn. Wie ihr ja wisst, hatten wir in der vorigen Woche im Kreis Steinburg, ganz in der Nähe von Oldenmoor, einen Feuereinsatz. Ein Autofahrer entdeckte von der B5 aus eine große Rauchfahne


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